Widerspruch im Paradies
17.09.2004 um 14:33Widerspruch im Paradies
Eines schönen Tages, blau war er des großen Mittags und rötlich-violett in der Dämmerung, waren alle Montagsdemonstrationen, sämtlich Mittwochnachmittagspausen, sowie auch die bekannten Freizeit nach dem Freitagsgebet, durch eine ewige Ruhe, die nicht mit der vor dem Sturm vergleichbar wäre, sondern jene ist, die nach einer großen Anstrengung eintritt, abgelöst.
Nach dieser Ruhe kam der Frieden, nach dem Frieden die Stille, nach der Stille die Starre, nach der Starre setzt gewöhnlich der Tod ein, doch sie, die nun im Paradies der klassen - und ereignislosen Gesellschaft beieinander lagen - zwischen ihnen die Lämmer und die Wölfe – erfasste plötzlich, kurz nach der Starre, ein Hauch der Bewegung. War es der schräge Laut eines unbekannten Vogels, ein verstecktes Lachen irgendwo am Strand oder ein Rauschen gleich des Flügelschlags zweier Insekten – sie hoben ihre Köpfe und erschraken.
Sie erschraken nicht gleich; erst waren ihre Gesichter leer, dann schlich sich Verwunderung ein, zuletzt grimassierten sie, als hätten sie in das Antlitz des Todes gesehen. Als sie ihre Sprache wieder fanden, die sich beinahe aus dem Hirn geschlichen, sagten die Kleinen unter ihnen, sie wüssten nicht, warum ihre Hände so schmerzten, die Hellen verstanden niemanden mehr, die Breiten mochten die Luft nicht, die Großen hielten die Augen geschlossen und die Dunklen weinten ohne Unterlass. Während die Feigen unablässig mit dem Kopf schüttelten, die Dicken sich vereinzelt ins Meer stürzten, klatschten die Mutigen mit den Händen, wurden die Dünnen, die ins Leere starrten, völlig übersehen. Als dann aber einer der Dummen sagte, es sei weder Abend noch Morgen feststellbar, entgegneten die Klugen unisono, das alles läge am System.
Das System sei schuld. Man habe sie in diesen Zustand der Glückseligkeit versetzt, weil die Herrschaft das so wolle. Wer das sei, fragten die Schmalen, die von den Namenlosen immer spöttisch die Schalen gerufen wurden (vor dem Zustand der Glückseligkeit versteht sich, als noch Zwietracht zwischen den Herzen existierte), und die Klugen sagten, dies wisse man nicht, werde dies jedoch schnellstens, sie wiederholten: schnellstens! heraus finden. Die Langgeweilten stimmten begeistert zu.
Überall entstanden Kommissionen und Ausschüsse, wurden Flugblätter verfasst und Schriften erstellt, waren alle auf der Suche nach den Schuldigen ihrer Glückseligkeit, brennend vor Scham. Man kam zu dem Schluss, Kollaborateure der unbekannten Herrschaft seien vermutlich die Besseren, auch die Scheuen gerieten unter Verdacht. Einzelne verhaftete man schon im Morgengrauen, mehrere fand man am Vormittag erschlagen und als am Nachmittag die Kolonnen von überall her rings der großen Plätze auf die freien Felder in den Ebenen strömten, da war nur kurz das gellende Gebrüll zuhören, unmittelbar bevor alles im Kampfgeheul versank: Das Gebrüll der Lämmer, welche die Wölfe rissen.
Tanja Krienen
Eines schönen Tages, blau war er des großen Mittags und rötlich-violett in der Dämmerung, waren alle Montagsdemonstrationen, sämtlich Mittwochnachmittagspausen, sowie auch die bekannten Freizeit nach dem Freitagsgebet, durch eine ewige Ruhe, die nicht mit der vor dem Sturm vergleichbar wäre, sondern jene ist, die nach einer großen Anstrengung eintritt, abgelöst.
Nach dieser Ruhe kam der Frieden, nach dem Frieden die Stille, nach der Stille die Starre, nach der Starre setzt gewöhnlich der Tod ein, doch sie, die nun im Paradies der klassen - und ereignislosen Gesellschaft beieinander lagen - zwischen ihnen die Lämmer und die Wölfe – erfasste plötzlich, kurz nach der Starre, ein Hauch der Bewegung. War es der schräge Laut eines unbekannten Vogels, ein verstecktes Lachen irgendwo am Strand oder ein Rauschen gleich des Flügelschlags zweier Insekten – sie hoben ihre Köpfe und erschraken.
Sie erschraken nicht gleich; erst waren ihre Gesichter leer, dann schlich sich Verwunderung ein, zuletzt grimassierten sie, als hätten sie in das Antlitz des Todes gesehen. Als sie ihre Sprache wieder fanden, die sich beinahe aus dem Hirn geschlichen, sagten die Kleinen unter ihnen, sie wüssten nicht, warum ihre Hände so schmerzten, die Hellen verstanden niemanden mehr, die Breiten mochten die Luft nicht, die Großen hielten die Augen geschlossen und die Dunklen weinten ohne Unterlass. Während die Feigen unablässig mit dem Kopf schüttelten, die Dicken sich vereinzelt ins Meer stürzten, klatschten die Mutigen mit den Händen, wurden die Dünnen, die ins Leere starrten, völlig übersehen. Als dann aber einer der Dummen sagte, es sei weder Abend noch Morgen feststellbar, entgegneten die Klugen unisono, das alles läge am System.
Das System sei schuld. Man habe sie in diesen Zustand der Glückseligkeit versetzt, weil die Herrschaft das so wolle. Wer das sei, fragten die Schmalen, die von den Namenlosen immer spöttisch die Schalen gerufen wurden (vor dem Zustand der Glückseligkeit versteht sich, als noch Zwietracht zwischen den Herzen existierte), und die Klugen sagten, dies wisse man nicht, werde dies jedoch schnellstens, sie wiederholten: schnellstens! heraus finden. Die Langgeweilten stimmten begeistert zu.
Überall entstanden Kommissionen und Ausschüsse, wurden Flugblätter verfasst und Schriften erstellt, waren alle auf der Suche nach den Schuldigen ihrer Glückseligkeit, brennend vor Scham. Man kam zu dem Schluss, Kollaborateure der unbekannten Herrschaft seien vermutlich die Besseren, auch die Scheuen gerieten unter Verdacht. Einzelne verhaftete man schon im Morgengrauen, mehrere fand man am Vormittag erschlagen und als am Nachmittag die Kolonnen von überall her rings der großen Plätze auf die freien Felder in den Ebenen strömten, da war nur kurz das gellende Gebrüll zuhören, unmittelbar bevor alles im Kampfgeheul versank: Das Gebrüll der Lämmer, welche die Wölfe rissen.
Tanja Krienen