Raelianer
17.04.2007 um 19:11
Dieter Sträuli, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut derUniversität Zürich und Kopräsident von infoSekta, befasst sich seit Jahren mit derMythologie UFO-orientierter Gruppen, zu denen u.a. die Rael-Bewegung, die Gruppe«Heaven's Gate», Kreise um den Ausserirdischen «Ashtar» bzw. «Ashtar Sheran», die FIGUvon Billy Meier und eher parawissenschaftliche Organisationen wie die MUFON-CES oder dieAncient Astronaut Society gehören. Bruno Deckert hat ihn befragt über eines derherausragendsten Medienthemen des Jahres 2003 im Zusammenhang mit dem Sektenphänomen: dieKlonbabys der Rael-Bewegung.
Bruno Deckert: Wenn man das vergangene Jahrauf Sektenthemen hin betrachtet, stösst man auf die Raelianer mit ihrem Klon-Baby Ève.Wie siehst Du die Chronolologie dieser Ereignisse?
Dieter Sträuli: Als ich mich mitden Pressemeldungen zu diesem Thema beschäftigte, stellte ich mit Erstaunen fest, dassdie Geschichte mit den Klonbabys bis ins Jahr 1997 zurückgeht. Kurz nachdem das KlonschafDolly geboren wurde, gründeten die Raelianer die Firma Clonaid. Deren Direktorin BrigitteBoissellier war Bischöfin der raelistischen Religion. Wir leben also schon über fünfJahre mit den Klonbabys. Die Raelianer und der Gründer Claude Vorilhon selbst, der sichRael nennt, haben es immer wieder verstanden, das Thema für die Schlagzeilenaufzubereiten. Es ist phänomenal zu sehen, wie Rael Tagesaktualitäten verwertet, um sichund seine Klonbabys, die es wahrscheinlich nie gegeben hat, immer wieder ins Gespräch zubringen. Im Mai 2001 schrieb Rael an den japanischen Kronprinzen Naruhito, dessen Fraubisher kinderlos geblieben war, und schlug ihm vor, sich als Ersatz für ein eigenes Kindklonen zu lassen. Daraufhin hagelte es Pressemeldungen und Leserbriefe. Im August 2001schlug Rael dann vor, Hitler zu klonen, um ihn seiner gerechten Bestrafung zuzuführen.Das hat die Leute schockiert und war so gesehen ein guter Schachzug. Im Mai 2002 hiess esdann in filmreifer Manier, Rael wolle Dracula klonen. Dahinter stand dieselbeArgumentation wie bei Naruhito: Der letzte Nachfahre der Familie Dracula in Rumänien warkinderlos, also schlug Rael ihm vor, ihn zu klonen, um das Geschlecht zu erhalten.Dracula ist einerseits ein realer Mensch, andererseits aber auch eine Filmfigur und eineFigur aus den Vampirromanen seit Bram Stoker. Rael bringt es immer wieder fertig, dasFantastische, das Fiktive zu «klonen» und es mit dem Realen zu vermischen.
Über das aktuelle Thema des Klonens sind wir zu Rael gekommen. Wer istRael, was ist er für eine Person?
Rael, mit bürgerlichem Namen Claude Vorilhon, ist1973 mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit getreten, dass er einen Ausserirdischengetroffen habe und von diesem zum Botschafter der Elohim ernannt worden sei. Das Weltbilddieser Ausserirdischen ist eine Art Neuauflage der biblischen Geschichten imtechnologischen Gewand. Die Arche Noah war demnach in Wirklichkeit ein Raumschiff, dasnicht Tierpaare transportierte, sondern eine Gendatenbank mit der DNS von all diesenTieren. Nach der Vernichtung von gentechnisch fehlgeschlagenen Experimenten (durch dieSintflut) sollte die Erde im Laufe neuer Experimente wieder bevölkert werden. DerKonflikt des Menschen zwischen naturwissenschaftlichem und religiösem Weltbild ist eineder Hauptursachen moderner Esoterik und vieler Sektenmythen. Solche Mythen versuchen,diese Kluft zu schliessen. Deshalb müssen die biblischen Geschichten neu erzählt werden.Das geht bis in die 50er Jahre zurück.
Vor seinem ersten grossen Auftritt in derOlympia in Paris war Rael Journalist und Herausgeber einer Zeitschrift fürMotorrennsport. Er war auch Chansonnier, schaffte es einmal mit einem Song sogar in dieCharts. Er war ein junger Mann, der ganz gut lebte und liebte, das Leben zu geniessenversuchte, der dann wahrscheinlich in eine Krise geriet &endash; aber das istSpekulation.Man gründet jedenfalls nicht so ohne weiteres eine Religion, die einen fürden Rest des Lebens gefangen hält. Vorilhon suchte wohl nach etwas Neuem.
Mitseinem Vortrag über seinen Kontakt mit den kleinen grünen Ausserirdischen zog erunglaublich viel UFO-fasziniertes Publikum an. In einem ersten Schritt trennte er sichdann von diesen Leuten, weil er keine Mitstreiter suchte, die primär von der technischen,parawissenschaftlichen Seite des UFO-Phänomens fasziniert waren. Er löste seine Gruppeauf und gründete eine neue Gemeinschaft, bei welcher nur «echte Gläubige» dabei waren.Das war Mitte der 70er Jahre, generell eine Zeit des Experimentierens, auch mitGlaubensvorstellungen. Vorilhons Botschaft hatte Erfolg und hat es noch heute.Wenn manmit überzeugten Raelianern spricht, ist man erstaunt, wie vehement sie diese Botschaftverteidigen, obwohl sie sich gleichzeitig liberal, gelassen und tolerant geben. Jederkönne glauben, was er wolle, sagen sie oft. Dahinter aber steht ein ganz starker Glaubean die Botschaft von Rael.
Rael fand sich also in der Rolle des Gurus wieder.Heute gibt es Anzeichen dafür, dass er an der üblichen Störung eines Gurus, der nicht mitdiesem Verhaltensschema aufgewachsen ist wie ein fernöstlicher Heiliger, leidet:Isoliertsein von der Realität, weil ihm zu viele Wünsche erfüllt werden. Er hat Mühe, denKontakt mit der Realität zu behalten.
Wie ist es ausgehend vonder Person «Rael» zu einer Bewegung gekommen, die inzwischen eine klarere Strukturangenommen hat?
Die Raelbewegung hat weltweit rund 25 000 Mitglieder und ist v.a. inFrankreich, Kanada und der Romandie präsent. Die Bewegung ist gut organisiert. Zu Beginnwar die Bewegung eine typische idealistische Gemeinschaft weniger Getreuer, die sich umRael scharten. Die ersten Jahre waren geprägt von Pioniergeist und Hippiementalität. Alssich die Gruppe vergrösserte und schwerfällig wurde, kam es da zu einer Änderung, und dieBewegung wurde hierarchisch. In der Raelbewegung gibt es eine Karriereleiter,wie sie fürUnternehmen typisch ist. Ein weiterer Wendepunkt war die obligatorische Uniformierung -das Tragen der weissen Gewänder.Wie die Osho-Anhänger tragen auch die Raelianer dasSymbol ihrer Bewegung auf der Brust. Früher war das Symbol eine Mischung zwischen einemHakenkreuz (nicht das Kreuz der Nationalsozialisten) und einem Davidsstern. Heute ist derDavidsstern kombiniert mit einer Art Sternspirale.
Gibt es in derRael-Bewegung Sanktionen, eine Disziplinierung von Abweichlern?
Ich glaube, das Idealder Gruppe ist ein eher liberales und tolerantes. Natürlich wissen wir von derartigenGruppen, dass sich solche Ideale mit der zunehmenden Grösse der Organisation nichtdurchsetzen lassen. Die Raelianer versuchten jedoch, interne faschistoide Tendenzen zubekämpfen.Wir wissen nichts Genaues von eigentlichen Rebellionen innerhalb der Bewegungoder Abspaltungen, aber sicher gab es Konflikte. Und was Strafmassnahmen betrifft, ist esbei den Raelianern vielleicht eher wie bei Sri Chinmoy: Die Mitglieder haben Angst,ausgeschlossen zu werden. Im Gegensatz zu christlichen Gruppen sind die Raelianerübrigens sinnenfreudig. Die Raelianer sind keine Kinder von Traurigkeit. Sexualität,Körperlichkeit,Massage werden aber auch eingesetzt, um die Mitglieder an die Gruppe zubinden.
Ist das mit ein Grund, warum sich der Raelbewegungauch viele junge Leute angeschlossen haben?
Ja, die gelebte Sexualität war sicher einMagnet für Einsteiger in den 70er, 80er-Jahren. Heute ist dieser Magnet schwächer, dieLeute sind relativ aufgeklärt, sie gestalten ihr sexuelles Leben selber. Im Zusammenhangmit der Sexualität gab es auch Vorwürfe der Pädophilie gegen die Raelianer. Es ist klar,dass eine solche Gruppe auch Pädophile anzieht. Möglich ist auch, dass Rael etwasUnvorsichtiges gesagt hat. Jedenfalls muss sich eine sexuell freizügige Gruppe mitsolchen Übertretungen auseinandersetzen. Rael führt seit einiger Zeit eine Art Orden:«Les Anges de Raël» (Die Engel Raels). Dieser Orden besteht aus jungen und sehr jungenFrauen, die ausschliesslich mit Rael und den anderen Propheten aus dem Weltall schlafendürfen. Rael besitzt somit einen eigenen Harem - das ist natürlich stossend und klareiner der Faktoren, der zeigt, dass Rael den Kontakt zur Realität verliert. Diese Sachemit der Sexualität nährt den Verdacht, dass die Raelbewegung im Grunde eineDesignerreligion ist, die letztlich vor allem existiert, um Raels Wünsche zuerfüllen.
Eine Designerreligion hätte wohl kaum Erfolg, wenn sienicht auch geistige Bedürfnisse aufnehmen würde.
Ja, sicher. Die Raelianer versuchen,den Konflikt zu lindern, dass wir einerseits in der Schule das naturwissenschaftlicheWeltbild kennen lernen und andererseits doch in der christlich-biblisch-jüdischenTradition stehen. Der Mythos, den Rael erzählt, behält das Mythische der biblischenGeschichten bei, aber geht den Kompromiss ein, dass die Geschichten technokratisch neuerzählt werden. Dazu kommt die starke soziale Beeinflussung in der Gruppe. Hierunterschätzt man die Raelbewegung. 1999 nahm ich an einer Veranstaltung der Raelianer fürneue Interessenten teil. Wir mussten damals in einen Park ausweichen, weil das Volkshausden Raelianern den Zutritt aufgrund eines kritischen Zeitungsartikels verweigert hatte.Zuerst gab es einen kurzen Vortrag von Thomas Känzig, der später Vizedirektor von Clonaidwurde. Er kündigte an, dass die Raelianer jeden Sonntag um 11.00h telepathischen Kontaktmit ihren ausserirdischen Schöpfern aufnähmen und forderte alle Anwesenden auf, an derMeditation teilzunehmen. Die Gruppe war klein: einige Raelianer, eine Kollegin und ichvon der Projektgruppe UFO-Forschung und ein paar echte Interessenten. Ein Raelianerhyperventilierte, was aufzeigt, dass gezielt Techniken zur Veränderung desBewusstseinszustandes angewendet wurden. Die Leute schlossen die Augen, und Thomas Känzigleitete eine echte Hypnose ein. Er führte die Teilnehmer durch eine Fantasiereise und waser sagte, klang etwa so: «Setzen wir uns bequem hin und atmen ganz entspannt. Stellen wiruns vor, unsere Seele sei eine Seifenblase. Sie wird leicht, steigt auf aus unseremKörper und schwebt über unserem Kopf. Wir können uns jetzt sitzen sehen, hier imsonnenbeschienenen Park. Dann steigt die Seifenblase auf, wir sehen den ganzen Park, dieStadt, die Schweiz, die Alpen, den Kontinent, die Erde.Wir sehen die Erde als blaue Perleim Weltall schweben und steigen immer weiter auf, weg von der Erde. Wir fliegen weiter,durch das dunkle All, durch diese Leere. Dann sehen wir einen leuchtenden Punkt, auf denwir zufliegen. Das ist der Planet der Ausserirdischen, die uns erschaffen haben, dersogenannten Elohim. Wir kommen immer näher, der Planet schimmert wie Perlmutt, wird immergrösser. Wir landen auf einer Wiese. Dort steht eine Gruppe Lebewesen. Es sind dieAusserirdischen, die uns bereits erwartet haben. Wir gehen auf sie zu und sprechen mitihnen ohne Worte.Wir spüren die unermessliche Liebe und Wärme die sie für uns empfinden.Nach einer Weile müssen wir Abschied nehmen. Auch das geht ohne Worte. Es ist traurig,aber es muss sein. Wir steigen wieder auf, verlassen den Planeten, der zur kleinen Perlewird.Wir schweben zurück durchs All, die Erde wird wieder grösser, eine kleine blaueKugel. Und jetzt» - fügte Thomas Känzig bei - «wollen wir noch all jener Menschengedenken, die auf der Erde unter Krieg und Krankheit leiden.Dann landen wir wieder undvereinigen uns mit unserem Körper, der immer noch im Park sitzt.»
Soweit dieserTrip. Das Ganze war an sich entspannend, enthielt aber brisante Details einerIndoktrination: Die Erde wurde negativ geschildert, der Planet der Ausserirdischenhingegen als ein absolutes Gefühlsparadies. Ich habe die Anwesenden gefragt, ob sieeigentlich wüssten, dass hier eine klassische Hypnose angewendet worden sei. Daraufhinentbrannte eine heftige Diskussion darüber, ob das stimme oder nicht. Känzig meinte, erhabe den Inhalt nicht gelernt, aber die Technik. Ob er selber wusste, dass er Hypnoseanwendete, bin ich mir nicht sicher.