Hosea143
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Gefoltert für Christus
18.07.2011 um 12:13Gefoltert für Christus
Mein Name ist Liu Zhenying. Meine Freunde nennen mich Bruder Yun. Ich wurde 1958 in Liu Lao geboren, einem Bauerndorf das in der Provinz Henan im Norden Chinas liegt. Christus hat mich im Alter von 16 Jahren in seine Nachfolge berufen. Es war das Jahr 1974; und seit acht Jahren wütete die Kulturrevolution. Mein Vater litt an Krebs, und meine Mutter stand vor der Aufgabe, uns fünf Kinder allein zu erziehen. Die Lage schien ihr so hoffnungslos, dass sie an Selbstmord dachte. Eines Nachts hörte sie eine klare Stimme sagen: "Jesus liebt dich." Sie kniete sogleich nieder und legte ihr Leben in die Hände von Christus.
In den 40er Jahren hatte sie bereits eine westliche Missionarin gehört und danach ihr Leben Jesus anvertraut. Doch in den Zeiten der Verfolgung war sie aus der Kirche ausgetreten. Nun rief sie uns Kinder zusammen und sagte uns: "Jesus ist die einzige Hoffnung für Vater." Wir übergaben in dieser Nacht alle unser Leben Gott. Dann riefen wir immer wieder ein einfaches Gebet: "Jesus, heile Vater!" Innerhalb einer Woche war er gesund. Dies veränderte mein Leben radikal. Ich fragte meine Mutter ob es irgendwelche Worte von Jesus gab, die ich nachlesen könnte. Aber nirgendwo konnte man eine Bibel auftreiben. Niemandem war es gestattet, überhaupt ein anderes Buch zu lesen außer Maos kleinem roten Buch. Ich fastete, weinte und betete monatelang zu Gott um eine Bibel. Eines Morgens, kurz nach vier Uhr, klopften zwei Männer an unserer Tür. Sie gaben mir eine Bibel, die sie von einem alten Evangelisten erhalten hatten. Dieser hatte sie in einer Büchse versteckt und im Boden vergraben in der Hoffnung, sie später ausgraben und wieder lesen zu können.
Die Bibel war das erste Geschenk, das ich von Gott im Gebet empfing. Jeden Tag las ich das Wort Gottes. Wenn ich auf den Feldern arbeiten musste, verbarg ich meine Bibel in meiner Kleidung und nahm jede Gelegenheit wahr, darin zu lesen. Nachdem ich die ganze Bibel durchgelesen hatte, begann ich, jeweils ein Kapitel am Tag auswendig zu lernen. Nach achtundzwanzig Tagen hatte ich das Matthäus-Evangelium gelernt und machte anschließend mit der Apostelgeschichte weiter. Beim Lesen kamen mir viele Lieder der Anbetung über meine Lippen, Lieder, die ich nie gelernt hatte. Später schrieb ich sie auf.
Diese Lieder werden bis heute in chinesischen Hauskirchen gesunken. Beim Lesen spürte ich, dass Gott mich in die Mission rief. Ich begann, durch die Dörfer unserer Region zu ziehen und in den Häusern das Evangelium zu verkündigen. Obwohl ich noch ein Jugendlicher war, versetzte mich Gott in die Lage, im ersten Jahr als Christ 2.000 Menschen zu Jesus zu führen.
Den Christen der Hauskirchen wurde vorgeschlagen, sich der von der Regierung gegründeten "Patriotischen Drei-Selbst-Bewegung" anzuschließen. "Drei Selbst" steht für: Selbst Verbreitung, Selbstfinanzierung und Selbstbestimmung (das heißt: unabhängig vom Ausland). Aber wir lehnten ab, weil uns klar wurde, dass die Regierung die "Drei Selbst-Bewegung" als Kirche nur erlaubt hatte, um Christen zu kontrollieren und für ihr eigenes politisches Programm innerhalb der Gemeinde zu werben.
Ein flüchtender Evangelist
Zu dieser Zeit begann meine Laufbahn als "flüchtender Evangelist". Wir predigten an einem Ort und flohen dann zum nächsten. Zu dieser Zeit konnten die meisten unserer Mitstreiter nicht nach Hause, weil sie von der Polizei gesucht wurden. An jeder Bushaltestelle und in jedem Bahnhof hingen Fotos und Beschreibungen von uns. Hauskirchenleiter wurden in Arbeitslager gesteckt oder wegen ihres Glaubens an Jesus hingerichtet. Wäre unser Leben angenehmer gewesen, wären wir wahrscheinlich in unseren Heimatdörfern geblieben, und das Evangelium hätte sich nicht in so viele Gebiete verbreiten können.
Die erste Verhaftung
Schließlich wurde auch ich verhaftet. Ich musste mich niederknien, während Polizisten mir ins Gesicht boxten und mich mit ihren Stiefeln traten. Mein Gesicht war blutüberströmt. Die Polizisten ließen mich allein im Zimmer. Ich erinnerte mich daran, wie Engel die Türen des Gefängnisses geöffnet hatten, damit Petrus entkommen konnte (Apostelgeschichte 5,19), und beschloss, einen Fluchtversuch zu wagen. Ich drückte die Türklinke herunter. Die Tür war offen! Keiner hielt mich auf! Es war, als hätte Gott ihre Augen geblendet. Weil die vorderen Tore verschlossen waren, blieb nur der Weg über die fast zweieinhalb Meter hohe Gefängnismauer, die mit scharfen Glassplittern gesichert war. Ich zog mich an der Mauer hoch, so weit ich konnte. Plötzlich hatte ich das (Gefühl, als würde mich jemand über die Mauer werfen! Gott halte mir geholfen, zu entkommen.
Einige Monate später wurde ich erneut verhaftet. Die Wachen des Gefängnisses stießen mich zu Boden und befahlen anderen Gefangenen, auf meiner Brust und meinen Genitalien herumzutrampeln. Blut schoss mir aus dem Mund. Mir war schwindlig, und ich hatte große Schmerzen. Ich war sicher, dass ich sterben würde.
Am Abend des 25. Januar 1984 begann ich zu fasten. Es war nicht meine Idee, sondern Gott hatte mich angewiesen zu fasten, um ihn zu verherrlichen. Tag und Nacht sann ich über das Wort Gottes nach, über alles, was heilig und aufbauend ist. Tag um Tag, Woche um Woche aß ich nichts. Der Herr selbst war meine Nahrung. Ich weiß, dass es medizinisch gesehen unmöglich ist, länger als ein paar Tage ohne Wasser zu leben, doch: "Für Menschen ist es unmöglich, aber nicht für Gott" (Lukas 18,27). Nach den ersten Tagen dachte ich nicht mehr an Essen und Wasser. Mit jedem Tag hatte mein Geist engeren Kontakt zu Jesus. Mein Körper wurde immer dünner und schwächer, aber mein Geist war stärker geworden.
Am 40. Tag meines Fastens kamen drei Polizisten, um mich zu verhören. Ich weigerte mich zu sprechen. Ein Polizist nahm einen elektrischen Schlagstock, stellte ihn auf die höchste Spannung ein und schlug mir ins Gesicht. Ich spürte einen überwältigenden Schmerz, als hätten tausend Pfeile mich durchbohrt. Die Polizisten standen auf meinen Händen und Füßen und versetzten mir immer neue Elektroschocks. Ich weigerte mich weiterhin zu sprechen und lag bewegungslos auf dem kalten Betonboden.
Als sie merkten, dass ihre Methoden nicht zum gewünschten Erfolg führten, ließen sie mich ins Gefängniskrankenhaus bringen. Dort betrat ein kleiner, weißgekleideter Mann das Zimmer. Die Wachen hielten meine Hände und Füße fest. Der Arzt holte eine lange Nadel aus seiner Tasche und stieß sie nacheinander unter alle meine Fingernägel. Es war die schrecklichste Qual, die ich je erloht hatte. Ich wurde immer wieder ohnmächtig und konnte nicht sagen, ob ich in- oder außerhalb meines Körpers war.
Bettzeug in der Kloschüssel
Zwei Polizisten brachten mich zurück auf meine Zelle. Einige meiner fünfzehn Mitgefangenen saßen lebenslänglich ein, andere waren zu zehn oder zwanzig Jahren verurteilt worden. Gefängnisbeamte hatten ihnen ein milderes Urteil versprochen, wenn sie mich schlecht behandeln würden. Sie tauchten mein Bettzeug in die Kloschüssel, und der Zellenführer pinkelte mir ins Gesicht und drängte die anderen, es ihm nachzutun. So urinierten die Gefangenen regelmäßig über mir. Die Wachen begannen, die anderen Gefangenen grausamer zu behandeln. Deshalb hassten mich die Männer noch mehr. Eines Nachmittags wurde ich auf den Hof getragen, und die Wärter wiesen die Männer an, mich in einen Behälter zu werfen, in dem die Exkremente aller Gefangenen gesammelt wurden. In dieser Zeit sann ich über die Verheißung Jesu nach: "Glücklich seid ihr, wenn euch die Menschen hassen; wenn sie von euch nichts wissen wollen; wenn sie euch beschimpfen und Schlechtes über euch erzählen, nur weil ihr zu mir gehört. Dann freut euch! Ja, ihr könnt jubeln, denn im Himmel werdet ihr dafür belohnt werden" (Lukas 6,22-23).
74 Tage gefastet
Die Gefängnisleitung hatte alles versucht, um ein Geständnis von mir zu bekommen. Jetzt versuchte sie es auf andere Weise. Sie lud meine Familie ins Gefängnis ein. Sie stillte mich überreden, auszusagen. Nur meine Mutter erkannte mich. Ich wog damals nur noch 30 Kilogramm. Wegen all der Schläge waren mir fast alle Haare ausgefallen, meine Ohren waren geschrumpft. Die Haarsträhnen, die mir noch geblieben waren, klebten durch mein getrocknetes Blut zusammen. Alle meine Besucher weinten und klagten. Eine Schwester lief kurz davon und kam mit Kräcker und Traubensaft zurück. Als ich das sah, brach ich einen Kräcker, segnete ihn und gab ihn meiner Frau, meiner Mutter und den anderen Mitstreitern und Verwandten. Dann schenkte ich den Traubensaft aus. Alle neigten den Kopf und empfingen das Mahl des Herrn. Es war die erste Nahrung, die ich seit 74 Tagen zu mir nahm.
Vom 25. Januar 1984 bis zum 7. April 1984 hatte ich nichts gegessen und getrunken. Die Gefängnisbeamten schienen verwirrt zu sein Sie hörten zwar unsere Worte, verstanden aber; nicht, was hier vor sich ging. Schließlich nahmen sie wieder ihre üblichen Gewohnheiten an und zerrten mich weg. Als ich zurück in der Zelle war, kam der Heilige Geist über mich, und ich verkündigte meinen Mitgefangenen das Evangelium. Ich erzählte ihnen, dass nur Jesus sie retten kann. Nachdem ich gesprochen hatte, war es, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Die Männer fielen nieder auf die Knie und bereuten ihre Sünden. Weil wir nicht viel Wasser hatten, nahm ich nur ein paar Tropfen, um jeden von ihnen zu taufen. Die Atmosphäre in der Zelle war völlig verändert. Vorher hatten Hass und Selbstsucht regiert. Nun herrschten Freude und Frieden. Wenn die Gefangenen in den Hof gehen durften, nahmen sie jede Gelegenheit wahr, um anderen das Evangelium zu verkünden.
Unter 5.000 Kriminellen
Vom Volksgericht wurde ich wegen Verschwörung gegen die Regierung zu vier Jahren Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt. Ich wurde in ein Arbeitslager mit 5.000 Kriminellen gesteckt. Wir arbeiteten vierzehn Stunden täglich und das sieben Tage die Woche. Wir hoben Fischteiche aus. Wenn unsere Kräfte nachließen, schlugen uns die Aufseher mit Gewehrkolben. Ich war so erschöpft, dass ich nur noch für Essen und Schlafen lebte. Als ich das erkannte, tat ich Buße vor dem Herrn und nahm mir vor, um fünf Uhr morgens und neun Uhr abends "Stille Zeit" mit meinem Herrn zu halten. Er verwandelte meine Schwäche in Stärke, und nun konnte ich die Arbeitsbelastung besser ertragen. Viele Gefangene kamen aus zerrütteten Familien. Ich verkündete ihnen das Evangelium, und einige entschieden sich dafür, Jesus nachzufolgen. Wir tauften die Neubekehrten im Fischteich. Nach vier Jahren wurde ich entlassen und setzte meinen Dienst fort. Trotz der Verfolgung wurden immer mehr Menschen Christen, darunter auch viele Mitglieder der Kommunistischen Partei. Eine Erweckung ging durch die Gemeinden, Gebetstreffen dauerten oft eine ganze Nacht. Christen aus der ganzen Welt brachten Bibeln ins Land, die von der Hauskirche dringend gebraucht wurden. Die Christen in den Hauskirchen liebten es, lange Predigten zu hören. Viele chinesische Prediger konnten mehrere Stunden predigen, ohne eine Pause zu machen. Dann predigten sie nach einer Mahlzeit wieder viele Stunden. Unsere Mitarbeiter waren nie in einem Theologischen Seminar gewesen, aber sie waren mit dem Heiligen Geist erfüllt. Die Menschen waren erstaunt über ihre Lehre, und der Name Jesu verbreitete sich.
Bald 100.000 Missionare
Wir riefen die Bewegung "Evangeliumsmonat" ins Leben. Zwischen Weihnachten und Neujahr sollte jedes Gemeindeglied mindestens drei Menschen zu Christus führen. Nach der ersten Initiative des Evangeliumsmonats wurden 13.000 Menschen getauft! Diese jungen Christen wurden geschult und aufgefordert, am Evangeliumsmonat des nächsten Jahres teilzunehmen. So wurden zwei Jahre nach Beginn dieser Initiative 123.000 Menschen getauft! Bis zum heutigen Tag wird der Evangeliumsmonat weitergeführt und hat zum explosionsartigen Wachstum der Hauskirchen in China beigetragen. Heute sind etwa 60 bis 90 Millionen Chinesen Christen. 100.000 von ihnen wollen wir in den nächsten Jahren als Missionare in andere Länder schicken! Wir begreifen nun auch, dass die letzten dreißig Jahre Leiden, Verfolgung und Folter, die die Hauskirchen in China durchgemacht haben, ein Teil von Gottes Trainingsprogramm für uns war. Der Herr hat uns vorbereitet, als Missionare in die muslimischen, buddhistischen und hinduistischen Länder zu ziehen. Unsere Missionare haben eine gute Ausbildung: Sie wissen, wie man für den Herrn leidet und wie man für ihn in allen Umständen Zeugnis ablegt - in Zügen und Bussen oder im Polizeiwagen. Man kann uns kaum etwas antun was wir nicht schon erlebt haben. Schlimmstenfalls kann man uns töten, doch das bedeutet ja nur, dass wir für alle Ewigkeit in die Gegenwart unseres Herrn geführt werden! Wir beten nicht darum, eine leichtere Last tragen zu müssen, sondern dass wir einen stärkeren Rücken bekommen! Dann wird die Welt sehen: Gott ist mit uns und verleiht uns die Kraft, so zu leben, dass wir seine Liebe und Macht offenbaren.
Anmerkung der Redaktion:
Nach zwei weiteren Gefängnisstrafen gelang Yun 1997 die Flucht aus dem Hochsicherheits-Gefängnis in Zhengzhou. Ein Chinese aus Taiwan ermöglichte ihm die Flucht nach Deutschland. Seit 2001 lebt er mit seiner Frau und zwei Kindern in Nidda (Hessen) und arbeitet als Pastor im weltweiten Reise dienst für das evangelikale Aktionskomitee für verfolgte Christen.
Liu Zhenying