TRISTESSE
07.11.2011 um 15:18Tristesse
Die Schatten wandeln nicht nur in den Hainen,
davor die Asphodelenwiese liegt,
sie wandeln unter uns und schon in deinen
Umarmungen, wenn noch der Traum dich wiegt.
Was ist das Fleisch - aus Rosen und aus Dornen,
was ist die Brust - aus Falten und aus Samt,
und was das Haar, die Achseln, die verworrnen
Vertiefungen, der Blick so heiß entflammt:
Es trägt das Einst: die früheren Vertrauten
und auch das Einst: wenn du es nicht mehr küßt,
hör garnicht hin, die leisen und die lauten
Beteuerungen haben ihre Frist.
Und dann November, Einsamkeit, Tristesse,
Grab oder Stock, der den Gelähmten trägt -
die Himmel segnen nicht, nur die Zypresse,
der Trauerbaum, steht groß und unbewegt.
Gottfried Benn (1954)
Auf Deine Lider senk ich Schlummer
Auf deine Lider senk ich Schlummer,
auf deine Lippen send ich Kuß,
indessen ich die Nacht, den Kummer,
den Traum alleine tragen muß.
Um deine Züge leg ich Trauer,
um deine Züge leg ich Lust,
indes die Nacht, die Todesschauer
weben allein durch meine Brust.
Du, die zu schwach, um tief zu geben,
du, die nicht trüge, wie ich bin -
drum muß ich abends mich erheben
und sende Kuß und Schlummer hin.
Gottttfried Benn
Annette von Droste-Hülshoff (Gedichte über den Tod)
Der Todesengel
s gibt eine Sage, dass wenn plötzlich matt
Unheimlich Schaudern einen übergleite,
Dass dann ob seiner künftgen Grabesstatt
Der Todesengel schreite.
Ich hörte sie, und malte mir ein Bild
Mit Trauerlocken, mondbeglänzter Stirne,
So schaurig schön, wies wohl zuweilen quillt
Im schwimmenden Gehirne.
In seiner Hand sah ich den Ebenstab
Mit leisem Strich des Bettes Lage messen,
- So weit das Haupt - so weit der Fuß - hinab!
Verschüttet und vergessen!
Mich graute, doch ich sprach dem Grauen Hohn,
Ich hielt das Bild in Reimes Netz gefangen,
Und frevelnd wagt ich aus der Totenkron;
Ein Lorbeerblatt zu langen.
O, manche Stunde denk ich jetzt daran,
Fühl ich mein Blut so matt und stockend schleichen,
Schaut aus dem Spiegel mich ein Antlitz an -
Ich mag es nicht vergleichen; -
Als ich zuerst dich auf dem Friedhof fand,
Tiefsinnig um die Monumente streifend,
Den schwarzen Ebenstab in deiner Hand
Entlang die Hügel schleifen.
Als du das Auge hobst, so scharf und nah,
Ein leises Schaudern plötzlich mich befangen,
O wohl, wohl ist der Todesengel da
Über mein Grab gegangen!
Original anzeigen (0,2 MB)
Alfred Lichtenstein (1889-1914)
C A P R I C C I O
So will ich sterben:
Dunkel ist es. Und es hat geregnet.
Doch du spürst nicht mehr den Druck der Wolken,
Die da hinten noch den Himmel hüllen
In sanften Sammet.
Alle Straßen fließen, schwarze Spiegel,
An den Häuserhaufen, wo Laternen,
Perlenschnüre, leuchtend hängen.
Und hoch oben fliegen tausend Sterne,
Silberne Insekten, um den Mond –
Ich bin inmitten. Irgendwo. Und blicke
Versunken und sehr ernsthaft, etwas blöde,
Doch ziemlich überlegen auf die raffinierten,
Himmelblauen Beine einer Dame,
Während mich ein Auto so zerschneidet,
Dass mein Kopf wie eine rote Murmel
Ihr zu Füßen rollt ...
Sie ist erstaunt. Und schimpft dezent. Und stößt ihn
Hochmütig mit dem zierlich hohen Absatz
Ihres Schuhchens
In den Rinnstein
Mit dem Tode Wand an Wand
Die Nebel fallen in das Land.
Ach, mit dem Tode Wand an Wand
Wohnt jeder, der das Leben fand.
Nur wenn wir uns die Lippen reichen,
Ist das der Nacht ein Feuerzeichen,
Und auch die letzten Nebel weichen.
Max Dauthendey
Die Schatten wandeln nicht nur in den Hainen,
davor die Asphodelenwiese liegt,
sie wandeln unter uns und schon in deinen
Umarmungen, wenn noch der Traum dich wiegt.
Was ist das Fleisch - aus Rosen und aus Dornen,
was ist die Brust - aus Falten und aus Samt,
und was das Haar, die Achseln, die verworrnen
Vertiefungen, der Blick so heiß entflammt:
Es trägt das Einst: die früheren Vertrauten
und auch das Einst: wenn du es nicht mehr küßt,
hör garnicht hin, die leisen und die lauten
Beteuerungen haben ihre Frist.
Und dann November, Einsamkeit, Tristesse,
Grab oder Stock, der den Gelähmten trägt -
die Himmel segnen nicht, nur die Zypresse,
der Trauerbaum, steht groß und unbewegt.
Gottfried Benn (1954)
Auf Deine Lider senk ich Schlummer
Auf deine Lider senk ich Schlummer,
auf deine Lippen send ich Kuß,
indessen ich die Nacht, den Kummer,
den Traum alleine tragen muß.
Um deine Züge leg ich Trauer,
um deine Züge leg ich Lust,
indes die Nacht, die Todesschauer
weben allein durch meine Brust.
Du, die zu schwach, um tief zu geben,
du, die nicht trüge, wie ich bin -
drum muß ich abends mich erheben
und sende Kuß und Schlummer hin.
Gottttfried Benn
Annette von Droste-Hülshoff (Gedichte über den Tod)
Der Todesengel
s gibt eine Sage, dass wenn plötzlich matt
Unheimlich Schaudern einen übergleite,
Dass dann ob seiner künftgen Grabesstatt
Der Todesengel schreite.
Ich hörte sie, und malte mir ein Bild
Mit Trauerlocken, mondbeglänzter Stirne,
So schaurig schön, wies wohl zuweilen quillt
Im schwimmenden Gehirne.
In seiner Hand sah ich den Ebenstab
Mit leisem Strich des Bettes Lage messen,
- So weit das Haupt - so weit der Fuß - hinab!
Verschüttet und vergessen!
Mich graute, doch ich sprach dem Grauen Hohn,
Ich hielt das Bild in Reimes Netz gefangen,
Und frevelnd wagt ich aus der Totenkron;
Ein Lorbeerblatt zu langen.
O, manche Stunde denk ich jetzt daran,
Fühl ich mein Blut so matt und stockend schleichen,
Schaut aus dem Spiegel mich ein Antlitz an -
Ich mag es nicht vergleichen; -
Als ich zuerst dich auf dem Friedhof fand,
Tiefsinnig um die Monumente streifend,
Den schwarzen Ebenstab in deiner Hand
Entlang die Hügel schleifen.
Als du das Auge hobst, so scharf und nah,
Ein leises Schaudern plötzlich mich befangen,
O wohl, wohl ist der Todesengel da
Über mein Grab gegangen!
Original anzeigen (0,2 MB)
Alfred Lichtenstein (1889-1914)
C A P R I C C I O
So will ich sterben:
Dunkel ist es. Und es hat geregnet.
Doch du spürst nicht mehr den Druck der Wolken,
Die da hinten noch den Himmel hüllen
In sanften Sammet.
Alle Straßen fließen, schwarze Spiegel,
An den Häuserhaufen, wo Laternen,
Perlenschnüre, leuchtend hängen.
Und hoch oben fliegen tausend Sterne,
Silberne Insekten, um den Mond –
Ich bin inmitten. Irgendwo. Und blicke
Versunken und sehr ernsthaft, etwas blöde,
Doch ziemlich überlegen auf die raffinierten,
Himmelblauen Beine einer Dame,
Während mich ein Auto so zerschneidet,
Dass mein Kopf wie eine rote Murmel
Ihr zu Füßen rollt ...
Sie ist erstaunt. Und schimpft dezent. Und stößt ihn
Hochmütig mit dem zierlich hohen Absatz
Ihres Schuhchens
In den Rinnstein
Mit dem Tode Wand an Wand
Die Nebel fallen in das Land.
Ach, mit dem Tode Wand an Wand
Wohnt jeder, der das Leben fand.
Nur wenn wir uns die Lippen reichen,
Ist das der Nacht ein Feuerzeichen,
Und auch die letzten Nebel weichen.
Max Dauthendey