Da es in verschiedenen Diskussionen zur Zeit Thema ist, hier mal was zu den Affen, Shakespear und Wahrscheinlichkeiten.

Ich bin mir nicht sicher, wer als erster behauptet hat, daß ein Affe, der willkürlich auf einer Schreibmaschine herumklappert, alle Werke Shakespeares hervorbringen könnte, wenn man ihm nur genügend Zeit ließe. Der entscheidende Satz hier ist natürlich: wenn man ihm nur genügend Zeit ließe.
Engen wir die Aufgabe, die unser Affe zu bewältigen hat, etwas ein.
Nehmen wir an, er habe nicht die gesamten Werke Shakespeares hervorzubringen, sondern nur den kurzen Satz: »Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel«, und erleichtern wir ihm die
Dinge noch etwas, indem wir ihm keine gewöhnliche Schreibmaschine geben, sondern eine, deren Tastatur nur die 26 Großbuchstaben und eine Leertaste enthält. Wie lange wird er brauchen, um diesen einen kleinen Satz zu schreiben?Der Satz besteht aus 28 Anschlägen. Nehmen wir also an, der Affe nähme eine Reihe getrennter »Anläufe«, von denen jeder aus 28 Schlägen auf die Tastatur bestünde. Tippt er den Satz richtig, so ist das Experiment damit beendet. Wenn nicht, erlauben wir ihm einen weiteren »Versuch« mit 28 Anschlägen.
Ich kenne keine Affen, aber glücklicherweise ist meine kleine elf Monate alte Tochter eine erprobte »dem Zufall gehorchende Maschine«; sie schlüpfte, wie sich zeigte, nur zu gern in die Rolle des Schreibmaschine schreibenden Affen. Was sie auf dem Computer tippte, war folgendes:

UMMK JK CDZZ F ZD DSDSKSM
S SS FMCV PU I DDRGLKDXRRDO
RDTE QDWFDVIOY UDSKZWDCCVYT
H CHVY NMGNBAYTDFCCVD D
RCDFYYYRM N DFSKD LD K WDWK
JJKAUIZMZI UXDKIDISFUMDKUDXI

Sie hatte aber auch noch andere wichtige Dinge vor, so daß ich den Computer so programmieren mußte, daß er ein willkürlich herumtippendes Baby oder einen ebensolchen Affen simulierte:

WDLDMNLTDTJBKWIRZREZIMQCO P
Y YVMOQKZPGJXWVHGLAWFVCHQYOPY
MWR SWINUXMLCDLEUBXTOHNZVJQF
FU OVAODVYKDGXDEKYVMOGGS VT
HZQZDSFZIHIVPHZPETPWVOVPMZGF
GEWRGZRPBCTPGQMCKHFDBGW ZCCF

Und so weiter und so weiter. Es ist nicht schwer auszurechnen, wie lange wir warten müssen, bis der willkürlich arbeitende Computer (oder Baby oder Affe) den Satz METHINKS IT IS LIKE AWEASEL richtig tippt. Stellen wir uns die Gesamtzahl möglicher Sätze von der richtigen Länge vor, die der Affe oder das Baby oder der Geratewohl-Computer schreiben könnte. Es ist eine
Rechnung der Art, wie wir sie für das Hämoglobin durchexerziert haben, und das Resultat ist ähnlich riesig. In der ersten Position haben wir 27 mögliche Buchstaben (wobei wir
»Zwischenräume« als Buchstaben zählen). Die Wahrscheinlichkeit, daß der Affe den ersten Buchstaben – M – richtig trifft, ist daher 1 aus 27. Die Wahrscheinlichkeit, daß er die ersten beiden Buchstaben – ME – trifft, entspricht der Wahrscheinlichkeit, daß er den zweiten Buchstaben – E – richtig tippt (1 aus 27), vorausgesetzt, er hat auch den ersten – M – richtig, d. h. sie ist 1/27 x 1/27 oder 1/729. Die Wahrscheinlichkeit, daß er das erste Wort – METHINKS – richtig trifft, beträgt
1/27 für jeden der acht Buchstaben, also (1/27) x (1/27) x (1/27)... usw. 8mal oder (1/27) zur 8. Potenz erhoben. Die Wahrscheinlichkeit, den ganzen aus 28 Zeichen bestehenden Satz richtig zu treffen, beträgt (1/27) hoch 28., d. h. (1/27) 28mal mit sich selbst multipliziert. Das ist eine winzige Chance, etwa 1 zu 10 hoch 40 ausgewählt.

Soviel zur Ein-Schritt-Auslese der Zufallsvariation. Wie sieht es nun mit der kumulativen Selektion aus? Wieviel wirkungsvoller wird sie sein? Ungemein viel wirkungsvoller, vielleicht sogar wirkungsvoller, als wir zuerst meinen, obgleich das ganz offensichtlich ist, sobald wir etwas darüber nachdenken. Wir bedienen uns wieder unseres Computer-Affen, führen aber einen entscheidenden Unterschied in das Computerprogramm ein. Es beginnt mit der Auswahl einer willkürlichen Sequenz von 28 Buchstaben, wie im vorherigen Beispiel:

WDLMNLT DTJBKWIRZREZLMQCO P

Aber nun »pflanzt es sich« von diesem willkürlichen Satz ausgehend fort. Es kopiert ihn wiederholt, doch mit einem gewissen Spielraum für zufällige Kopierfehler-»Mutationen«. Der Computer examiniert die durch Mutation entstandenen unsinnigen Sätze, die »Nachkommen« des ursprünglichen Satzes,
und sucht denjenigen heraus, der, und sei es auch noch so
geringfügig, dem Zielsatz METHINKS IT IS LIKE A WEASEL am meisten ähnelt. In diesem Fall sah der Gewinner in der »nächsten Generation« folgendermaßen aus:

WDLTMNLT DTJBSWIRZREZLMQLO P

Keine besonders ins Auge fallende Verbesserung! Aber der Vorgang wird wiederholt. Wiederum werden mutante »Nachkommen« des Satzes »gezüchtet« und ein neuer »Gewinner«

Und so weiter, Generation auf Generation. Nach zehn Generationen lautete der zum »Weiterzüchten« ausgesuchte Satz:

MDLDMNLS ITJISWHRZREZ MECS P

Nach 20 Generationen hieß er:

MELDINLS IT ISWPRKE Z WECSEL

inzwischen glaubt unser Auge schon eine Ähnlichkeit mit dem Zielsatz zu erkennen. Nach 30 Generationen kann kein Zweifel mehr bestehen:
METHINGS IT ISWLIKE B WECSEL

In Generation 40 fehlt uns nur noch ein Buchstabe bis zum
Ziel:
METHINKS IT IS LIKE I WEASEL
Und in der 43. Generation ist das Ziel schließlich erreicht. Ein zweiter Computerdurchgang mit Startsatz:

Y YVMQKZPFJXWVHGLAWFVCHHQXYOPY

durchlief (wiederum geben wir nur jede zehnte Generation an):

Y YVMQKSPFTXWSHLIKEFV HQYSPY
YETHINKSPITXISHLIKEFA WOYSEY
METHINKS IT ISSLIKE A WEFSEY
METHINKS IT ISBLIKE A WEASES
METHINKS IT ISJLIKE A WEASEO
METHINKS IT IS LIKE A WEASEP

und erreichte den Zielsatz in Generation 64. Bei einem dritten Durchgang startete der Computer mit dem Satz:

GEWRGZRPBCTPGQMCKHFDBGW ZCCF
und erreichte METHINKS IT IS LIKE A WEASEL in 41 Generationen

selektiver »Züchtung«.
Welche Zeit der Computer genau brauchte, um zum Ziel zu gelangen, ist unwichtig. Für den, der es wissen will: Das erste Mal erledigte der Computer die gesamte Übung, während ich zu Mittag aß. Das dauerte ungefähr eine halbe Stunde. (Computerbegeisterte halten dies möglicherweise für übertrieben langsam. Der Grund: Das Programm war in BASIC abgefaßt, einer Art Computer-Babysprache. Nachdem ich es in Pascal neu geschrieben hatte, brauchte es nur noch elf Sekunden.)
Computer sind in diesen Dingen ein bißchen schneller als Affen, aber der Unterschied ist nicht wirklich signifikant. Wichtig ist der Unterschied zwischen der Zeit, die die kumulative Selektion benötigt, und der Zeit, die es denselben Computer kostet, wenn er mit gleicher Geschwindigkeit glatt durchläuft, um zum Zielsatz zu gelangen, aber gezwungen wäre, die EinSchritt-Selektion zu benutzen – etwa 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 Jahre, mehr als das Trillionenfache der Zeit, die das Universum bisher besteht. Tatsächlich wäre es richtiger, einfach zu sagen, daß im Vergleich zu der Zeit, die ein Affe oder ein willkürlich programmierter Computer braucht, um unseren Zielsatz richtig zu tippen, das ganze bisherige Alter der Welt eine so geringfügig kleine Zahl ist, daß sie sehr wohl innerhalb der Fehlermarge für Überschlagsrechnungen dieser Art liegt. Dagegen liegt die Zeit, die ein willkürlich, aber mit der Einschränkung der kumulativen Selektion arbeitender Computer braucht, um die Aufgabe zu lösen, in einer Größenordnung, die wir Menschen im allgemeinen begreifen können: zwischen elf Sekunden und der Dauer einer Mittagspause.
Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen der kumulativen Selektion (bei der jede Verbesserung, so klein sie auch sein mag, für den weiteren Aufbau benutzt wird) und der EinSchritt-Selektion (bei der jeder neue »Versuch« völlig neu ist).Hätte die Evolution sich auf die Ein-Schritt-Selektion verlassenmüssen, so wäre sie niemals irgendwohin gelangt. Wenn es jedoch irgendwie möglich war, daß die blinden Kräfte der Natur die erforderlichen Voraussetzungen für eine kumulative Selektion geschaffenhaben, so könnten die Folgen seltsam und großartig gewesen sein. In der Tat ist genau das hier auf unserem Planeten geschehen, und wir selbst gehören zu den jüngsten, wenn nicht sogar zu den sonderbarsten und wunderbarsten Folgen.Es ist erstaunlich, daß man immer noch Leute findet, die
Berechnungen wie meine Hämoglobinrechnung so auslegen, als wären sie Argumente gegen die Theorie Darwins. Wer dies tut, häufig Experten auf ihrem eigenen Fachgebiet, in der Astronomie z. B. oder was immer sonst, scheint ernsthaft zu glauben, der Darwinismus erkläre die Organisation der Lebewesen einzig und allein durch den Zufall – durch die »EinSchritt-Auslese«. Dieser Glaube, daß die Darwinsche Evolution »willkürlich« ist, ist nicht nur falsch. Er beinhaltet sogar das genaue Gegenteil des Richtigen. Der Zufall ist eine unwichtige Zutat im Darwinschen Rezept, die wichtigste Zutat ist die
kumulative Auslese, die in ihrer Quintessenz nicht zufällig ist.


Quelle: Richard Dawkin, Der blinde Uhrmacher. DTV Mail 1990 ungekürzte Ausgabe Seite 77ff