Südlicht
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Architektur- und Gesellschaftskritik
06.07.2012 um 15:00auf Basis dieses Artikels
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article106165023/Zwang-zur-Innovation-verschandelt-unsere-Staedte.html
Der Artikel reiht sich leider ein in die Schar undifferenzierter Kritiken, wie sie heutzutage am Fließband erscheinen. Man liest nur unbewiesene Behauptungen, Verallgemeinerungen und Oberflächlichkeiten.
Hier werden Voraussetzungen und Gegebenheiten postuliert, deren Bedeutung und Zutreffen nicht einmal hinterfragt werden.
Dass Innovation immer gut und neu immer gleich schön wäre, steht als Voraussetzung im Zentrum der Kritik. Aber wer behauptet das eigentlich?
Woher nimmt der Autor sein Wissen über diese angeblichen Zwänge, sowie auch darüber was "wir" schätzen und wozu "wir" heute gar nicht mehr das Können hätten. Wie rechtfertigt er seine Thesen?
Woran macht er seinen Standpunkt, die Städte seien / würden „verschandelt“, überhaupt fest?
Wer ist "wir"? Was ist "gut"? Was ist "schön"? Was sind die "Interessen der Gesellschaft"? Diese naheliegenden Fragen stellt niemand, und in derlei Kritiken wird immer davon ausgegangen dass die Antwort darauf allgemeingültig feststünde. Das nervt mich.
Hier wird ein Zwang zur Innovation beklagt, der so gar nicht existiert, und gleichzeitig das Gegenextrem gefordert. (Zwang zur Tradition, zur Einheitlichkeit, zum Stillstand?)
Und statt dies ordentlich zu begründen, wird man abgespeist mit Floskeln und seltsamen Bemerkungen zu Naturgesetzlichkeiten.
Warum passen die Häuser heutzutage denn nicht zueinander?
Und was spricht gegen den Reiz gerade durch bewusst gewollte Brüche und Kontraste? Historisch neben zeitgenössisch, Backstein neben Glas, detailverziert neben glatt?
Bedeutet die Stadt aus einem Guss nicht erst recht die Eintönigkeit und Langeweile die man heute meint beklagen zu müssen?
Bei zeitgenössischer Bauweise fehlen die Details, weil kein Stuckornament mehr dran ist? Nein, die Details gibt es, aber die Betrachtungsweise hat sich verändert. Fähigkeit sich auf Neues, Anderes einzulassen.
Warum wird Lokalkolorit großgeschrieben, Zeitkolorit hingegen missbilligt – sprich: Das Stadtbild soll so beschaffen sein, dass ich weiß, wo ich mich befinde, aber in welcher Zeit ich mich befinde, darf möglichst nicht auffallen („Globalisierte Austauschbarkeit“ vs. Altbauten und Altstädte).
Nein, nicht jedes Haus muss anders aussehen als seine Nachbarn im Kontext
- andererseits wird bei modernen Bauten doch eben diese Monotonie und dieses vermeintliche Gleich-Aussehen kritisiert. Hier weiß man offensichtlich nicht, was man eigentlich will.
Es reicht ja zu wissen, was "wir" (angeblich) wollen.
Wie sieht denn die vermeintlich angestrebte "Vielfalt in der Einheit" aus? Beispiele, Beschreibungen?
Worin definiert sich Qualität?
Nein, der Leser soll nicht fragen und nicht nachdenken, er soll die transportierte Meinung möglichst unreflektiert übernehmen und abnicken.
Den Satz, in dem Globalisierung, Pluralismus & Demokratie als „(Her-)Ausreden“ betitelt werden, halte ich für fatal. Aber da offenbart sich das ganze konservative Weltbild.
Ich möchte es mal ähnlich radikal formulieren wie es in jenen Kreisen üblich ist:
Innovation ist nicht, wie hier dargestellt, ein selbstauferlegter Zwang, sondern entsteht quasi aus sich selbst. Das ganze Leben ist Innovation – Umstände ändern sich und der Mensch passt sich an. (Individuelle als auch gesellschaftliche) Ansprüche ändern sich und der Mensch passt seine Umgebung an. Stagnation hingegen hatte noch nie was mit (Weiter-)Entwicklung und Leben zu tun. Der Wandel der Gesellschaft / Kultur erfordert keinen Wandel der Architektur, sondern geht mit ihm einher. Beide sind nicht aus ideologischen oder moralischen Gründen abhängig voneinander, sondern bedingen einander gegenseitig schon allein aufgrund der Praxis: Die sich wandelnden Anforderungen an Stadt und Lebensraum, veränderte Ansprüche beim Wohnen und Arbeiten , bei Verkehr / Infrastruktur (sowie auch das menschliche Bestreben nach Neuorienierung , das jedoch stets ein Spannungsfeld mit der Sehnsucht nach Beständigkeit bildet) haben nun einmal auch eine Veränderung der Architektur zur Folge. Das lässt sich nicht ignorieren oder wegbeten, nur weil es nicht in den Kram passt.
Es hat Gründe, warum Dinge sich ändern, sich immer wieder neu erfinden oder aber sich bewähren und lediglich in neuem Gewand auftreten. Kunst, Kultur, Architektur, Mode. verschiedene Stilrichtungen und Trends. Nichts davon wäre denkbar ohne Innovation. Kein historisches Bauwerk das heute als so ehrwürdig geschätzt wird, hätte es gegeben ohne Innovation.
Der Wandel ist permanent und allumfassend.
Die Klientel, der dieser Autor angehört, weigert sich schlicht, über den Tellerrand zu blicken und Tatsachen anzuerkennen. Sie flüchtet sich in eine surreale, paradoxe Welt.
Das mündet in einer vollständigen Auflösung des Kontexts zwischen Gesellschaft und Kultur im Wandel der Zeit: Architektur aus dem 19. Jh darf es gerne sein, aber die innovationsfreundliche, fortschritlliche Haltung, aus der sie entstand, ist tabu?
„Allein beim Bier sind wir stolz, dass das Reinheitsgebot nicht innovativ, sondern uralt ist.“ - genau dort - am Stammtisch beim Bier - entstand vermutlich auch dieser Text.
Über die Kommentare brauchen wir gar nicht erst reden. Das ist wieder das übliche Nörgel-Einerlei ohne Substanz. So wie in jedem beliebigen Onlineforum, wo Greti und Pleti ihre unreflektierte Meinung kundtun können. Und die Mehrheit der Minderheit ihre Meinung aufdrängt bzw abweichende Meinungen abwertet.
Die Ansichten zu Kunst, Kultur und Architektur spiegeln erstaunlich gut das jeweilige Menschenbild wider:
Auch beim Menschen hat der Konservative ja ein Problem mit Individualität & Anderssein. Auch beim Menschen wird das als Zwang gewertet, was eigentlich natürlich ist. Es wird versucht Konformismus und Einheitlichkeit zu schaffen und Menschen wie Dinge in Formen zu pressen, und es wird vorausgesetzt dass alle dasselbe denken und empfinden.
Sowohl Autor als auch Kommentatoren scheint entgangen zu sein, dass der gesellschaftliche Trend sich längst umgekehrt hat.
Traditionalismus, Rückwärtsgewandtheit, Konservativismus und Engstirnigkeit sind wieder auf dem Vormarsch.
Das bemerkt man auch in gängigen Architekturdebatten. Modern ist ein Schimpfwort geworden, Neubauten haben keine Akzeptanz mehr, egal wie innovativ man baut, es wird mit oberflächlichem, verachtendem Blick abgestraft und "sieht eh alles gleich aus". (Oftmals nicht weil es an sich schlecht ist, sondern weil es neu ist)
Die Nörgler, Gegner und Bewahrer stellen doch schon längst wieder die Mehrheit im Lande.
Heutzutage ist es alternativ, in einer Glasfassade noch Schönheit und/oder Individualität sehen zu können.
Akzeptanz, Optimismus, Euphorie und Innovationswille sind zur Subkultur geworden.
Hip, trendy und vor allem Mainstream ist: Dagegensein, Verhindern, Meckern.
Am liebsten im pseudointellektuellen, "aufgeklärten" Gewand.
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article106165023/Zwang-zur-Innovation-verschandelt-unsere-Staedte.html
Der Artikel reiht sich leider ein in die Schar undifferenzierter Kritiken, wie sie heutzutage am Fließband erscheinen. Man liest nur unbewiesene Behauptungen, Verallgemeinerungen und Oberflächlichkeiten.
Hier werden Voraussetzungen und Gegebenheiten postuliert, deren Bedeutung und Zutreffen nicht einmal hinterfragt werden.
Dass Innovation immer gut und neu immer gleich schön wäre, steht als Voraussetzung im Zentrum der Kritik. Aber wer behauptet das eigentlich?
Woher nimmt der Autor sein Wissen über diese angeblichen Zwänge, sowie auch darüber was "wir" schätzen und wozu "wir" heute gar nicht mehr das Können hätten. Wie rechtfertigt er seine Thesen?
Woran macht er seinen Standpunkt, die Städte seien / würden „verschandelt“, überhaupt fest?
Wer ist "wir"? Was ist "gut"? Was ist "schön"? Was sind die "Interessen der Gesellschaft"? Diese naheliegenden Fragen stellt niemand, und in derlei Kritiken wird immer davon ausgegangen dass die Antwort darauf allgemeingültig feststünde. Das nervt mich.
Hier wird ein Zwang zur Innovation beklagt, der so gar nicht existiert, und gleichzeitig das Gegenextrem gefordert. (Zwang zur Tradition, zur Einheitlichkeit, zum Stillstand?)
Und statt dies ordentlich zu begründen, wird man abgespeist mit Floskeln und seltsamen Bemerkungen zu Naturgesetzlichkeiten.
Warum passen die Häuser heutzutage denn nicht zueinander?
Und was spricht gegen den Reiz gerade durch bewusst gewollte Brüche und Kontraste? Historisch neben zeitgenössisch, Backstein neben Glas, detailverziert neben glatt?
Bedeutet die Stadt aus einem Guss nicht erst recht die Eintönigkeit und Langeweile die man heute meint beklagen zu müssen?
Bei zeitgenössischer Bauweise fehlen die Details, weil kein Stuckornament mehr dran ist? Nein, die Details gibt es, aber die Betrachtungsweise hat sich verändert. Fähigkeit sich auf Neues, Anderes einzulassen.
Warum wird Lokalkolorit großgeschrieben, Zeitkolorit hingegen missbilligt – sprich: Das Stadtbild soll so beschaffen sein, dass ich weiß, wo ich mich befinde, aber in welcher Zeit ich mich befinde, darf möglichst nicht auffallen („Globalisierte Austauschbarkeit“ vs. Altbauten und Altstädte).
Nein, nicht jedes Haus muss anders aussehen als seine Nachbarn im Kontext
- andererseits wird bei modernen Bauten doch eben diese Monotonie und dieses vermeintliche Gleich-Aussehen kritisiert. Hier weiß man offensichtlich nicht, was man eigentlich will.
Es reicht ja zu wissen, was "wir" (angeblich) wollen.
Wie sieht denn die vermeintlich angestrebte "Vielfalt in der Einheit" aus? Beispiele, Beschreibungen?
Worin definiert sich Qualität?
Nein, der Leser soll nicht fragen und nicht nachdenken, er soll die transportierte Meinung möglichst unreflektiert übernehmen und abnicken.
Den Satz, in dem Globalisierung, Pluralismus & Demokratie als „(Her-)Ausreden“ betitelt werden, halte ich für fatal. Aber da offenbart sich das ganze konservative Weltbild.
Ich möchte es mal ähnlich radikal formulieren wie es in jenen Kreisen üblich ist:
Innovation ist nicht, wie hier dargestellt, ein selbstauferlegter Zwang, sondern entsteht quasi aus sich selbst. Das ganze Leben ist Innovation – Umstände ändern sich und der Mensch passt sich an. (Individuelle als auch gesellschaftliche) Ansprüche ändern sich und der Mensch passt seine Umgebung an. Stagnation hingegen hatte noch nie was mit (Weiter-)Entwicklung und Leben zu tun. Der Wandel der Gesellschaft / Kultur erfordert keinen Wandel der Architektur, sondern geht mit ihm einher. Beide sind nicht aus ideologischen oder moralischen Gründen abhängig voneinander, sondern bedingen einander gegenseitig schon allein aufgrund der Praxis: Die sich wandelnden Anforderungen an Stadt und Lebensraum, veränderte Ansprüche beim Wohnen und Arbeiten , bei Verkehr / Infrastruktur (sowie auch das menschliche Bestreben nach Neuorienierung , das jedoch stets ein Spannungsfeld mit der Sehnsucht nach Beständigkeit bildet) haben nun einmal auch eine Veränderung der Architektur zur Folge. Das lässt sich nicht ignorieren oder wegbeten, nur weil es nicht in den Kram passt.
Es hat Gründe, warum Dinge sich ändern, sich immer wieder neu erfinden oder aber sich bewähren und lediglich in neuem Gewand auftreten. Kunst, Kultur, Architektur, Mode. verschiedene Stilrichtungen und Trends. Nichts davon wäre denkbar ohne Innovation. Kein historisches Bauwerk das heute als so ehrwürdig geschätzt wird, hätte es gegeben ohne Innovation.
Der Wandel ist permanent und allumfassend.
Die Klientel, der dieser Autor angehört, weigert sich schlicht, über den Tellerrand zu blicken und Tatsachen anzuerkennen. Sie flüchtet sich in eine surreale, paradoxe Welt.
Das mündet in einer vollständigen Auflösung des Kontexts zwischen Gesellschaft und Kultur im Wandel der Zeit: Architektur aus dem 19. Jh darf es gerne sein, aber die innovationsfreundliche, fortschritlliche Haltung, aus der sie entstand, ist tabu?
„Allein beim Bier sind wir stolz, dass das Reinheitsgebot nicht innovativ, sondern uralt ist.“ - genau dort - am Stammtisch beim Bier - entstand vermutlich auch dieser Text.
Über die Kommentare brauchen wir gar nicht erst reden. Das ist wieder das übliche Nörgel-Einerlei ohne Substanz. So wie in jedem beliebigen Onlineforum, wo Greti und Pleti ihre unreflektierte Meinung kundtun können. Und die Mehrheit der Minderheit ihre Meinung aufdrängt bzw abweichende Meinungen abwertet.
Die Ansichten zu Kunst, Kultur und Architektur spiegeln erstaunlich gut das jeweilige Menschenbild wider:
Auch beim Menschen hat der Konservative ja ein Problem mit Individualität & Anderssein. Auch beim Menschen wird das als Zwang gewertet, was eigentlich natürlich ist. Es wird versucht Konformismus und Einheitlichkeit zu schaffen und Menschen wie Dinge in Formen zu pressen, und es wird vorausgesetzt dass alle dasselbe denken und empfinden.
Sowohl Autor als auch Kommentatoren scheint entgangen zu sein, dass der gesellschaftliche Trend sich längst umgekehrt hat.
Traditionalismus, Rückwärtsgewandtheit, Konservativismus und Engstirnigkeit sind wieder auf dem Vormarsch.
Das bemerkt man auch in gängigen Architekturdebatten. Modern ist ein Schimpfwort geworden, Neubauten haben keine Akzeptanz mehr, egal wie innovativ man baut, es wird mit oberflächlichem, verachtendem Blick abgestraft und "sieht eh alles gleich aus". (Oftmals nicht weil es an sich schlecht ist, sondern weil es neu ist)
Die Nörgler, Gegner und Bewahrer stellen doch schon längst wieder die Mehrheit im Lande.
Heutzutage ist es alternativ, in einer Glasfassade noch Schönheit und/oder Individualität sehen zu können.
Akzeptanz, Optimismus, Euphorie und Innovationswille sind zur Subkultur geworden.
Hip, trendy und vor allem Mainstream ist: Dagegensein, Verhindern, Meckern.
Am liebsten im pseudointellektuellen, "aufgeklärten" Gewand.