Antisemitismus: Karma?
24.08.2006 um 18:00
Holocaust karmisch gerechtfertigt: 'Juden waren selbst schuld'
Am 4. Maiverurteilte das Amtsgericht Neuwied den Esoterik-Autor Tom "Trutz Hardo" Hockemeyer zueiner Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40 Mark wegen Volksverhetzung in Tateinheitmit Beleidigung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Außerdem darf er seinBuch "Jedem das Seine" nicht mehr vertreiben. Seit Wochen verhandelte das Gericht beiKoblenz die spezielle Variante der Vergangenheitsbewältigung des "Trutz Hardo", so seinKünstlername.
In diesem Machwerk ("Farbroman"), dessen Titel Tom Hockemeyerbewußt wählte, wird der millionenfache Mord an Juden und Jüdinnen verklärt als gerechteStrafe für Verbrechen, deren sie sich in angeblich früheren Leben schuldig gemachthätten. In der Urteilsbegründung folgert das Gericht deswegen: "Der Angeklagte sprichtbeispielsweise Hitler [...] von individueller Schuld frei und bezeichnet ihn als einenVollstrecker eines
ewig geltenden schicksalhaften Ausgleichs, genannt Karma.[...]Vereinfacht
ausgedrückt behauptet der Angeklagte nämlich, diese Ermordeten oder im KZgeschundenen Juden wären selbst für ihr grausames Schicksal zumindest ursächlich, andersausgedrückt, sie hätten selbst den Holocaust zu verantworten."
Der in Berlinlebende Hockemeyer (1939 geboren) gründete 1982 zusammen mit Manfred Huber aus Elsbachund dessen inzwischen verstorbener Ehefrau den esoterischen Verlag "Die Silberschnur" alsGmbH mit Sitz in Güllesheim (Kreis Altenkirchen). Zu den AutorInnen des von Hockemeyerals Geschäftsführer geleiteten Verlages gehört die "Sterbe- und Nahtodforscherin"Elisabeth Kübler-Ross. Die Starautorin des Verlages ist mit so bezeichnenden Titeln wie"Sterben lernen - Leben lernen" oder "Jedes Ende ist ein strahlender Beginn" im Programm.
Daneben zählt zu seinen AutorInnen Michael Hesemann, Herausgeber des
Ufo-"Magazin 2000", der von Kontakten mit außerirdischen Intelligenzen
erzähltund Uri Geller, psychokinetischer Löffelverbieger, der über sein
Leben berichtet,sowie ein Prof. Arthur David Horn, der behauptet: "Götter gaben uns die Gene", kurz: derSchwerpunkt des Programms liegt in der Behauptung und "Beweisführung" von "jenseitigem"realen Leben. Aus diesem Milieu heraus operiert Hockemeyer als selbsternannter
"Reinkarnationstherapeut" und gibt Seminare zur Erlernung der
"automatischenSchrift". Auf Esoterik-Messen oder Workshops führt er nicht selten über 300TeilnehmerInnen in angeblich frühere Erdenleben zurück. Desweiteren ist Hockemeyerständiger Autor der New-Age-Zeitung "Die Andere Realität".
Das "rechtslastigedeutsche Obskurantenblatt" (so die Bezeichnung der
österreichischen Zeitung "dieLinke", Nr. 4/97) beschreibt nicht nur
Kontaktaufnahmen mit den Seelen abgetriebenerFöten, auf die Erde
reinkarnierte frühere BewohnerInnen von Alpha Centauri oderGeister aus dem Jenseits neben Engeln und WunderheilerInnen. Neben anderen schreiben auchRoman Schweidlenka und Franz Alt darüber, daß "der Mensch steht NICHT im Mittelpunkt"steht. Hockemeyers "Jedem das Seine" feierte das Blatt so dann auch als "mutigsten Romanunseres Jahrhunderts" und ließ ihn in einem Interview nochmals seine These darlegen, daßdie Juden sich ihre Leiden selbst ausgesucht hätten (vgl. DRR Nr.44: "Schöne Neue Welt"von G. Mergel).
In seiner Stellungnahme zum 1.Verhandlungstag berief Hockemeyersich auf einen "Rabbi Berg", der "den Mut gehabt hätte, Adolf Eichmann als einen solchenzu bezeichnen, der den Juden half, ihr Karma aufzulösen". Als "Beweis" führte er das in"Rückführungen" bestätigte "Karma-Gesetz" an, welches naturgesetzlich sei.
Gleichzeitig zitierte er zustimmend Bruce Goldberg: "Das karmische System ist einweit gerechteres als jegliches Gesetzessystem, das je von Menschen erdacht worden ist".In der Attitüde des verfolgten Vorkämpfer der Wahrheit verglich er sich mit u.a. mitGalileo Galilei und erinnerte daran, daß man früher Verkünder zukünftiger Ideen einfachverbrannt hatte. Das Gericht konnte dem nicht folgen und sprach von Belegen seines"überschätzten Selbstbewußtseins" bzw. einer "nicht mehr nachvollziehbare(n)Selbstüberschätzung des Angeklagten". Schutzbehauptungen: "Freund der Juden" Hockemeyersständige Behauptung, ein "Freund der Juden" zu sein, untermauerte er damit, sich damals"spontan" zum 6-Tage-Krieg gemeldet zu haben ("obwohl ich eigentlich Pazifist bin"). Abergenommen wurde er nicht. Als Zeugen dafür wollte er Jochen Kirchoff vor Gericht ladenlassen, einen Freund aus gemeinsamen Studientagen, mit dem er bis heute Kontakt hätte.
Kirchoff hat in seinem 1990 erschienenen Buch "Nietsche, Hitler und die
Deutschen" den historischen deutschen Faschismus als unvollendete Revolte gegen denNihilismus bezeichnet, als einen "verhunzten
Weltheilungsversuch", und durch die"Umerziehung" der Alliierten wären "die Deutschen" ihrer nationalen Identität und damitjeder
schöpferisch-irrationalen Komponente beraubt worden. Die Folge wäre u.a. dienicht geleistete "innere Bewältigung" des Nationalsozialismus.
Geistesverwandtargumentiert Hockemeyer in dem Aufsatz "Der Judenkomplex der Deutschen": Der "von außenübergestülpte Mantel der Kollektivschuld" hätte die Deutschen als inneren Schuldkomplexvoll übernommen und würde sie überempfindlich reagieren lassen auf jede Kritik an oderfreiere Meinungsäußerung über die Juden. Er, Hockemeyer, leide jedenfalls unter keinem"Judenkomplex" mehr und bezeichnet bescheiden sein Werk als "das projüdischsteliterarische Werk deutscher Literatur seit Lessings Nathan den Weisen". "Projüdisch"übernimmt er daher die gängigen Stereotypen vom mosaisch/christlich zersetzenden Glauben,der den wahren geistigen Fortschritt der Menschheit behindere ("Die Andere Realität",Nov. 1997). In einem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" vom 4.5. sagte er: "Ichwürde die Juden wegen des Mordes an Jesus niemals verurteilen, denn er war notwendig fürdas Heilsgeschehen!"
Das Gericht schien streckenweise entnervt von demesoterischen Schwachsinn. Unter anderem als Hockemeyer darlegte, nicht er, sondern sein"höheres selbst" bzw. "ein anderer" Autor hätte das Buch verfaßt. Woraufhin RichterSpeyerer konstatierte, das sei wohl ein "Gemeinschaftswerk" und Heiterkeit im Saalauslöste. Weniger heiter machten die Nachfragen zum Schicksal der im KZ umgekommenenKinder. Hockemeyer antwortet: sie hätten sich freiwillig ihren Eltern im KZ zur Verfügunggestellt, um ihnen beim Ausgleich ihres Karmas behilflich zu sein.
Dieschriftliche Urteilsbegründung ließ aber keinen Zweifel aufkommen, daß mehrereStraftatbestände erfüllt sind. Mit Verweis auf die Anti-Esoterik-Demonstration Ende 1996in Darmstadt sah das Gericht belegt, daß "das Buch auch trotz geringer Verkaufszahlengeeignet ist, den
öffentlichen Frieden zu stören" und außerdem verwies esausdrücklich auf
die "heutige Zeit mit der Gefahr des Wiederaufflackernsnationalsozialistischen und rechtsextremistischen Gedankengutes".
DieStaatsanwaltschaft, die das Urteil zu milde fand, hat Berufung eingelegt, desgleichenHockemeyers Anwalt, Peter Johannsen aus Koblenz, der Freispruch forderte.
Quelle:
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