@norgeviking ich hab mal ein paar alte sagen ausgeschlachtet und daraus eine kurzgeschichte gemacht
wer lust hat mal ein bisschen mehr zu lesen:
Audhumbla erzählt
1. Ladehemmungen
Dirk hasste seinen Job. Zwar war er nie ein großer Tierfreund gewesen aber jedes Mal wenn er einem der Wiederkäuer das Bolzenschussgerät an die Stirn setzte musste er wegsehen. Die meiste Zeit probierte er einfach nicht über seine Arbeit nachzudenken. Sie war nicht gut bezahlt aber sie war das einzige was ihm noch im Leben geblieben war seid dem Claudia ihn verlassen hatte.
Die Kuh kam herein. Er legte an, drückte ab und die Automatik erledigte den Rest.
Wie ein Erschießungskommando auf Rädern.
Er setzt das Bolzenschussgerät an die Stirn seines nächsten Opfers und drückte ab.
Normalerweise folgte jetzt ein Zischen und Ploppen gefolgt von einem letzten erstickten Muhen, bevor die Kuh in sich zusammenklappte.
Doch es geschah nichts. Er spürte nur eine raue Klebrige Kuhzunge an seiner Hand.
Erschrocken zog er das Mordinstrument zurück. Ein mulmiges Gefühl nahm von seinem Körper Besitz und er drehte dem Tier schnell den Rücken zu.
Er rüttelte am Abzug und betrachtete dann das Gerät von allen Seiten.
„Hm. Ladehemmungen was?“
„Ja scheint so.“ Antwortete er automatisch. Er schreckte auf und blickte sich um. Doch da war niemand, niemand außer der Kuh die ihren großen Kopf über seine Schulter gehievt hatte und mit ihm das Bolzenschussgerät musterte.
Er starrte die Kuh an und die Kuh starrte zurück. In ihrem Blick lag eine unendliche Ruhe und Teilnahmslosigkeit als hätte sie schon alle Wunder der Welt gesehen und für nichtig befunden.
„Äh … Muh?“ unterbrach die Kuh die Stille.
„Puh, für einen Augenblick hab ich wirklich an meinem Verstand gezweifelt“ Dirk wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und hinterließ dabei eine Fleck Tierblut auf seiner Haut.
Die Kuh starrte auf den Fleck „Ja. Du bist wirklich arm dran!“ Er hätte schwören können das er einen sarkastischen Unterton in der Stimme der Kuh bemerkt hätte.
„Du und deine kleinen Problemchen. Buhu Claudia hat mich verlassen. Ich kriege nicht genug Geld und das Bolzenschussgewehr funktioniert nicht mehr. Dass alles hier wäre nicht existent ohne mich und doch werde ich mit einem Stahlbolzen zwischen den zwei Augen enden die den Anfang von allem gesehen haben. Ich werde degradiert zu einem Stückchen deformiertem Fleisch ertränkt in Spezialsoßen die vor 10 Jahren noch unter ein Chemiewaffenverbot gefallen wären. Die Welt die ich mit erschuf ist nicht gerecht und vielleicht ist das ja meine gerechte Strafe.
Denn ich bin das Kalb und die Zunge die Urkuh Audhumbla.“
„Bitte wer?“ blökte Dirk hysterisch. Als der tiefe Tenor der Stimme der Urkuh in der Schlachtereihalle verhalt war und er wieder Raum in seinem Kopf fand, um Gedanken zu artikulieren. Woher konnte sie nur all das über ihn wissen. Es gab nur eine Erklärung. Er hatte den verstand verloren.
Die Kuh rollte theatralisch mit den großen dunklen Augen.
„Nein! du bist nicht verrückt.“ Nach einer langen pause begann Dirk zu sprechen.
„kannst du etwa meine Gedanken lesen?“
„Bingo der Kandidat hat hundert Punkte. Ich muss schon sagen, du hast die scharfe Auffassungsgabe eines Reifriesens und die haben nicht mal genug Hirn um einen halben von ihren sechs Köpfen zu füllen. Ich hab doch schon gesagt ich bin Audhumbla natürlich kann ich Gedanken lesen. Oh, Odin. Womit hab ich das nur verdient?“
Dirk erlebte völlig neue Dimensionen der Verwirrung.
„Von was zum Teufel redest du?“
„Audhumbla, Ymir, Odin, Reifriesen. Die Erschaffung der Welt. Klingelt es da nicht? Oh Mann ich hab wirklich Angst davor selber in deinem Kopf nach zu schauen.
Was lernt ihr Kinder heutzutage in der Schule?“
„Ich war ganz gut in Mathematik.“ antwortete Dirk geistesabwesend.
„Dann rechne mal Eins und Eins zusammen Einstein. Entweder wir stehen hier weiter herum und plaudern oder du holst ein neues Bolzenschussgewehr und beendest dieses intellektuelle Fiasko.“
„Aber ich könnte doch niemals ein Wesen umbringen dass sprechen kann.“
„Dann solltest du dir schnell was einfallen lassen, denn Herr Kruntz wird jede Sekunde hier auftauchen.“
„Herr Kruntz mein Chef? Aber woher weißt du das?“
„Urkuh. Du erinnerst dich. Mächtige mystische Fähigkeiten und so weiter.“
Dirk wurde sich bewusst dass die nachkommenden Kühe ungeduldig zu muhen begonnen hatten. „OK, ich hohl dich hier raus.“ Hektisch begann er an seinen Schlüsselbund nach dem passenden Schlüssel für das Gatter zu suchen. Das Geblöke der anderen Kühe erreichte schon die Lautstärke eines Ferienstaus voller frustriert hupender Familienväter.
„Lass gut sein, wenn man erst mal so alt ist wie ich, dann kann es einem ziemlich egal sein, ob man lebt oder stirbt.“ Redete Audhumbla ruhig auf Dirk ein der einen Schlüssel nach dem anderen an dem Schloss probierte.
„Vergiss es. Ich kann keine Kuh umbringen, die mehr über mein Seelenleben weiß als mein Psychiater.“
Irgendwie war ihm das mit dem Gedanken lesen doch unheimlich dachte er als endlich der Schlüssel beim drehen die Stifte im Schloss in die richtige Position bewegte und es klackend aufsprang.
Er schaute sich hektisch um während er die Kuh die sich selbst Audhumbla nannte heraus winkte. Doch sie stand Still.
„Na gut aber nur weil du darauf bestehst“ seufzte die Kuh und trotte langsam und gemächlich aus dem schmalen Gang in die große Halle.
„Und wo willst du mich verstecken? Herr Kruntz hat mittlerweile den Lärm gehört und müsste in ungefähr 22 Sekunden hier sein.“ Verzweifelt durchstreifte Dirks Blick die Halle und blieb auf einer großen dunklen Plastikplane hängen. Klappernd zerrte er sie aus dem Gerümpel dass sie umgab. „Hier drunter schnell“ die Kuh rümpfte die große feuchte Schnauze. „Das ist nicht dein Ernst. Das Ding riecht nach Kuhblut.“ Von oben waren die knarzenden Schritte des Chefs auf der Treppe vom Büro über ihnen zu hören. „Jetzt ist wirklich nicht die Zeit“.
Bevor Audhumbla weiter protestieren konnte hatte er die Plane schon über die Kuh geworfen.
„Das ist eindeutig unter meiner Würde. Die Sache mit der Karriere bei Burger King klingt für mich immer verführerischer.“
„Sei still jetzt!“ zischte Dirk.
„Warum geht es hier nicht weiter?“ Donnerte es plötzlich hinter ihm. „Wir haben noch ein Soll für heute zu erreichen!“
Ertappt wandte Dirk sich um. „ Herr Kruntz Ich äh. Mein Bolzenschussgerät ist hinüber. Ich hab nur geschaut ob hier noch Eins liegt.“
Misstrauisch musterte Herr Kruntz Dirk. „Du weißt doch genau dass die alle im Lager hinten sind.“ Dirk spürte förmlich wie er vor den Augen seines Chefs zusammenschrumpfte. Ihm traten Schweißperlen auf die Stirn. Der Blick des Chefs wanderte über das Gesicht des schwitzenden Dirks und von Dirk herüber zur kuhförmigen Plastikplane.
„Sie haben doch nicht etwa getrunken“ Fragte er griesgrämig. „Nein nein Chef! natürlich nicht!“ wehrte Dirk entschieden ab und versuchte die Kuh mit seinem Körper vor den Blicken seines Chefs ab zu schirmen. Was ziemlich lächerlich wirkte da Audhumbla mehr als doppelt so groß war wie er. „Vielleicht sollten sie sich das Bolzenschussgerät mal anschauen Chef.“ probierte Dirk das Thema zu wechseln. „Bring es zu Technikabteilung und hohl dir ein neues.“ Grunzte der Chef „und dann wieder ab an die Arbeit“
„Ja mein Chef“ salutierte Dirk und hechtete los.
„Hast du nicht was vergessen?“ rief der Chef ihm nach und winkte mit dem defekten Bolzenschussgerät. „Oh Entschuldigung“ stotterte Dirk. Griff sich das Mordinstrument und eilte davon.
„Was soll ich mit dem jungen nur machen“ murmelte der Chef. Als Dirk verschwunden war. „Das gleiche hab ich mich auch schon gefragt“ glaubt er eine leise Stimme zu vernehmen.
Verwundert blickte sich der Chef um. Dann schüttelte er den Kopf und schleppte sich wieder die Treppe zu seinem Büro empor um sich seinen Bilanzen und der Flasche Cognac zu widmen die dort auf ihn warteten.
2. Eis und Abiogenese
Ein paar Stunden und etliche potentielle Big Macs später, ließ sich Dirk seufzend auf einem umgedrehten Eimer, neben der versteckten Audhumbla nieder und packte sein Pausenbrot aus.
„Bitte sag mir nicht dass da das drauf ist was ich denke?!“
„Wieso dass ist doch nur Roast B … oh entschuldige.“ Er kratze das Fleisch vom Brot und knabberte am nun sehr faden und trockenen Butterbrot. „Woher kommst du eigentlich? Bist du so eine Art Genexperiment?“ wider seufzte die Kuh theatralisch. Scheinbar liebte sie diese Rolle. „ Das hab ich dir doch schon gesagt. Ich bin Audhumbla die Urkuh ich bin älter als die Erde und alles was auf ihr wandelt.“
„Das versteh ich nicht.“
„Okay ich muss scheinbar von vorne anfangen. Im Anfang war nur Ginnungagap die große Leere.“
„du meinst die zeit vor dem Urknall?“
„Urknall so ein Schmarn.“
„Aber das ist wissenschaftlich bewiesen.“
„Erzähl ich die Geschichte oder du?“ Höhnte die Kuh beleidigt.
„Entschuldigung“ wenn man erst mal eine sprechende Kuh akzeptierte dann war es auch kein Problem mehr die grundlegenden wissenschaftlichen Fakten zu hinterfragen.
„Also im Anfang war Ginnungagap. Im Norden der Schlucht war Muspelheim das Land des Feuers und im Süden war Niflheim das Land aus Kälte und Eis. Riesige Gletscher reckten sich von Niflheim über Ginnungagap und schmolzen unter den züngelnden flammen von Muspelheim. Aus einem dieser Tropfen entstand ich aus dem anderen Ymir.“
„Wie soll das nun wieder möglich sein?“
„Keine Ahnung ich bin kein Biochemiker. Ich glaub Experten nennen das Abiogenese. Egal. Zu mindestens entstanden so Ymir und meine Wenigkeit.“
„Wer oder was ist Ymir?“
„Du stehst quasi gerade auf seinen Überresten.“
„Wie bitte?“ Dirk sprang auf und schaute zu Boden in Erwartung auf irgend etwas getreten zu sein. „Nein nein du verstehst das falsch. Lass mich weiter erzählen.“ Unter der Plastikplane räusperte sich die Kuh. „Ymir war der Urriese. Er hatte sechs Köpfe. Zwei auf seiner Schultern und jeweils einen auf jeder Hand und jedem Fuß. Und wenn ich Riese sage dann meine ich damit keinen Jack-und-die-Bohnenstange-Riesen sondern einen richtig riesigen Riesen. Mit Fingern so groß wie Planetoiden. Er trank von meiner Milch wenn er gerade nicht schlief und glaub mir das melken war weder für mich noch für ihn ein großes vergnügen. Auch wenn ich ihn nicht besonders mochte es waren gute Zeiten. Es gab noch nicht viel damals.
Im Grunde gab es gar nichts. Nur Eis und den Riesen.
Das war auch das einzige was ich zu fressen bekam. Das erstere versteht sich natürlich. Stell dir das vor. Tausende von Jahren nur salziges Eis schlecken. Hirnfrost ist gar keine Beschreibung dafür. Kurzum es waren einfache wenn auch nicht gerade kulinarisch erfüllende Zeiten.“ Dirks Magen knurrte. Das Butterbrot hatte ihn auch nicht gerade befriedigt. „Also Ymir hatte sich gerade an mir satt getrunken und sich für ein paar tausend Jahre für ein kleines Nickerchen hingelegt. Ich leckte so nichts ahnend an meinem Gletscher als plötzlich etwas zum Vorschein kam dass heutzutage die Karriere eines jeden Küchenchefs ruiniert hätte. Ein Haar. Ein Haar in meinem Essen. Ich war verständlicherweise entrüstet. Aber mangels Alternativen und auch ein bisschen aus Neugier leckte ich weiter. Wenn man vier Mägen hat und das hoch würgen von Vorverdautem zum täglichen leben gehört dann lässt man sich die Suppe auch nicht durch ein paar Haaren verderben. Ich leckte also weiter bis am nächsten Abend der Kopf und die Schultern eines Mannes zum Vorschein kamen. Klar ich bin eine Kuh und bestimmt kein Fan von Sodomie aber der Mann der da zum Vorschein kam sah wirklich ganz gut aus. Zu mindestens verglichen mit dem groben Riesen der bis dahin das einzige andere Wesen war das ich je gesehen hatte. Am ende des dritten Tages hatte ich den unbekannten endlich vollständig vom Eis befreit. Er war kein Riese aber immerhin 3 mal so groß wie du. Und er hatte eine Statur. Würde er heute noch leben hätte er locker der Gouverneur von Kalifornien werden können.“ Ein lautes Horn unterbrach Audhumblas Redefluss. „Ich muss wieder an die Arbeit“ sagte Dirk und erhob sich. Sein Magen knurrte immer noch. „Ja geh nur“ sagte der kuhförmige Plastiksack. „Ich lauf ja nicht weg.“
Dirk zermarterte sich den Kopf wie er Audhumbla nur aus der Schlachterei bringen sollte während er weitere Kolleginnen von ihr in die ewigen Jagdgründe beförderte. Da unterbrach ihn sein Chef. „Herr Klausen. Sie machen heute dicht. Wischen durch und schließen ab. Und das wird nicht als Überstunden bezahlt schließlich ist es ihre schuld das wir hinterher hängen.“ Dirk strahlte „klar Chef.“ Perfekt das war genau die Gelegenheit auf die er gewartet hatte.
Der Chef sah sein strahlen und schüttelte den Kopf. Er verstand diesen jungen nicht.
„Hast du das gehört Audhumbla? Flüsterte Dirk der Plastikplane zu. „Ja du musst heute aufwischen.“
„Nein das mein ich nicht. Wir haben eine Gelegenheit dich hier raus zu bringen.“
Der Vollmond am Himmel wurde diese Nacht Zeuge einer merkwürdigen Szene.
Ein dürrer junger Mann mit roten Haaren schob eine kuhförmige Gestalt die in eine schwarze Plastikplane wie in einen dunklen Umhang gehüllt war vor sich her zu einem Kleinwagen. Das seltsame Paar begann ein flüsterndes Streitgespräch als der junge Mann probierte seinen viel zu großen Partner auf die Rückbank zu quetschen. Es erklang ein schmerzerfülltes muhen und ein Ploppen und die Kuh war im Auto verschwunden. Der Mann blickte sich ängstlich um sprang dann in seinen Wagen und brauste davon in die Nacht.
„Hier solltest du erst mal sicher sein“ sagte Dirk erleichtert. „Sicher? Das ist ein Geräteschuppen. Ich hätte schon ein etwas weitläufigeres Domizil erwartet nachdem ich eine geschlagenen Stunde eingequetscht wie ein Dosensardelle auf der Rückbank deines Fiat Pan das verbracht habe.“
„Nicht so laut mein Vermieter darf dich nicht hören. Haustiere sind hier nicht erlaubt und ich glaub kaum das er für Nutzvieh eine Ausnahme macht. Wieso kennst du dich überhaupt mit Automarken aus.“
„Also erst mal verbiete ich mir die Bezeichnung Nutzvieh und zum anderen kennt man sich nun mal mit Autos aus wenn man älter ist als die industrielle Revolution selbst und die letzten 100 Jahre auf irgendwelchen Weiden neben Autobahnen verbracht hat.“ stellte die fest und murmelte dann leise „Wenn man einen Fiat Panda überhaupt ein Auto nennen kann.“
„Ich verdiene nun mal nicht viel. Im Vergleich zu meinem Zimmer oben ist der wagen noch ziemlich groß. Sei also froh das du hier schlafen kannst.“
Audhumbla musterte ihn und lächelte ihr altkluges Kuhlächeln.
„Du bist ein guter Mensch Dirk“
Der angesprochene lächelte erschöpft zurück. „Und du bist eine wirklich sehr bemerkenswerte Kuh.“
„Du weißt noch nicht mal die Hälfte.“
Diese Nacht wälzte sich Dirk im Bett herum ohne einschlafen zu können. Was er heute alles erlebt hatte war einfach zu fantastisch gewesen. All seine kleinen Probleme erschienen ihm plötzlich so nichtig im Vergleich zur epischen Geschichte die ihm diese Audhumbla da auftischte. Als er schließlich doch zur ruhe kam tauchte er in einen Wirren Traum ein voller sechsköpfiger Riesen und sprechender Kühe.
„Was? Die falsche Lieferung?“ Brüllte Herr Kruntz ins Telefon. Mit jedem Wort das er hörte wurde sein Gesicht roter. Schweißperlen bildete sich auf seiner Stirn. „Das kann nicht ihr ernst sein. …Wissen sie was das bedeutet? Das kann mir mein gesamtes Geschäft ruinieren. … Wenn diese Sache erledigt ist können sie unsere Geschäftsbeziehung als annulliert ansehen.“ Schmetternd knallte er den Hörer auf die Gabel. Dieses unfähige Pack. Er durchwühlte die Bücher auf der Suche nach Kuh Nummer PF-253 und hoffte auf ein Wunder.
Da war sie. Annahme 13:35 UHR am gestrigen Tag. Jetzt musste er nur noch Nachverfolgen wohin das Fleisch geliefert wurde und er …
Merkwürdig. Scheinbar war PF-253 nie in der Fleischverarbeitung angekommen.
War das das Wunder auf das er gewartet hatte?
Nein das war kein Wunder, beschloss er. Das war eine Katastrophe. Irgendwo musste ihm ein Fehler unterlaufen sein. Er schenkte der halb leeren Flasche Cognac einen anschuldigenden Blick als würde sie alleine die Schuld an seinem Dilemma tragen.
Er musste diese Kuh finden.
3. Riesenbabys und Fußfetischismus
Als Dirk am nächsten morgen die Tür zum Geräteschuppens öffnete tat er dies fast in der Erwartung da würde keine sprechende Urkuh theatralisch am Fenster stehen und er tat es auf jeden Fall nicht in der Erwartung in einen Kuhfladen zu treten.
Jedoch trat beides ein.
Er könnte schwören dass sie diese Pose extra für ihn eingenommen hatte um ihren folgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. „Es ist schon merkwürdig was ihr Menschen aus Mittelerde gemacht habt“.
„Mittelerde? Redest du von diesem Peter Jackson Film?“
„Oh Mann deine Freundin hat dich bestimmt nicht verlassen weil du ihr intellektuell überlegen gewesen wärst.“
Dirk knallte das Bündel Stroh auf den Boden das er mitgebracht hatte und zog ein beleidigtes Gesicht. „Das war aber jetzt wirklich nicht nötig“ Audhumbla wandte sich zu ihm um und blickte mitleidig. „Entschuldige bitte“ sagte sie in einem ehrlichen Tonfall. Seufzend fügte sie hinzu: „Ich bin es nicht gerade gewöhnt mit Menschen auf einer stufe zu kommunizieren.“ Dirk setzte sich auf den Heuballen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du meinst weil sie dich normalerweise nur als Nutzvieh behandelt haben?“
„Nein“ erwiderte Audhumbla. „ Ich habe die letzten Jahrhunderte bevor ich in den Westen kam in Indien zugebracht. Du weißt schon Selbstfindung und so weiter.
Die Menschen haben mich wie einen König behandelt. Mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Ja sie haben sogar jeden Fladen den ich hab fallen lassen behandelt als wäre es eine Geschenk der Götter, also verzeih wenn ich manchmal etwas arrogant wirken mag.“
„Schon okay ich bin es gewöhnt das mich keiner ernst nimmt.“
Nach einer pause fügte er an: „Ich hab dir was zu fressen mitgebracht.“
„Oh Heu.“ sagte die Kuh etwas enttäuscht. „Was ist so schlecht an Heu?“ Fragte Dirk entrüstet. Er war extra zwei Stunden früher aufgestanden um den Ballen bei einem Bauern in der nähe zu besorgen.
„Hast du das Zeug je selber probiert?“
„Wenn ich ganz ehrlich sein darf.“
„Nein ist schon okay. Stell das Zeug hier rüber.“
Dirk tat wie ihm gehiessen und betrachtete dann Audhumbla wie sie gemächlich zu kauen begann.
„Audhumbla wie alt bist du eigentlich?“
„so etwas fragt man keine Dame“ murmelte die Kuh mit vollem Mund. Sie schluckte das Heu hinunter. „Und ehrlich gesagt hab ich irgendwann mit dem zählen aufgehört.“
In kürzester Zeit war der kleine Heuballen verschwunden und Dirk saß immer noch da. „Lass raten du willst wissen wie es weiter ging?“ Dirk nickte hastig. „Okay, wo waren wir stehen geblieben?“
„Du hattest eben den unbekannten aus dem Eis geleckt.“
„Ach ja, ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen. Buri hieß der Fremde. Ich weiß nicht woher er seinen Namen hatte. Möglicherweise hatte er ihn sich in dem Augenblick in dem er erwachte selbst ausgedacht. Zu mindestens stellte er sich mir so vor. Ich bin mir nicht ganz sicher ob er wie ich und Ymir aus einem im Eis eingeschlossenen Tropfen geboren wurde oder ob ich ihm erst mit meiner Zunge seine Form gab. Wenn du mich fragst dann war es Zweiteres.“ Audhumbla würgte ein Stückchen Heu hoch und begann wiederzukäuen.
„Und dann was geschah als nächstes?“ Stocherte Dirk neugierig nach.
„Nun ja. Ab hier bin ich mir nicht so ganz sicher.“
„Wie meinst du das?“
„Du wirst mir eh nicht glauben, ab hier wird es ein wenig phantastisch.“
„Also viel verrückter kann es ja wohl nicht werden. Ich sitze in einem Werkzeugschuppen und spreche mit einer Kuh über die Entstehung der Welt.“
Die besagte Kuh zog eine Augenbraue hoch. „Nun gut, du erinnerst dich an Ymir? Den Urriesen.“
„Ja er schlief während all das geschah. Richtig?“
„Richtig. Und doch auch nicht ganz. Seine beiden Fußköpfe waren erwacht. Während der Rest des Körpers schlief waren sie zum Nichtstun verdammt. Und da der Riese seine Füße lässig übereinander gelegt hatte waren sie für ein paar tausend Jahre in einer Recht verfänglichen Situation gefangen. Ich sag nur soviel. Fußfetischismus!“ „Fußfetischismus?“
„Ja Fußfetischismus in einer vollkommen neuen Dimension. Wie alle Urwesen war auch Ymir zweigeschlechtlich. Seine linke Hälfte war weiblich und seine rechte war männlich. Wenn er nicht gerade schlief dann stritten seine beiden Hauptköpfe miteinander. Seine beiden Handköpfe hatten zum Glück schon seid Jahrtausenden aufgehört miteinander zu sprechen und zeigten sich die kalte Schulter und seine Fußköpfe nun ja. Seid jenem aufgezwungenen Stell dich ein hegten sie große Zuneigung füreinander. Was dem Riesen später noch zum Verhängnis werden sollte. Zu mindestens gaben die beiden Fußköpfe ihrer Leidenschaft nach und während ich die beiden kopulierenden Füße sah ging mir der traurige Gedanke durch den Kopf dass ich jetzt schon alles gesehen habe wo doch noch gar nichts existiert.
Wie sie sich so traten und stampften Knöchel an Knöchel die Zehen ineinander geschlungen brachten sie in ihrer Leidenschaft den ganzen Riesenkörper zum beben und schwitzen. Auf dem Höhepunkt der Ekstase der beiden Füße tropfte aus der haarigen Achsel des Riesen eine Schweißperle. Kaum neun Jahre später durfte ich die erste Leibliche Geburt miterleben.
Mit stolz darf ich sagen dass ich es war der die Meter dicke Nabelschnur an der Verse ab kaute. Seine beiden Eltern nannten ihn Thrudgelmir was ungefähr so viel hieß wie der vor Kraft schreiende. Wenn du mich fragst schrie er eher vor Blödheit. Und ich sage das nicht nur weil das Tonnen schwere Riesenbaby das mehr Kraft besaß als es ihm gut tat mich Jahrelang als Reittier und Spielzeug missbrauchte. Zur gleichen Zeit begann auch die Schweißperle Gestalt anzunehmen. Sie wurde zu seinem Bruder Wafthrudnir, was so viel heißt wie der im verwickeln starke. Und man war der ein listiger Bursche. Ich würde sogar sagen er war der einzige Reifriese der Seinen Kopf je für mehr als nur als Helmhalter verwendete.“
„Reifriesen? Von denen hattest du schon einmal etwas erzählt.“
„Oh du erinnerst dich. Ja Wafthrudnir und der dumme Thrudgelmir waren die Urväter der Reifriesen. Sie waren quasi etwas kleinere Versionen von Ymir, also sechsköpfige Riesen nur völlig aus Eis und Schnee. Wenn sie sprachen dann klirrte die Luft vor Kälte. Zum Glück sprachen sie nicht oft. Häufiger unterhielt ich mich mit Buri. Der Mann konnte vielleicht melken. Es war mir wirklich eine Freude ihn zu ernähren.“ Audhumbla liebäugelte verträumt und in Erinnerungen schwelgend mit einem übrig gebliebenen Strohhalm.“ Zu mindestens hatte es Buri nicht leicht. Aus seinem Versteck hatte er schon lange die Reifriesen beobachtet. Doch jedes mal wenn er sich ihnen näherte bewarf Thrudgelmir ihn mit Gletschern und Wafthrudnir verschmähte ihn mit Worten, bis er weinend davon lief. Dann suchte er oft bei mir Schutz“ Audhumblas blick schweifte in die Unendlichkeit ab und eine leichte Röte breitetet sich um ihre Schnauze aus. Dirk schaute sie verwundert an. Als der Urkuh bewusst wurde das sie schon seid mehreren Minuten aufgehört hatte zu sprechen blickte sie verlegen auf räusperte sich und sprach in einem beiläufigen Ton weiter als wäre nichts geschehen. „Buri bekam also eine Sohn Namens Bor. Dann..“
„Warte mit wem will er den ein Kind bekommen haben?“ Audhumbla trat eine Schritt zurück und wurde noch roter.
„Nein das kannst du nicht ernst meinen.“ preschte Dirk vor.
„Ich hab ihm versprochen nie einer Menschenseele davon zu erzählen.“ Verteidigte sich die Kuh. „Ich weiß ja wie falsch das war aber. Er war alleine. Ich war alleine. Lange Gespräche über Philosophie bei Vollmondschein. Das eine führte zum anderen.“
Eine lange peinliche Stille trat ein. Audhumbla steckte ihren Kopf in einen leeren Eimer und tat so als würde sie trinken. „Du weißt dass der Eimer leer ist oder?“ Grinste Dirk der sich mittlerweile wieder gefangen hatte und es sichtlich genoss das er im Augenblick die Oberhand besaß. „Ist schon okay im Internet gibt es tausende solcher Videos.“
„Na hör mal es war liebe.“ keifte die Kuh verletzt. „Das kannst du doch nicht mit so was vergleichen. Er war ja auch kein normaler Mann. Er hatte etwas sehr kuhhaftes. Manchmal muhte er sogar leise wenn er an meinem Ohrläppchen knabberte.“
„Bitte verschone mich mit Details“ flehte Dirk. „Schon okay“ antwortete die Kuh eingeschnappt. Schnell hatte sie wieder ihre alte undurchdringliche Aura der Autorität aufgebaut. „Sein ... ich meine unser Sohn hieß Bor. Er geriet sehr nach seinem Vater und die folgenden kurzen Jahrzehnte waren wohl die schönsten in meinem Leben. Der kleine reifte unter meinen Augen heran und übte sich mit seinem Vater im Kampf. Nur als er in die Pubertät kam. Ach oh Odin war das problematisch. Er war noch neugieriger auf die Reifriesen als sein Vater. Denn auch diese hatten mittlerweile Kinder gezeugt. Vor allem eine Reifriesen namens Bestla die Tochter von Bölthorn dem Dorn des Verderbens hatte es ihm angetan. Mein armer kleiner Bor.“ wieder begann der Blick der Kuh ab zu schweifen. „Ist er etwa von ihr getötet worden?“
„Nein schlimmer. Sie sind zusammen durch gebrannt. Diese Schlange musste ihn überredet haben. Die beiden verschwanden für mehrere Jahre ohne auch nur jemandem ein Wort zu sagen. Ich habe mich zu Tode gesorgt und Buri stritt jeden Tag mit Bölthorn darüber wie man Kinder richtig erzieht. Ach mein Bor. Dabei hätte ich es doch schon die frühen Anzeichen bemerken sollen. Er war immer so ein verkopfter Junge gewesen mit einer krankhaften Vorliebe für die Zahl Sechs und für Eisspeisen. Vielleicht hätte ich ihm damals nicht zeigen dürfen wie man Gletscher leckt. Brrr.“ Die Kuh schüttelte sich. „Bist du nicht ein wenig ungerecht? Ich meine vielleicht bist du nicht der richtige um mit Steinen zu werfen?“ merkte Dirk an. „Ach du hast doch keine Ahnung davon wie eine Mutter empfindet.
Diese sechsköpfige Lagneseschlampe hat mir meinen geliebten Sohn genommen und kaum waren sie zurück mit drei Kindern im Gepäck erschlug Bölthorn sie beide mit der Keule. Entschuldige“ Tränen waren in die großen braunen Augen von Audhumbla gestiegen. Schnell wendete sie den Kopf ab. Dirk war verlegen. Es machte ihn irgendwie unbehaglich die Urkuh so zu sehen. „Du musst nicht weiter erzählen wenn du nicht willst“ merkte Dirk vorsichtig an.
„Schon okay“ scheinbar hatte sie sich wieder zusammen gerissen. „Wenn es die eigenen Kinder sind dann überwindet man es nie so recht. Als Bölthorn also diese schreckliche tat beging brach die Hölle los. Das war der Anfang von allem. Der erste Krieg der Welt die jetzt noch nicht geboren war.“ Audhumbla machte eine dramatische pause und senkte den Kopf. Dirk neigte sich gespannt zu ihr vor. „weißt du wie die Drei Kinder meines Kindes hießen?“ Dirk schüttelte den Kopf obwohl er sich sicher war dass es eine rhetorische frage gewesen war.
„Wenigstens einen ihrer Namen wirst du kennen. Odin, Ve und Willi.“ sie hatte die drei Namen mit vor stolz geschwollener Brust herausgeschleudert so dass Dirk zurückschreckte. „Odin? Der Donnergott?“
4. Krieg und Ruhestörung
„Ja Odin, der Allvater. der Angreifer. der mit den flammenden Augen schlecht Sehende. Der den goldenen Helm tragende Heervater und Führer des wütenden Heeres, mit dem bemalten Schild, der die anderen Heere zittern macht. der Übelstifter und der mächtiger Redner. der gewaltige Gott. der viel Wissende und sehr weise. der vom Gehen Müde.
der Göten-Gott der Götländer, der geübte Verführer, der Maskierte, der Zauberer, der Hohe, Graubart der Graue der Rabengott. Der schlittenfahrer. Der Wallach. Der Lärmer. Der Wunscherfüller. Der wahre. Der die Wahrheit erratende. Langbart Langhut. Vater des Sieges und der Erschlagenen. Der auf dem Felsen wohnende. Der Dritte. Der Mächtige. Der Tüchtige. Der schreckliche der große Odin.“ „Ich verstehe. Sein Reisepass muss mindestens 5 Meter lang gewesen sein. Ich wette er konnte sich nicht mal die Schuhe zu binden ohne dafür einen Beinahmen zu erhalten.“Grinste Dirk sie an. Audhumbla horchte überrascht auf und beschloss gleichzeitig Dirk die Beinahmen Odin der seine Schuhe mit Kräftigen Schleifen zubindende und Odin der von Milch brechende Lactoseintolerante vor zu enthalten. „Mich wundert nur dass er nie den Beinamen Der mit den vielen Beinamen erhalten hat. Das hätte doch vieles einfacher gemacht.“ stichelte Dirk weiter. Audhumbla strafte ihn mit einem vernichtenden Blick für den sie nicht einmal die Augenlider heben musste. Dirks grinsen erstarb augenblicklich.
„Man könnte fast meinen das ein wenig von meinem Sarkasmus auf dich übergegangen ist. Aber so ganz unrecht hast du natürlich nicht. Er besaß vielleicht wirklich ein wenig zu viel Geltungsbedürfnis. Zu mindestens standen Willi und Ve wirklich zeitlebens sehr in seinem Schatten. Später endeten sie als kleine Beamte. Ve brachte es gerade mal zu einem Beinamen. Der Hohepriester. Und der kleine Willi brachte es zu mindestens zu zwei. Nämlich der Wille und der kleine Hohepriester. Ve hatte es schon früh aufgegeben neben Odin wahrgenommen zu werden und wurde zu einem sehr ruhigen introvertierten Wesen. Willi war ein Energiebündel mit einem Dickkopf der jedem Wiederkäuer ehre gemacht hätte. Sie alle drei wuchsen bei mir und Buri auf und obwohl wir versuchten sie von all dem Leid der Vergangenheit fern zu halten so kannten sie doch nur einen Gedanken. Rache.“
Audhumbla hatte die Augen weit aufgerissen und die Feuer von Jahrtausende alten Schlachten glommen in ihrem Blick. „Als die Drei alt genug waren fuhren sie wie eine Klinge in die klirrende Schar von Reifriesen. Wo sie mit ihren drei Schwertern fegten da blieb nur ein Schneesturm wo eben noch sechsköpfige Eisriesen hausten. Seid dem hallten die schreie und klirrenden Geräusche von Metall gegen Stein und von Eis gegen Fleisch in der endlosen leere Ginnungagaps wieder.
Von Tag zu Tag wurde der Kampflärm Lauter und die Schreie verzweifelter. Doch der Höhepunkt war noch lange nicht erreicht. Ein tiefes Grollen ließ die Schlucht Ginnungagap in ihren Grundfesten erzittern und die Kämpfenden hielten inne in ihrem Treiben als hätte sich die Zeit selber vor Angst in die Hosen gemacht und die Flucht ergriffen.
Ymir der Urriese war von dem Kampflärm erwacht und alle Blicke auf dem Schlachtfeld wanderten ihm folgend gen Himmel, wie bei einem Raketenstart.“
Dirk war wie gebannt. „Was passierte dann? Erzähl weiter!“
„Müsstest du nicht längst zu Arbeit?“
„Ich weiß nicht so recht. Ich glaub ich kann das nicht mehr. Erzähl weiter. Mein Chef wird mich schon nicht vermissen“
Wo zum Teufel war Dirk? Auf den Jungen war kein verlass. Erst dieses Fiasko mit der Kuh und jetzt blieben Herrn Kruntz auch noch die Arbeiter weg. Er hätte sich wenigstens krank melden können.
Nicht einmal telefonisch war er erreichbar. Schon gestern hatte er sich so merkwürdig verhalten.
Der Chef der Schlachterei erstarrte. Verdammt. Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. Wie konnte er nur so blind gewesen sein.
Erneut prüfte er die Bücher. Der Tag und die Uhrzeit stimmten. Vielleicht lag der Fehler gar nicht bei ihm. Es konnte kein Zufall sein dass ein Arbeiter und eine Kuh beide am selben Tag verschwanden. Er riss seinen Aktenschrank auf und durchblätterte die Angestelltenakten.
Da war er, Dirk Klausen und da stand seine Adresse.
Na warte Bürschchen.
Audhumbla streckte sich und probierte sich so groß wie möglich zu mache während sie weiter erzählte. „Ymir war also erwacht und sein gewaltiger Körper überragte das Schlachtfeld. Odin war der erste der sich aus der Starre riss. Mit einem Kampfschrei der die verbliebenen Reifriesen zurück schrecken lies rannte er auf einen gewaltigen Gletscher zu der sich neben Ymir in den Himmel bohrte und der bis zu seinem Kopf reichte. Ve und Willi tauschten genervte Blicke und trotteten dann ihrem älteren Bruder hinterher. Der Aufstieg zu den Hauptköpfen des Urriesen dauerte mehrere Tage. Es heißt Odin hätte seinen Kampfschrei während dieser Zeit nicht einmal unterbrochen.“ Die Kuh schloss die Augen.
„Was ist?“ Drängte Dirk. „Erzähl doch weiter.“
„Willst du vielleicht erleben wie es damals war anstatt mir nur passiv zu zu hören?“
„Geht das denn?“
„Ja, Ich habe die Erinnerungen der Drei zum Gedenken an diesen Historischen Tag in meinem Körper verinnerlicht. In meinem Blut schlummert die Erinnerung von Odin, in meinem Schweiß die Geschichte von Willi und meine Tränen tragen die Gedanken von Ve.“
„Und wie kriegen wir sie da raus?“
„Das ist ganz einfach. Du musst nur jeweils einen Tropfen der jeweiligen Körperflüssigkeit von mir zu dir nehmen.“
„Bah! Ist das dein ernst?“
„Natürlich. Mit so etwas mache ich keine Scherze. Mit wem willst du anfangen?“
Dirk überlegte kurz. „Ich glaub ich probiere Odin.“
Herr Kruntz legte auf. Bei Klausen ging immer noch niemand ans Telefon. Er steckte das Handy in seine Brusttasche. Nun gut vielleicht war es eh besser unangekündigt vorbeizukommen. Er drehte den Zündschlüssel und der Motor seines Wagens sprang an. Natürlich hatte er keine Beweise aber Dirk Klausens verschwinden und das von PG-253 hingen irgendwie zusammen, das konnte er riechen.
Dirk stach mit einer Nadel in die Dicke haut von Audhumbla. Sie muhte kurz. „Entschuldigung, ist das wirklich okay?“
„Ja, ich hasse Nadeln. Aber es geht schon.“
Dirk streifte einen Tropfen Kuhblut von der Nadel.
„Und du bist auch ganz sicher dass du kein BSE oder so hast?“
„Na hör mal. Ich erbiete dir hier eine Ehre die schon seid hunderten von Jahren keinem Sterblichen mehr zu teil wurde und du hast gesundheitliche bedenken.“
Dirk betrachtete den Blutstropfen auf seinem Finger. Das schale Licht vom Fenster brach sich darin und ließ ihn fast golden erscheinen.
Er schloss die Augen und steckte den Finger in den Mund.
Augenblicklich traf es ihn wie eine Dampfwalze. Das Zimmer drehte sich als würde er in einem auf Schallgeschwindigkeit beschleunigten Kinderkarussell sitzen und er spürte wie sein Hirn aus seinem Hinterkopf katapultiert wurde.
4. Heldenhafte Körpersäfte
Endlich nach sechs Tagen Aufstieg hatte ich ihn endlich erreicht. „Ymir, hier bin ich. Odin lautet der Name der für dich den Tot bedeutet.“ Schmetterte ich den zwei Hinterköpfen entgegen, denn der Riese hatte mich noch nicht bemerkt. „Dreh dich um verdammt. Hier spricht Odin, der mit der starken Stimme.“
Ich konnte die Angst des Rieses riechen. Auch wenn er so tat als würde er mich nicht bemerken und stattdessen mit sich selbst über das Wetter stritt, wusste ich doch dass er sich nur vor dem Kampf drücken wollte.
Ich meine wie sollte es sonst möglich sein den mächtigen Odin zu übersehen. Ve hatte auch endlich die Spitze des Gletschers erreicht. Natürlich begann er sofort damit herum zu jammern. Aber jetzt war keine Zeit für Worte. Jetzt war die Zeit für Taten gekommen. Ich lief bis zur Spitze der gezackten Eisnadeln die nahe an den Hinterköpfen des Riesen endeten.
Schon mein erster Schlag brachte Ymir zum straucheln. Kein Wesen der Welt kann sich mit Odins Kraft messen. Scheinbar probierte er einen ausgeklügelten Überraschungsangriff zu starten. Denn seine zwei Hinterköpfe rasten plötzlich auf mich und meinen Bruder zu.
Heldenhaft stieß ich Ve zur Seite um ihn vor dem Gegenangriff Ymirs zu retten. Während er von dem Gletscher stürzte hörte ich noch wie er den Riesen verfluchte. Jetzt war meine Stunde gekommen. Ich warf meinen Umhang zurück und streckte mein Schwert dem Tot bringenden Hinterkopf entgegen. Es tat einen mächtigen Schlag der mir beinahe das Schwert aus der Hand gerissen hätte. „Ha! Niemand kann Odin entwaffnen.“ Verhöhnte ich Ymir. Ich stand noch immer auf der Eisnadel, doch Dunkelheit und graue übelriechende Masse umgab mich. Ich musste im inneren des Schädels sein. „Du willst mich wohl in deinem inneren ersticken Ymir. Doch der der die Luft länger als fünf Minuten anhalten kann wird es dir schon zeigen.“ Mit wuchtigen Schlägen kämpfte ich mir den Weg durch die Meter dicken Nervenbahnen frei. Bei jeder Berührung zuckten Blitze auf. Doch Blitze halten keinen Donnergott zurück. Meter für Meter kämpfte ich mich vor. Die Entladungen in dem glitschigen Netz aus Neuronen erstarben langsam, doch auch die Luft ging mir langsam aus. Da endlich Licht. Der Boden neigte sich. Ein Schwall aus Blut und Ohrenschmalz spülte mich davon. Ich konnte mich gerade noch an einem Haar festhalten. Prustend und triumphierend lachend schwang ich mich auf die Ohrmuschel aus der ich hinaus gespült worden war. „Was ist los Rechts?“ Tönte die Stimme des linken Kopfes Ohrenbetäubend herüber „Hast du dir den Kopf angeschlagen?“ Ohne eine Sekunde zu verlieren sprang ich mit gezückter Waffe und meinem lautesten Kriegsschrei ins Auge des Riesen.
„Wow das war intensiv.“ Sagte Dirk als der Werkzeugschuppen um ihn wieder Gestalt an nahm. „Was war mit Ve? Hat er den Sturz überlebt?“ Er wollte mehr.
„Schau doch selbst nach. Ich müsste noch ein wenig Tränenflüssigkeit in den Augen haben von vorhin. Du hast Glück normalerweise weine ich nicht oft.“
Vorsichtig fischte sich Dirk eine Träne aus dem Augenwinkel der Kuh. Sie schmeckte salzig. Prickelnd begann die Träne auf seiner Zunge zu zerfließen. Der Boden löste sich auf. Sein Kopf wurde zurück gerissen und er stürzte ins schwarze Nichts.
Ha, Odin der Große.
Odin das Muttersöhnchen. Odin der Gott des Ich-bestimm-alles. Odin der Freundschaftsbüchlein-Beinahmen-Kästchen Sprenger. Odin der den man nicht mal in seinem eigenen Namen verfluchen kann. Bei Odin. Odin dies. Odin das. Verflucht!
Jetzt denk ich mir schon selber Beinahmen für meinen Scheiß Bruder aus.
Mein Lippen bewegen sich. „Du Arschloch“ hör ich mich schreien.
Nah toll das war dann der letzte Gedanke.
Und das was er Walhalla nennt ist die Hölle.
Das ist doch wie Grundschule und ewige Pubertät.
Wenigstens ist der Gedanke tröstlicher als der an meinen Bruder.
Verdammt. Ich verfluche dich Odin.
Warum läuft es nur immer auf dich hinaus.
Huch, war das nicht gerade Willi? Warum kämpft er nicht.
Sah fast so aus als würde er sich mit Ymirs Händen unterhalten.
wie weit ich wohl noch fallen werde?
Ich kann keinen Boden sehen
Es ist so still nur dieses leise Säuseln des Windes.
Im Grunde kann man so schon sterben.
Was ist überhaupt am Grund von Ginnungagap ?
Hat sie einen Grund?
Vielleicht endet sie ja nie und ich lande nicht mal in Walhalla sondern falle nur ewig.
Aber da unten ist doch was. Nein!?
Odin du listiger Scheißkerl. Sie sind es. Die Fußköpfe des Ymir
Ha Ha Ha Ha.
sie sind ineinander verschlungen.
Deshalb ist er plötzlich gestürzt nicht wegen dem Schwertschlag meines Bruders
Ha ha ha. Odin der Verblendete. Ha ha ha ha ha.
Ich werde diesen Kampf beenden und in die Geschichte eingehe als Ve, der der das untere drittel Ymirs fällte.
Volle Konzentration jetzt. Leg deine ganze Wucht in diesen einen Schlag.
Mit der Fallgeschwindigkeit addiert wird es selbst die Riesenschädel zerschmettern.
Es muss einfach klappen.
komisch es sieht fasst so aus als wären sie gar nicht übereinander gestolpert
sondern würden gerade ….
Dirk schlug auf dem dreckigen Holzboden des Werkzeugschuppens auf. „Autsch, mein Rücken.“ Er rappelte sich auf und massierte seine schmerzenden Glieder. „Warum ist es so plötzlich abgebrochen.
„Nun Ja, Ve wurde beim Aufprall auf die beiden Riesenschädel bewusstlos. Es war ein wunder dass er es überhaupt überlebte. Als alles vorbei war fand man ihn zwischen den zwei nackten verliebten Füßen. Ich glaub er hat die Scham nie überwunden und entwickelte eine gewisse Phobie was Füße anging.“
„Der arme hatte echt Probleme.“
„Ja es ist gar nicht so einfach ein Gott zu sein.“
„Ich hab Willi durch Ves Augen gesehen. Er saß einfach auf dem Kopf der Riesenhand und hat nicht gekämpft. Was war da los?“
„Naja Willi hatte seine eigen Art solche Dinge zu regeln. Im Grunde war er keine sehr kriegerische Seele. Als Jüngster hatte er die Rachegelüste seiner Brüder nie wirklich verstanden. Schließlich war er noch ein Säugling als seine Eltern starben.“
„Wie bringen wir dich jetzt zum schwitzen?“
„Willst du nicht lieber erst mal eine Pause machen?“
„Ich glaub ich hab noch ein Laufband im Keller.“
Herr Kruntz hämmerte auf seine Hupe ein. Verdammt noch mal wie konnte er nur in einen Stau geraten. Es war als hätte sich die gesamte Welt gegen ihn verschworen. Das alles konnte nur ein langer Urlaub wieder gut machen. Er erinnerte sich das sein Arzt ihm empfohlen hatte sich nicht zu sehr aufzuregen. Also starrte er aus dem Fenster und probierte die hupende Blechlawine auszublenden. Das ganze ergab immer noch keinen Sinn. Aber es war die einzige Spur die er hatte. Heute würden noch Köpfe rollen und er war sich sicher es würde nicht seiner sein.
Schwitzend stand Audhumbla neben dem zerstörten Laufband.
„Vielleicht hätten die Hersteller anmerken sollen dass das Ding nicht für Kühe geeignet ist.“
„Du bist nicht gerade eine Sportskanone oder? Du warst gerade mal zwei Minuten auf dem Band und das auf Stufe Eins.“
„Ach halt doch die Klappe und leck an meiner Achsel. Du wirst immer unverschämter. Vielleicht war das ganze eine dumme Idee.“
Dirk fühlte sich leicht und voller Kraft. Vielleicht war ja ein bisschen von Odin und Ve auf ihn übergegangen. Er brannte darauf endlich auch Willi in sich aufzunehmen.
Statt nur einen Tropfen aus dem Fell der Kuh zu fischen leckte er gierig über ihre Seite.
„Hey. So war das nicht gedacht.“
hörte Dirk noch leise Audhumblas Stimme als käme sie aus weiter ferne unter ihm.
Warum wollten die beiden nur unbedingt zu Ymirs Hauptköpfen hinauf. Klettern ist doch doof und Köpfe gab es hier doch genug. „Hallo! Riese!“ Rief ich auf halber Höhe zu den zwei Handköpfen. Scheinbar hörten sie mich nicht. Ich legte meine Hände zu einem Trichter um meinen Mund und Schrie noch einmal aus voller Kraft. „HAAAAALLLLOOOOOO! RIIEEESSSSENNN!“
Einer der beiden Köpfe streckte sich mir entgegen. Doch sein Blick ging an mir vorbei. Vielleicht war ich ja so klein dass er mich gar nicht wahrnehmen konnte. Ich beschloss mir den Burschen mal aus der Nähe anzuschauen und sprang auf seinen Schädel bevor er die Hand zurückziehen konnte.
Sein Haupthaar war ein regelrechter Dschungel. Läuse so groß wie Elefanten galoppierten in gewaltigen Herden über das Kilometer weite Plato der kleinen kahlen stelle auf dem Haupt des Riesen. Hm wie könnte ich mich nur bemerkbar machen. Ich musste bis zum Ohr kommen. Ich riss ein Haar aus dem Kopf des Riesen und band es zu einem Lasso. Mit einem gezielten Wurf fing ich mir eine besonders majestätische Laus aus der Herde. Ich liebte das reiten. Schon als ich noch ganz klein war verbrachte ich oft Stunden auf Audhumblas Rücken. Schnell verstand die Laus wer die Zügel in der Hand hatte und brachte mich in Windeseile zum Ohr. Der Abstieg war schwierig. Aber schließlich ließ ich mich in die Ohrmuschel des Riesen fallen.
Ich legte meine Hände wieder an den Mund und Schrie aus Leibes Kräften. „WIR MÜSSEN REDEN!“
Der Kopf wand sich schlagartig der anderen Hand zu und ich musste mich an einem Ohrhaar festhalten um nicht hinaus zu purzeln. „Ach plötzlich willst du reden Links. Nach dreitausend Jahren. Gib es doch zu du willst nur wieder das letzte Wort haben.“
„Von was redest du Rechts?“ Donnerte der linke Kopf zurück. „Mit dir zu reden hat noch nie Sinn gemacht. Warum sollte ich jetzt wieder damit anfangen.“
„Da. Da haben wir es wieder. Sobald du die Klappe aufmachst kommen da nur Vorwürfe raus.“
„Was du hast doch damit angefangen. Du hast so ein schlechtes Gedächtnis kein Wunder dass du meinen Geburtstag vergessen hast.“
„Ich? Deinen Geburtstag?“ Entrüstete sich der rechte Kopf. „Du warst es der meinen Geburtstag vergessen hat.“
„Ach vergiss es einfach. Selbst wenn du dran gedacht hättest hättest du mir doch wieder nur ein Set Töpfe geschenkt. Wie das Jahr davor und das Jahr davor und das Jahr davor.“
„Du musst gerade reden glaubst du ernsthaft ein Mann würde sich über die zehnte Krawatte mit Blümchenmuster noch freuen nachdem er schon die erste nie angezogen hat.“
„Du bist so unromantisch. Mein Geschenk hatte ja wenigstens noch eine persönliche Note.“
„Hallo, eigentlich war ich es der...“ probierte ich mich in das Gespräch einzumischen. Doch die beiden hatte sich schon so in Rage geredet dass sie mich einfach überhörten.
„Wir sind geschieden Leute!“ Schrie Rechts.
„Ach ja dann geh doch.“ fauchte Links zurück. „Will sehen wie du das hin bekommst.“
„Wer sagt denn dass ich gehe du wirst verschwinden.“ Mit diesen Worten streckte der rechte Kopf seine Hand aus und begann den linken zu würgen.
„So nicht Freundchen.“ Japste der linke Kopf und begann wiederum den rechten zu würgen.
„Hey, ich wollte doch nur mal mit euch reden.“ Schrie ich von de Ohrmuschel aus während sich ihre Köpfe immer roter färbten.
Plötzlich begann der gewaltige Körper des Riesen zu straucheln. Ehe ich mich versah rasten wir auf den Gletscher zu. Ich konnte gerade noch abspringen und mich an einem Eisvorsprung festhalten. Bevor die Köpfe des Koloss röchelnd gefolgt vom Rest des Körpers in die Tiefe stürzten.
5. Der Anfang der Welt und das Ende der Geschichte
Dirks Kopf schmerzte ein wenig. Vielleicht war das doch zu viel gewesen.
„Alles okay?“ Fragte Audhumbla etwas besorgt. „Bis jetzt haben das nur ein paar Götter und Halbgötter sehen dürfen was du gesehen hast. Ich hoffe dein Körper macht das mit.“
„Es geht schon wieder.“ Antwortete Dirk. Er probierte das erlebte in seinem Kopf zu ordnen.
„Wenn ich richtig verstanden habe dann ist der Riese eigentlich gestolpert weil seine Füße wieder ein stell dich ein hatten, oder? Er ist direkt in Odins Schwert gefallen, während Ve die nichts ahnenden Liebenden erschlug und Willi die beiden übrigen Köpfe aus versehen zum Selbstmord bewegte.“
„Naja so kann man es auch sehen. Aber erzähl das bloß nicht Odin. Er ist immer noch fest davon überzeugt den Riesen alleine und aus eigener Kraft erschlagen zu haben.“
Dirk saß noch etwas Gedanken verloren auf dem Boden.
„Wir sind fast am Ende der Geschichte.“ Unterbrach Audhumbla die Stille.
„Willst du wissen wie es aus ging?“
„Natürlich“ nickte Dirk, jetzt wieder ganz bei der Sache.
Verdammt noch mal hier musste es doch sein. Herr Kruntz war schon zum dritten mal um den Block gekreist. Doch er konnte die Adresse einfach nicht finden.
Aber er hatte nicht drei Stunden im Stau verbracht um nun so kurz vorm Ziel aufzugeben.
Er war ganz nah dran. Eines Dieser Häuser musste es doch sein. Vielleicht sollte er irgendwo nachfragen.
„Auch wenn der Riese schon tot war so hackte Odin immer noch Triumphierend auf seinem Kadaver herum. Bäche, Flüsse, Seen, Meere nein Sintfluten von Blut ergossen sich dampfend aus den Wunden Ymirs. Kaum ein Reifriese konnte sich retten. Hätte der listige Riese Bergelmir mit seiner Frau nicht kurz vor der Katastrophe ein Boot gebaut und mich aus den Fluten gefischt dann würde ich jetzt wohl nicht hier stehen und auch das Geschlecht der Riesen wäre für immer ausgestorben. Leider schaffte es Buri nicht. Die Riesen hätten ihn wahrscheinlich eh nicht im Rettungsboot aufgenommen.
Er wurde mit dem Rest in die Tiefe Ginnungagaps gespült.
So standen meine drei Glorreichen Enkel nun auf dem Leichnam Ymirs der zusammen mit seinem Blut die Schlucht ausfüllte und wussten nicht so recht was als nächstes geschehen sollte. Willi schlug vor das beste aus der Situation zu machen. Wo Ymir schon tot war so könnten sie doch etwas neues aus seinem Körper schaffen. Später wurde diese Idee Odin nachgesagt was ich ein wenig unfair finde. Aber was solls ich bin ja nur eine Kuh und die Geschichte wird immer vom größten Ego diktiert.
Was die drei als nächstes taten war sehr unappetitlich und ich hab ihnen das bestimmt nicht beigebracht. Das muss der schlechte Einfluss ihrer Mutter gewesen sein.“ Sie rümpfte die Schnauze. „Ob es aus Langeweile oder Spieltrieb war, ich weiß es nicht. Zu mindestens zerschnitten sie den Riesenkörper. Sie legten sein Fleisch in das Blut und formten so Meer und Land. Sie brachen Knochen und Zähne aus Ymirs Überresten und bauten daraus Berge und Felsen. Seine Haare pflanzten sie in den Boden. Aus ihnen wurden Bäume, Wälder und Wiesen. Was auch der Grund ist warum ich kein großer Fan von Stroh bin. Es erinnert mich zu sehr an die Intimbehaarung des Riesen. Schließlich konstruierten sie aus den Schädeldecken Ymirs das Himmelszelt und setzten sein Hirn als Wolken in den Himmel.“
„Bah!“ Dirk streckte angewidert die Zunge heraus. „Ab jetzt werde ich jede Landschaftsaufnahme mit ganz anderen Augen sehen.“
„Tja, so war das aber nun mal damals.“
„Irgendwie schade dass die Geschichte schon zu ende ist.“ Seufzte Dirk.
„Ach ich kenne noch Tausende von Geschichten. Da wäre zum Beispiel die Geschichte wie ich den Sommener See grub, mich der Magier Som für tausend Jahre in einer Grotte einsperrte und ich schließlich den König Frode besiegte und so aus meinem Gefängnis entkam.“
„Oh ja erzähl“
Es dämmerte bereits als Herr Kruntz das kleine schäbige Miethaus erreichte. Er wollte gerade Klingeln als er ein Geräusch vernahm dass er nur zu gut aus der Schlachterei kannte.
Er ging den vertrauten Muhen nach und landete vor einem noch schäbigeren kleinen Holzschuppen. Er zog sich seine weißen Plastikhandschuhe über, streifte sich eine Atemmaske über den Mund und öffnete dann leise die Tür. Sie waren beide da.
Die Kuh blickte kurz auf und steckte ihren Kopf dann wieder in einen Wassereimer zum trinken. Doch Dirk saß mit dem Rücken zu ihm im Schneidersitz auf dem Boden ohne eine Reaktion zu zeigen. „Herr Klausen?!“ Rief Herr Kruntz. Noch immer keine Reaktion. Selbst durch die Atemmaske bohrte sich der strenge Geruch von Kuhfladen in seine Nase. Er musste schnell machen.
„Herr Klausen?“ Rief er erneut. Peinlich bemüht der Kuh dabei nicht zu nahe zu kommen durchschritt er den Raum. Dirks Gesicht war zu einer blöden Fratze des Erstaunens versteinert. Aus seinem Mundwinkel tropfte ein Spuckefaden und seine Pupillen waren geweitet.
Verdammt der arme Junge, dachte er.
Er konnte Dirk Klausen keine Vorwürfe machen. Er war nie ein Freund von Genfleisch gewesen. Dieser Schreckliche Unfall war für ihn der letzte Beweis dass es einfach falsch war etwas zu verändern was gut funktioniert.
Er würde herausfinden welcher Idiot auf die glorreiche Idee gekommen war die Gene einer Kuh mit denen der Agakröte zu mischen. Er musste sich wirklich beeilen. Man hatte ihn gewarnt dass das starke Halluzinogen dass PG-253 über die Haut abgab auch über die Luft übertragbar war. Schon wenige Sekunden ungeschützt in ihrer nähe sollten eine fatale Wirkung haben. Er spürte ein merkwürdiges kribbeln im Magen. Er sollte jetzt besser den Kanarienvogel streichen, dachte er. Moment nein. Da war doch noch etwas was er noch erledigen musste. Sein Kopf schwirrte. Nein nicht den Kanarienvogel. Es war irgendwas mit der Kuh gewesen. Verdammt mit diesen Handschuhen und der Maske konnte er sich nicht konzentrieren. Er beschloss sie auszuziehen. Seine motorischen Fähigkeiten ließen nach. Beim versuch die Handschuhe abzustreifen stolperte er gegen Dirk. Ein kleines Heftchen viel aus dessen Tasche. „Nordische Mythen“ las Kruntz laut. Er musste lachen. „Wusste gar nicht dass der Junge lesen kann“ prustete er.
„Na komm trinken wir erst mal einen auf den Schreck“ vernahm er eine Stimme hinter sich. Er drehte sich grinsend zur Kuh um die vor einem Eimer voll Cognac stand und ihm einladend zuwinkte. „Die Runde geht auf mich“ sagte die Kuh mit der Stimme seines alten Deutschlehrers.
PG-253 ließ den Blick zwischen den zwei Menschen hin und her wandern.
Der eine starte Reaktionslos ins Leere und der andere ertränkte sich in ihrem Wassereimer. Dann bemerkte sie dass die Tür einen Spalt offen stand. Ein sanfter Duft von Frühlingsblumen und saftigem Gras wehte von draußen herein. Sanft stupste sie die Tür mit der Schnauze an und sie schwang auf. PG-253 warf einen letzten Blick zurück. Doch scheinbar versuchte keiner der beiden Menschen sie aufzuhalten.
Gemächlich trottete sie aus dem engen Werkzeugschuppen der untergehenden Sonne entgegen Richtung Freiheit.
Ende