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Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel

6 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Evangelien, Anordnung, Apostelgeschichte ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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Lakonier Diskussionsleiter
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Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel

22.06.2022 um 17:34
Seit längerer Zeit wundere ich mich über die Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel. Am Anfang stehen die drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas), dann folgt das Johannes-Evangelium und daran schließt sich noch die Apostelgeschichte an, die mit der Reise des Apostels Paulus nach Rom abrupt endet. Der Punkt, der mich stutzig macht, ist dieser:

Die Apostelgeschichte ist eine Fortsetzung des Lukas-Evangeliums. Der zusammenhängende Text wird also durch das Johannes-Evangelium gewissermaßen "zerhackt", so dass das Johannes-Evangelium wie ein Fremdkörper erscheint. Der Anfang des Johannes-Evangeliums ("Am Anfang war das Wort") würde inhaltlich viel besser an den Beginn des Neuen Testaments passen. Wäre das Johannes-Evangelium also als erstes Evangelium angeordnet worden, hätte man das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte als zusammenhängenden Text belassen können.

Bei meiner Recherche habe ich nichts gefunden, was das Zustandekommen der Anordnung in der Form, wie sie vorzufinden ist, betrifft. Darum meine Frage, ob hierzu jemand genauer Bescheid weiß.


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Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel

23.06.2022 um 00:52
Die Reihenfolge der Evangelien im Neuen Testament ist schon aus Dokumenten des 2.Jh. bekannt. Sie wird als chronologisch erklärt, daß also Matthäus als erster sein Evangelium verfaßt hätte, dann Markus, der eine Art Kurzversion des Matthäusevangeliums erstellt hätte, dann Lukas, der wieder die Vorlagen aufgenommen, zusätzlich aber weitere Quellen hinzugezogen hätte, und schließlich hätte der jüngste Apostel, Johannes, in hohem Alter ein eigenes Evangelium verfaßt. Matthäus und Johannes waren Jünger Jesu und damit Augenzeugen, wohingegen Markus und Lukas sich auf Quellen beziehen mußten. Deswegen ähneln die Evangelien des Markus und Lukas dem Matthäusevangelium, aber nicht dem Johannesevangelium, das da noch nicht geschrieben war. Eigentlich eine in sich stimmige Geschichte. Aber sehr wahrscheinlich nicht historisch. Die überragende Mehrheit der antiken Bibelhandschriften(-Fragmente) zeigen diese Reihenfolge, aber es gibt auch Abweichendes. Die sogenannte Westliche Reihenfolge vertauscht Markus und Lukas, sodaß erst die Augenzeugen-Evangelien kommen, dann die Hörensagen-Evangelien, und hierbei erst das reichhaltigere, dann das kürzeste.

Eine Interpretation der klassischen Reihenfolge ist, daß hiermit die Bedeutung der Evangelien in den Gemeinden wiedergespiegelt wird. Ich kann mir aber nur schwer vorstellen, daß das Markus-Evangelium, das sich inhaltlich fast vollständig im Lukas-Evangelium wiederfindet (ebenso wie im Matthäus-Evangelium), in den Gemeinden höher geschätzt gewesen sein soll als Lukas.

Bis weit ins zweite Jahrhundert hinein hatten die Gemeinden die NT-Schriften als Einzelschriften. Relativ früh mag es schon für die Paulusbriefe eine alle zusammenfassende Einzelschrift gegeben haben, zumindest werden die Paulusbriefe häufig als "die Paulusbriefe" bezeichnet, also als eine Sammlung. Aber ansonsten waren es eben Einzelschriften. Eine Zusammenfassung in Form eines "Buches", welches "von vorne bis hinten gelesen" wird, dieses Konzept kannte man nicht. Mehrere Einzelschriften wurden nicht nach "und was passierte danach" sortiert, sondern nach anderen Kriterien wie die Bedeutsamkeit (erst Evangelien, dann Apostelgeschichte), die chronologische Entstehungsabfolge (Mt, Mk, Lk, Jo) oder die Textlänge (Paulusbriefe, allerdings erst die Gemeindebriefe, dann die Briefe an Einzelpersonen, und in beiden Gruppen dann nach Textlänge). Auch hatte man die Schriften nicht "privat", sondern in den Gemeinden (oder man hatte sie zwar zu Hause, nahm sie aber zu den Treffen mit, wo dann gelesen wurde). Wenn mal von Lukas erst Evangelium, dann Apostelgeschichte gelesen werden sollte, konnte man das problemlos machen. Eine Notwendigkeit, sie in der Sammlung nebeneinanderzustellen, bestand nicht.
Zitat von LakonierLakonier schrieb:Bei meiner Recherche habe ich nichts gefunden, was das Zustandekommen der Anordnung in der Form, wie sie vorzufinden ist, betrifft.
Komisch. Als ich bei Google "Reihenfolge der " reingeschrieben hatte, bot mir die automatische Vervollständigung als zweiten Vorschlag "Reihenfolge der Evangelien" an. Und schon auf der ersten Ergebnisseite gab es einen Treffer, der es gut erklärte.


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Lakonier Diskussionsleiter
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Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel

23.06.2022 um 06:22
@perttivalkonen

Danke für die Erklärung der Hintergründe, wie es zu der Anordnung gekommen sein könnte. Ich werde mich später noch mal dazu äußern. Was die Recherche betrifft: Ich hatte "Entstehung des Neuen Testaments" eingegeben und bin dann in der Wikipedia hängen geblieben. Dort fand ich dann auch einiges Interessantes, was ich zuvor auch nicht wusste, aber eben nichts zur Entstehung der Reihenfolge der Evangelien, stattdessen zur Festlegung, welche Texte verbindlich in den Kanon aufgenommen wurden und welche erst später oder gar nicht. Wie gesagt: Das ist auch interessant, aber hatte meine Frage nicht beantwortet.


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Lakonier Diskussionsleiter
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Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel

23.06.2022 um 16:34
Zitat von perttivalkonenperttivalkonen schrieb:Und schon auf der ersten Ergebnisseite gab es einen Treffer, der es gut erklärte.
Ich habe mir einen dieser Treffer mal durchgelesen:
Die neutestamentlichen Schriften entstanden nicht zu dem Zweck, einmal in einer „Bibel“ vereinigt zu werden. Es sind „Gelegenheitsschriften“, die verschiedene Autoren zu verschiedenen Gelegenheiten verfassten. ... Schon zur Zeit des Irenäus (um 200) waren dann alle vier Evangelien bekannt und anerkannt (im Unterschied zu anderen Evangelien, die aus unterschiedlichen Gründen nicht anerkannt wurden). ... Dennoch gab es noch keine feste Reihenfolge. Meist werden die heute sogenannten „Synoptiker“ zusammengehalten, danach folgt Johannes. ... Auch in den Leseordnungen der Kirche besaß Matthäus jahrhundertelang einen Vorrang. Man hielt es für das älteste und wichtigste Evangelium.
Quelle: https://www.kiz-online.de/content/warum-ist-matthaeus-das-erste-evangelium

Dem kann ich entnehmen, dass das Matthäus-Evangelium für das älteste und wichtigste Evangelium gehalten wurde, so dass es aus diesem Grund dann in der Zusammenstellung des Neuen Testaments an die erste Stelle gerückt ist. Da die synoptischen Evangelien wegen der inhaltlichen Ähnlichkeiten zusammenstanden und das offenbar zur Zeit der Zusammenstellung der Texte dann auch so fixiert worden ist, blieb dann nur noch das Johannes-Evangelium als letztes Evangelium übrig.
Zitat von perttivalkonenperttivalkonen schrieb:Mehrere Einzelschriften wurden nicht nach "und was passierte danach" sortiert, sondern nach anderen Kriterien wie die Bedeutsamkeit (erst Evangelien, dann Apostelgeschichte), die chronologische Entstehungsabfolge (Mt, Mk, Lk, Jo) oder die Textlänge (Paulusbriefe, allerdings erst die Gemeindebriefe, dann die Briefe an Einzelpersonen, und in beiden Gruppen dann nach Textlänge).
Ja, das klingt stimmig, wobei ich vermute, dass die (erzählte) Chronologie der Bedeutsamkeit angepasst wurde - also Matthäus als ältestes Evangelium eines Apostels, dann nachfolgend die inhaltlich ähnlichen Evangelien von Nicht-Aposteln in chronologischer Ordnung (erst Markus, dann Lukas) und schließlich das jüngere der beiden Evangelien, die von einem Apostel stammen. Die Apostelgeschichte war also von nachrangiger Bedeutung, wenn ich das richtig verstehe, obwohl sie inhaltlich das Evangelium von Lukas fortsetzte.

Na gut, aber trotzdem wirkt das Ganze ziemlich "zerhackt" ...

Was mir noch auffällt, ist die Aufnahme der beiden Johannesbriefe 2. Joh. und 3. Joh., obwohl sie - im Unterschied zu 1. Joh. - zunächst nicht unumstritten dazugehörten:
Unumstritten waren immer die vier kanonischen Evangelien, die Apostelgeschichte, die Paulusbriefe, die Pastoralbriefe und der 1. Brief des Johannes. Teilweise angezweifelt, aber schließlich anerkannt wurden der Hebräerbrief, der Brief des Jakobus, der 1. und 2. Brief des Petrus, der 2. und 3. Brief des Johannes, der Brief des Judas und die Offenbarung des Johannes.
Quelle: Wikipedia: Neues Testament#Geschichte und Kanonisierung des Neuen Testaments

Wenn ich mir diese beiden letzten Johannesbriefe durchlese, unterscheiden sie sich in ihrem Inhalt doch deutlich sowohl vom ersten Johannesbrief wie auch von den übrigen Briefen im Neuen Testament - genauer: Sie enthalten fast nichts, was mitteilenswert ist. Ist darüber etwas bekannt, was den Ausschlag dafür gab, dass diese beiden Briefe dann doch in den Kanon aufgenommen worden sind?


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Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel

23.06.2022 um 16:59
Zitat von LakonierLakonier schrieb:Sie enthalten fast nichts, was mitteilenswert ist.
Hätten die Leute damals ne Einkaufsliste Jesu für ein Jüngermahl gehabt, auch die wäre heute im NT drin. Sie hielten es für authentisch, quasi "von heiliger Hand geschrieben" - sowas schmeißt man nicht weg.
Zitat von LakonierLakonier schrieb:Na gut, aber trotzdem wirkt das Ganze ziemlich "zerhackt" ...
Eben. Da hat sich keiner hingesetzt und ein einheitliches Werk von vorne bis hinten geschrieben. Da wurden diverse Texte gesammelt und zusammengestellt. Da paßt nix zusammen, nix folgt logisch aufeinander. Nur das Lukanische Doppelwerk, aber das wurde ja auch von ein und dem selben Typen geschrieben, und das zweite Werk bewußt wie eine Fortsetzung des ersten. Doch selbst im Lukasevangelium stehen viele Kurzerzählungen, die nur knapp miteinander verbunen wurden, und bei denen man merkt, igentlich sind das eigenständige, in sich abgeschlossene Kurzstories, die nicht wirklih miteinander zu tun haben. Nur zwischen den Erzählungen liest man regelmäßig Sachen wie "aber am nächsten Tag" oder "von da zogen sie weiter und kamen nach" etc, und manhmal findet man am Ende einer Kurzgeschichte ein "das aber sagte er, um auf seinen Tod vorzuweisen".

Bei Lukas finden sich sogar mehrere Umstellungen der Geschichten, während Matthäus und Markus sie in anderer (untereinander aber häufig gleicher) Abfolge bieten. Lukas hat stärker um eine Struktur der Einzelereignisse gerungen. Während bei Mt und Mk erst die Geschichten stehen, die halt hier und da passiert sind, meist in Galiläa, und anschließend die Passions-Erzählungen, also alles, was in der letzten Woche in Jerusalem erfolgt sein soll, incl. Gefangennahme, Tod und Auferstehung, sortiert Lukas erst die galiläischen Geschichten, um dann vor den Passionsteil noch eine Art "Reise nach Jerusalem" einzufügen. Hier finden sich Erzählungen, die zwischen Galiläa und Jerusalem abspielen (z.B. in Samarien), und zwar von Nord nach Süd sortiert wie auf einer direkten Reise von Galiläa nach Jerusalem. Hier packte Lukas auch einige Erzählungen rein, die nach den anderen beiden eigentlich in Galiläa stattfanden, die aber für Lukas bedeutsamer schienen, wenn sie direkt vor der Passion (und auf diese hinwirkend) erfolgen. Lukas hat also aus den vorgegebenen Evangelien, die ebenfalls nur zusammengehäckselt wirkten, eine "Literatur" gemacht. Und trotzdem merkt man auch bei ihm, daß die Stories eigentlich nicht viel miteinander zusammengehören, sondern eigentlich allein überliefert waren.


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Lakonier Diskussionsleiter
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Anordnung der vier Evangelien und der Apostelgeschichte in der Bibel

23.06.2022 um 17:14
Zitat von perttivalkonenperttivalkonen schrieb:Hätten die Leute damals ne Einkaufsliste Jesu für ein Jüngermahl gehabt, auch die wäre heute im NT drin.
:D

O.K., dann erst mal vielen Dank für Deine Ausführungen.


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