III. Teil

1. Worte gesagt von Osiris Iu-ef-anch, dem gerechtfertigten, geboren von Scheret-Min, der gerechtfertigten.
2. Seid gegrüßt, Ihr Götter, die in der Halle der beiden Maati sind, in deren Leibern keine Falschheit ist, die leben von der Wahrheit in Heliopolis, und die die Herzen (der Sünder) verschlingen angesichts des (Gottes) Horus in seiner Sonnenscheibe! Rettet mich vor dem (Dämon) Baba, der von den Eingeweiden der großen (Sünder) lebt, an jenem Tag der großen Abrechnung.
3. Seht, Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, kommt zu euch! Er hat keine Sünden und keine Missetaten (begangen), es gibt keine Anschuldigungen (gegen ihn) und niemanden, gegen den er irgendetwas getan hat. Er lebt von der Wahrheit, er verschlingt die Wahrheit.
4. Er macht Freude. Er tat, was die Menschen empfehlen, und woran sich die Herzen der Götter beruhigen. Er befriedigte Gott mit dem, was er liebt. Er gab Brot dem Hungrigen, Wasser dem Durstigen und Kleidung dem Nackten. Er gab ein Boot dem, der keines hatte. Er brachte den Göttern Gottesopfer dar, und Totenopfer den Verklärten.
5. So rettet ihn denn, so beschützt ihn denn, weil ihr ihn nicht verklagen dürft vor dem Herrn der Heiligen, denn sein Mund ist rein und seine Hände sind rein.
6. Willkommen! wird ihm gesagt von denen, die ihn sehen, denn Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, hat jene lauten Worte gehört, die der Esel zum Kater sagte, in dem Haus von dem, dessen Mund offen ist. Der Esel ist Seth, der Kater steht für Rê. Hier geht es um das Verhör des Seth im Tribunal wegen des Osiris-Mordes (Pyramidenspruch 477).
7. Als Fährmann (als der, der mit dem Gesicht in seinem Rücken schaut) war er (der Verstorbene) zeuge, wie er (Seth) schrie. Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, sah das Spalten des Persea-Baumes an seiner Seite in Ro-setau. Er ist ein Helfer der Götter, wohlbekannt in ihren Städten.
8. Er ist hierher gekommen, um Zeugnis zu geben für die Wahrheit, denn er ist rein. Um der Handwage ihre richtige Stellung zu geben im Bereich der Trefflichen. Das Spalten des Persea-Baums steht im Zusammenhang mit dem Sonnenaufgang in Heliopolis (Totenbuch Spruch 17), wo die Götterbarken warten. Ro-Setau ist eine Gegend im Jenseits, aber auch Bezeichnung für die Nekropolen von Giseh und Saqqara.
9. Oh Du, der hoch aufragt auf seiner Standarte, für den der Name "Herr der Winde" geprägt wurde! Rette Osiris Iu-ef-anch, den gerechtfertigten, aus den Händen dieser Deiner Richter der Verbrechen, die gnadenlos Strafen (Blutvergiessen) verhängen. Der Herr der Winde ist Osiris.
10. Denn Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, geboren von Scheret-Min, der gerchtfertigten, tat, was gerecht ist für den Herrn der Gerechtigkeit. Er ist rein. Sein Herz ist rein. Sein Vorderteil ist rein, sein Hinterteil ist gereinigt. Sein Mittelteil war im Teich der Gerechtigkeit.
11. Keines seiner Glieder ist in Sünde. Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, hat in jenem Teich im Süden gebadet und gerastet am Brunnen nördlich vom Heuschreckenfeld.
12. In ihm baden die Glücklichen in der vierten Stunde der Nacht und in der achten Stunde des Tages, zusammen mit denen, die den Herzen der Götter wohltun, nach ihrer Reise, bei Tag oder bei Nacht. Das Heuschreckenfeld ist am Osthimmel: "Die, welche die beiden Heuschreckenfelder bewachen, zittern, wenn der Verstorbene als Gott des Morgens erscheint." (Sargtexte, Spruch 720)
13. "Laß ihn kommen" sagen sie, die Götter, "Osiris Iu-ef-anch, den gerechtfertigten, geboren von Scheret-Min, der gerechtfertigten." Wer bist Du? sagen sie zu ihm. Was ist Dein Name? sagen sie zu ihm.
14. Ich bin Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, geboren von Schert-Min, der gerechtfertigten. Der Sproß unter den Papyrus-Pflanzen. Der in seinem Ölbaum ist, der Name von Osiris Iu-ef-anch, dem gerechtfertigten. Außer seinem irdischen Namen gibt der Verstorbene noch zwei geheime Namen an, die ihn als Gott ausweisen sollen: der "Sproß unter dem Papyrus" ist der junge Horus, der sich im Sumpfdickicht vor Seth versteckt hat, und "der in seinem Ölbaum" ist seit dem Alten Reich in Memphis belegt, vielleicht Ptah, Thot oder Horus. Genannt wird er auch im Totenbuch Spruch 17. "Wo kamst Du vorbei?" sagen sie zu ihm. "Ich kam am Heiligtum nördlich des Olivenbaums vorbei." "Was hast Du dort gesehen?" "Den Fuß und die Schulter!" Das o.a. Heiligtum ist Naref, Stadt des Osiris. Fuß und Schulter sind Leichenteile des Osiris nach dessen Zerstückelung durch Seth. Naref besitzt die Füße, zwei Rippen, den Kopf und eine Schulter).
15. "Was hast Du zu ihnen gesagt?" "Ich sag das Klagen in jenen beiden Ländern der Fenechu." (Die Fenechu sind ein asiatischer Volksstamm. Der Tod des Osiris wurde also auch in entlegenen Ländern beweint).
16. "Was hat man Dir gegeben?" "Es war eine Flamme aus Feuer und ein Papyrus-Amulett aus Fayence." "Was hat Du damit gemacht?" "Ich setzte sie bei an jenem Rand des Beckens von Maa, zur Zeit des Abendmahls." (Das Becken von Maa war ein künstlicher See in der Nähe von Herakleopolis (Totenbuch Spruch 15). Flamme und Amulett wurden an der dortigen Osiris-Kultstätte niedergelegt).
17. "Was hast Du gefunden, an jenem Randes des Beckens von Maa?" "Dieses Was-Zepter aus Feuerstein." "Hast Du es herausgenommen?" sagten sie.
"Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, geboren von Scheret-Min, der gerechtfertigten, hat es herausgenommen". "Was ist mit dem Was-Zepter aus Feuerstein?" "Spender der Atemluft ist sein Name." (Spender der Atemluft ist ein Beiname von Osiris und Thot, das Was-Zepter war wohl ein Amulett für die Teilnehmer an den Osirismythen).
18. "Was machst Du mit der Flamme aus Feuer und dem Papyrus-Amulett, nachdem Du sie beigesetzt hast?" "Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, geboren von Scheret-Min, der gerechtfertigten, beweint sie, und dann nimmt er sie heraus und löscht die Flamme und zerbricht das Papyrus-Amulett oder wirft sie ins Wasser- var.: entweder oder -". Gegenstände, die bei Mysterien eine Rolle gespielt haben, wurden anschließend zerstört. Der Verstorbene hat bewiesen, dass er sich im Osiris-Kult gut auskennt, die Götter sind zufrieden).
19. "Komm und tritt ein in die Halle der beiden Maati, denn Du kennst uns!"
(So einfach war der Eintritt dann wohl doch nicht, denn auch die Bauteile der Halle prüfen den Verstorbenen)
20. "Ich lasse Dich nicht durch mich eintreten", sagt der Pfosten von dieser Türe, "wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Das Lot in der richtigen Stellung ist Dein Name." "Ich lasse Dich nicht durch mich eintreten", sagt der rechte Türflügel von dieser Türe, "wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Verwalter der Gerechtigkeit ist Dein Name."
21. "Ich lasse Dich nicht durch mich eintreten", sagt der linke Türflügel von dieser Türe, "wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Verwalter des rechten Urteils ist Dein Name."
"Ich lasse Dich nicht über mich wegschreiten", sagt die Schwelle von dieser Türe, "wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Pfeiler des (Erdgottes) Geb ist Dein Name."
22. "Ich öffne Dir nicht", sagt der Riegel, "wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Geschenk -geboren- von der Göttin Mut ist Dein Name."
23. "Ich öffne Dir nicht" sagt das Loch des Riegels, "und ich lasse nicht zu, dass der Bolzen dieser Türe hervorkommt, wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Lebendes Auge des Sobek, des Herrn von Chebtet (im Fayyum) ist Dein Name."
24. "Ich lasse Dich nicht passieren, ich öffne Dir nicht" sagt der Türrahmen, "wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Schlinge des Schu, die er als Schutz dem Osiris gab, ist Dein Name."
25. "Ich lasse Dich nicht bei uns vorbeigehen" sagen die Querhölzer, "wenn Du uns nicht unseren Namen nennst!" "Jungen der Schlange ist euer Name." "Du kennst uns, so passiere!"
26. "Tritt nicht auf mich!" sagt der Fußboden dieser Halle. "Aber warum? Ich bin doch rein!" "Weil Du nicht die Namen Deiner Beine kennst, mit denen Du auf mich treten willst, (oder) sag es mir!" "Fewand des Min, ist der Name meines rechten Beins. Blüte der Nephtis ist der Name meines linken Beins." "Tritt auf uns, denn Du kennst uns!"
27. "Ich melde Dich nicht an" sagt der Türhüter, "wenn Du mir nicht meinen Namen nennst!" "Der die Herzen erkennt und den Körper prüft, ist Dein Name". "Ich melde Dich bei demjenigen an, der im Dienst ist, aber wer ist der Gott im Dienst?"
28. "Sag es dem Dolmetscher der Beiden Länder" "Aber wer ist der Dolmetscher der Beiden Länder?" "Das ist Thot."
29. "Wer bist Du?" sagt Thot, "und warum bist Du gekommen?" "Osiris Iu-ef-anch, der gerechtfertigte, geboren von Scheret-Min, der gerechtfertigten, ist gekommen, um angemeldet zu werden." "In welchem Zustand befindest Du Dich?" "Siehe, ich bin rein (von allem Verbotenen). Ich bin rein."
30. "Ich habe mich gehütet vor den Feinden der Diensttuenden (Götter). Ich bin keiner von ihnen." "Und wem soll ich Dich melden?" "Melde mich dem, dessen Halle aus Feuer besteht. Seine Wände sind lebendige Kobras, und sein Fußboden ist die Flut." "Wer ists?" "Es ist Osiris."
31. "So komm denn weiter, denn siehe, Du bist angemeldet. Dein Brot ist das Auge des Horus und Deine (anderen) Totenopfer sind das Auge des Horus. Gerechtfertigt ist Osiris Iu-ef-anch, gerechtfertigt immerdar."

Postscriptum

32. "Worte zu sprechen von einem Mann, der rein ist und ein neues Kleid angezogen hat, beschuht mit weißen Sandalen, gesalbt mit bestem Myrrhen-Öl. Er soll ein Opfer machen von Brot, Bier, Rindern, Vögeln, Weihrauch und allen Kräutern.
33. Du sollst dieses Bild machen, gezeichnet auf einen reinen Grund mit nubischem Ocker, herausgenommen aus einem Boden, auf den noch kein Gespann (zum Pflügen) getreten ist.
34. Der, für den dieses Buch gemacht ist, wird mit Kindern von seinen Kindern gesegnet sein. Kein Unglück wird ihm zustoßen. Er wird ein Vertrauter des Königs und seiner Hofleute sein. Man gibt ihm Kuchen, einen Laib Brot, Milch und ein großes Stück Fleisch vom Altar des großen Gottes.
35. Er wird nicht zurückgewiesen von irgendeiner Türe des Westens (d.i. das Jenseits), sondern er wird sie passieren zusammen mit den Königen von Ober- und Unterägypten. Er wird ein Gefolgsmann des Osiris sein. (Ausprobiert) als erfolgreich Millionen Male."

Weiterführende Literatur: Jean Yoyotte: "Le jugement des morts" (Sources orientales 4, Paris 1961); Jan Assmann: "Maa.t, Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten" (München 1990)