Auf der Suche nach einer neuen Beschäftigungstherapie, eigentlich nur um den Schein (ein braver, gleichgeschalteter und gutgläubiger Bürger zu sein) zu wahren, und vor allem um weiteren freiheitsberaubenden Maßnahmen vorzubeugen, sprach ich einfach auf Empfehlung eines Freundes bei einer dieser dubiosen Sklavenhändler vor, heutzutage vielen wohl eher unter der politisch korrekten Bezeichnung "Zeitarbeitsfirma" bekannt. Ich wurde während dieses Vorsprechens vor die Wahl gestellt: Entweder in einer Art von Callcenter zu hocken und den ganzen Tag nur zu telefonieren, oder in einem Lager, sogar realtiv nah zu meinem Wohnort, auszuhelfen. Da ich nicht nur einfach irgendeine Beschäftigungstherapie suchte, sondern dazu auch noch eine mit dem geringst möglichen Maß an Verantwortung, entschied ich mich für Letzteres. Zumindest würde bei dieser Art von Beschäftigung mein Kopf frei bleiben, im Gegensatz zu meiner vorherigen Beschäftigungstherapie, und ich nahm mir vor, dabei nicht zu sehr hinter die Kulissen zu blicken um mir den Spaß nicht vorschnell zu verderben...

Ich unterschrieb also einen Arbeitsvertrag bei meinem Sklavenhändler, (dessen Namen ich zur Wahrung meiner Pseudo-Anonymität leider im Moment nicht preisgeben kann und um vor allem auch den verhältnismäßig überbezahlten Abmahnanwälten, die ja nicht gerade freundlich gegenüber der Meinungsfreiheit gesinnt sind, die Arbeit nicht zu einfach zu machen) und erklärte mich bereit, für eine Firma mit Namen "Docdata" zu arbeiten. Ich fragte meinen Sklavenhändler vorher natürlich worum es bei meiner neuen Beschäftigungstherapie in etwa gehen würde und dieser entgegnete mir nur: "Kennen Sie diese Werbung von Zalando.de?!" Zufälliger Weise handelte es sich bei meinem Sklavenhändler um eine Frau und sie sprach von Zalando.de mit einer wahnsinnigen Begeisterung oder so, als hätte sie beiläufig nicht erwähnt, dass in meinem Arbeitsvertrag eigentlich von Docdata, und nicht etwa von Zalando, die Rede ist. Mehr als Lager, Schuhe und Zalando.de brauchte ich eigentlich nicht wissen, um zu wissen mit wem ich es zu tun hatte, denn um diese Art von Gewerbe zu führen braucht man schon die Mentalität eines Crack-Dealers! Wenn man von der Abhängigkeit und dem Leid, oder meinetwegen auch von der Krankheit, also einer Art Sucht, eines anderen profitiert und man damit auch noch Geld verdient, warum sollte ich dann nicht auch davon profitieren und mir einen Teil vom Kuchen holen?! - Weil ich keine seelenlose Arbeitsmaschine bin und ich ein Gewissen habe! - Es machte mich auch ein wenig stutzig, dass ich einfach so den Arbeitsvertrag unterschreiben konnte ohne das ich irgendwie vorher Probearbeiten sollte, aber dafür sollte es natürlich auch einen guten Grund geben! Das einzige womit mein Sklavenhändler meine Kompetenzen prüfte, war ein mehrseitiger Multiple-Choice Fragebogen, den man, wenn man denn die Deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrscht, selbst mit wenig gesundem Menschenverstand, ohne zuvor jemals irgendetwas mit Lageristik zu tun gehabt zu haben, ohne weiteres hat lösen können. Dann drückte man mir daraufhin noch ein Paar Arbeitsschuhe und eine Wegbeschreibung in die Hand und ich nahm mir vor, meine Beschäftigungstherapie wenigstens drei Monate lang durchzuhalten, um nicht die Arbeitschuhe aus eigener Tasche bezahlen zu müssen. - Aber eigentlich machte das in Wirklichkeit natürlich keinen Unterschied, denn ich musste die 15 €, die meine Arbeitsschuhe angeblich wert waren, so oder so aus eigener Tasche bezahlen.

Montag morgen, der 6. Juni 2011, die Frühschicht begann bei Docdata um 6 Uhr. Als zeitweise nachtaktiver Mensch bekam ich die Nacht zuvor natürlich kein Auge zu, denn eigentlich spielte ich sonst um diese Uhrzeit immer mit dem Gedanken, wann in etwa ich wohl schlafen gehen würde. Nachdem ich mir also, aus meiner Sicht am späten Abend, in aller früh meinen Weg in das Gewerbegebiet gebahnt und die richtige Adresse gefunden hatte, hielt ich Ausschau nach dem "Mann mit dem Anzug" und traf mich mit einer Gruppe von Neuankömmlingen, die vom gleichen Sklavenhändler zu dieser Beschäftigungstherapie verdonnert wurden, vor der etwa 2000 m² großen und gut 15 Meter hohen Lagerhalle von Docdata. Zu dieser Schicht versammelten sich insgesamt etwa 300 Leute und der Grund ihrer Anwesenheit waren schlicht und ergreifend: Schuhe und Klamotten. Von Akkordarbeit hatte mir mein Sklavenhändler allerdings nichts erzählt und davon stand auch aus gutem Grund kein Sterbenswort in meinem Arbeitsvertrag, doch zumindest sollten die ersten Stunden noch relativ entspannt von statten gehen. Schon nach wenigen Augenblicken, eigentlich unmittelbar nachdem ich die Lagerhalle betreten hatte, fielen mir neben den vielen uniformierten Wachmännern vier Stapel Platten auf, die man aus Kostengründen als Tische umfunktioniert hatte. Über jedem Palettenstapel war ein Zettel angebracht auf dem die Namen diverser Zeitarbeitsfirmen zu finden waren, damit man sich bei seinem zugehörigen Sklavenhändler einreihen konnte um mit einer Unterschrift seine Anwesenheit zu bestätigen. Es waren etwa zehn verschiedene Zeitarbeitsfirmen mit denen Docdata "zusammenarbeitete" und irgendwie fand ich diese Konstellation ein wenig merkwürdig, doch schaute ich mich während der Wartezeit erst einmal ein an meinem neuen Arbeitsplatz um. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viele Schuhkartons auf einem Haufen gesehen, diese waren in riesigen Regalen bis unter die Decke gestapelt und diese dekadenten Dimensionen wirkten schon recht beeindruckend auf mich. Man stelle sich einfach ein etwa 10 Meter hohes Regal gefüllt mit Schuhkartons vor, vor dem man ein vierstöckiges Gerüst aufgebaut hat, nur das dieses Regal dazu halt noch ziemlich breit und tief ist. Doch irgendwie machte diese ganze Einrichtung den Eindruck, als würde es völlig chaotisch von statten gehen und ich stand inmitten von alledem und wartete einfach mit den anderen Neuankömmlingen, die genauso hilflos waren und deplatziert wirkten, auf die Dinge die da noch folgen sollten. Das hatte schon ein wenig Knast-Atmosphäre, wie die Wachmänner von hoch oben in den begehbaren Regalen auf die Arbeiter herunter schauten, ich kam mir also irgendwie mal wieder vor wie ein Sträfling oder wie ein potentieller Schuh-Dieb. Dann hörte ich nach einer gewissen Wartezeit irgendwelche gebrochenen deutschen Laute und mit Hand und Fuß wurde mir erklärt, dass man mich für eine Unterweisung im professionellen Falten von Kartons zugeteilt hatte. Da von den meisten der dort Anwesenden die Muttersprache Polnisch war, wurde diese Unterweisung natürlich aus Kostengründen auch auf Polnisch gehalten, ich verstand also nur Bahnhof. Man schickte mich mit einem weiteren Mithäftling, der so wie ich kein Polnisch konnte, zu einem anderen Vorarbeiter, damit dieser uns auf Deutsch im professionellen Falten von Kartons einweisen konnte. Es gab eigentlich nur vier verschieden große Kartons in denen man die Botten und Lumpen mit etwas Füllmaterial einzupacken hatte, und diese dann zum Schluss mit einem Aufkleber, auf dem die Lieferadresse geschrieben stand, versehen musste. - Eine Arbeit für Idioten, und ich wurde auf die Probe gestellt, wie viel Prozent Idiot in mir steckt und wie lange ich durchhalten würde.

Es ist einfach nur erstaunlich, wie viel man bei einer solchen Tätigkeit falsch machen kann, denn alles sollte nach strenger Vorschrift erledigt werden und die Anforderungen, die Zalando an seine Pakete stellt, sollten erfüllt und das Paket in einem einwandfreien Zustand verschickt werden. (Damit dieses beim Kunden, wie von einem Cracksüchtigen, mit zittrigen Händen für den Konsum aufgerissen werden kann) Doch ich kam nicht dazu mich mit dieser stumpsinnigen Tätigkeit sonderlich vertraut zu machen, denn von meinem Vorarbeiter wurde ich, kurz nachdem ich die ersten Kartons gefaltet hatte, zu einer anderen Beschäftigung abkommandiert. Ich habe immer ein großes Glück was solche Dinge betrifft, allerdings habe ich dafür zum Ausgleich auch jede Menge Pech. Nun durfte ich also die von den Neuankömmlingen verpackten Pakete ("Neue sollen Pakete nur unter Aufsicht und nicht am Fließband packen") auf die oberflächliche Beschaffenheit hin kontrollieren und diese mit einem Lesegerät einscannen, um sie im Anschluss auf einer Palette zu stapeln. Das zog sich ganz schön in die Länge bis die fertigen Pakete von alleine bei mir an der Endkontrolle ankamen, und da die anderen Neuankömmlinge nicht am Fließband standen, blieb mir nichts anderes übrig als mir die Zeit zu vertreiben indem ich zu den einzelnen Einarbeitungsarbeitsplätzen hin ging und mir die einzelnen Pakete abholte, sie im Anschluss einscannte und auf einer Palette stapelte. Als ich die erste Palette voller Schuhkartons hatte durfte ich diese mit Stretchfolie einwickeln, die Palette mit einem Hubwagen quer durch die Lagerhalle fahren und diese dann in einen LKW-Container abstellen. Dabei wäre mir beim ungeübten Rangieren die ganze Palette mitsamt Hubwagen beinahe seitlich die Laderampe runtergerollt und etwa 1,5 Meter tief gefallen, doch rette mich mein Reaktionsvermögen im letzten Moment vor einer vorzeitigen Kündigung. Doch ins Schwitzen kam ich dadurch alle male, denn ich war kaum zwei Stunden an meiner neuen Arbeitsstelle und hatte schon beinahe einen Hubwagen mitsamt Ladung geschrottet, irgendwie wurde ich also das Gefühl nicht los, dass das alles nur schief gehen kann. Nachdem ich drei Paletten für die Versendung fertig verpackt und in den Container geladen hatte, wurde es für die Neuen endlich an der Zeit, um an eines der Fließbänder zu gehen. Nun war ich klar im Nachteil, denn meine mehr oder weniger fleißigen Kollegen hatten zuvor schon mehr als drei Stunden Zeit gehabt um sich mit dem professionellen Falten von Kartons vertraut zu machen, und ich hatte den Arbeitsablauf noch immer nicht wirklich drauf. Aber so wirklich viel zu lernen hatte man nicht gerade, denn ein jeder Idiot kann eigentlich einen Karton falten und neben dem bestellen Zeug auch noch einen Flyer und einen gratis Katalog mit beigeben. Die Kataloge waren natürlich nur dazu da, um den Kunden in weitere Verbindlichkeiten zu verwickeln, halt eine Art von Konsum-Teufelskreislauf, denn nach der Bestellung ist vor der Bestellung!

Man stelle sich die Tätigkeit als Packer am Fließband in etwa wie das Leben eines Huhns in einer Legebatterie vor: Alle 60 Sekunden muss ein Ei, bzw. ein fertig gepacktes Paket, auf das Fließband gelegt werden. - Ich kam mir auch ein bisschen vor wie ein aufgescheuchtes Huhn, als man mich kurz vor der Mittagspause darauf hinwies, dass ich um ein Paket pro Minute zu schaffen, mein Tempo doch etwas erhöhen müsste, aber von Akkordarbeit stand ja eigentlich, wie bereits erwähnt, nichts in meinem Arbeitsvertrag geschrieben. Da ich ja noch dabei war mir das professionelle Falten von Kartons anzueignen und ich noch immer an meiner Technik feilte, war auch noch keine Spur von der, sonst so schnell an meine geistigen Türe klopfenden, Routine zu finden und auch die Mittagspause sorgte für eine willkommene Abwechslung an meinem ersten Arbeitstag bei Zalando.de - Verzeihung, ich meinte natürlich meinen ersten Arbeitstag bei Docdata. Oder war es mein erster Arbeitstag für meine neue Zeitarbeitsfirma oder doch eher mein erster Arbeitstag für meinen neuen Sklavenhändler?! - Um bei der Wahrheit zu bleiben: Ich arbeitete von nun an also für Ervian Haub, meinem neuen Herren und Meister!

Wir lesen uns, nach einer kurzen Mittagspause, im dritten Teil!