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Die destruktiven Gesetzmäßigkeiten des Zinssystems und Wege zu seiner Überwindung
Ringvorlesung Energie - Umwelt - Gesellschaft
Referent:
Prof. Dr. Bernd Senf, Fachhochschule für Wirtschaft, Berlin
Ort:
Kristallographie, Takustr. 6, Hörsaal
Zeit:
(ausnahmsweise) Dienstag, 2002-11-19 18:15 - 21:00 Uhr
Inhaltsangabe von Roland Reich (vgl. Nachtrag am Ende)
Warum das Zinssystem mit seiner scheinbar so selbstverständlichen Verknüpfung von Geld und Zins in vieler Hinsicht problematisch ist, soll im folgenden nur kurz angedeutet werden. Aus der Sicht der Geldanleger erscheint der Zins ja als etwas sehr Positives: Er läßt automatisch das Geldvermögen immer weiter anwachsen, und wenn die jährlichen Zinsertrage nicht entnommen, sondern immer wieder dem vorhandenen Geldvermögen zugeschlagen und ebenfalls verzinst werden, ergibt sich durch den Zinseszins sogar ein beschleunigtes, ein "exponentielles" Wachstum (Abbildung 41): Geld wächst und wächst und wächst scheinbar ganz von selbst. Es handelt sich hierbei nicht einfach um Bestandserhaltung und auch nicht einfach nur um ein lineares Anwachsen, sondern um ein immer schneller werdendes Wachstum des Geldvermögens.
[Abb. 41: Entwicklung einer Geldanlage durch Zins und Zinseszins. Aus dem Buch von Bernd Senf "Der Nebel um das Geld", Seite 86]
Aber woher kann dieses Wachstum kommen, was liegt ihm zugrunde? Die angelegten Gelder fließen über die Geschäftsbanken an die Kreditnehmer, werden also irgendwo anders zu Schulden, die mit Tilgung, Zinsen und Sicherung verbunden sind: bei Unternehmen, privaten Haushalten, dem Staat oder im Ausland. Die wachsenden Geldvermögen (GV) an einer Stelle entstehen also nur auf der Grundlage entsprechend wachsender Verschuldung (VS) an anderer Stelle des Gesamtsystems. Geldvermögen und Verschuldung entwickeln sich insofern spiegelbildlich, und also wächst auch die Verschuldung exponentiell (Abbildung). Die wachsenden Schulden müssen aber bedient werden und gehen (bei gegebenem Zinssatz) mit entsprechend wachsenden Zinslasten der Schuldner einher. Und die Schuldner müssen zur Aufbringung von Tilgung und Zinsen Überschüsse erzielen - durch wachsende Erlöse und/oder durch Senkung anderer Kosten. Bezogen auf die Unternehmen bedeutet das: Der Zins setzt ihre Produktion und ihren Absatz unter einen ständigen
[Abbildung: Wachsende Geldvermögen (GV) gehen einher mit spiegelbildlich wachsender Verschuldung (VS) an anderer Stelle.]
Wachstumszwang. Auf Dauer und im Durchschnitt müßte das Unternehmenswachstum mit dem Wachstum der Zinslasten Schritt halten, wenn die Zinsen problemlos aufgebracht werden sollen. Das hieße aber auch: Die Wirtschaft müßte ständig und dauerhaft mindestens eine Wachstumsrate in Höhe des Kreditzinses am Kapitalmarkt hervor bringen.
Um zu veranschaulichen, welche ungeheure Dynamik der Zinseszins über längere Zeit entfaltet, soll das Guthaben berechnet werden, das aus einem Anfangskapital im Wert von 1 DM theoretisch entstehen würde, wenn dieses Kapital seit Christi Geburt bis zum Jahre 1950 mit einem konstanten Jahreszinssatz von 4 % verzinst würde - ohne zwischenzeitliche Inflation und Währungsreform, ohne Zinssteuer und Erbschaftssteuer, ohne Revolution und Enteignung, aber auch ohne Entnahme von Zinsertragen.
Wenn die Zinsen an jedem Jahresende regelmäßig dem Kapital zugeschlagen werden, dann erhöht sich dieses nach jedem Jahr um den Faktor 1,04. Indem man das Anfangskapital 1950 mal mit diesem Faktor multipliziert, erhält man mit der yx -Taste eines Taschenrechners in Sekundenschnelle für das Kapital am Ende des Jahres 1950 den Wert
K (t = 1950 a) = 1 DM * 1,041950 = 1,64 * 1033 DM.
Im Jahr 1950 war es im Prinzip noch möglich, sich ein Bankguthaben in Gold auszahlen zu lassen. Wieviel Gold wäre dafür in diesem Fall notwendig gewesen?
Als Goldpreis sei 18551 DM = 1 kg Gold zugrundegelegt (Frankfurter Börse vom 17.3.2000). Dividiert man die damit zu errechnende Goldmasse durch die Dichte von Gold (= 19,3 g/cm3), erhält man das Volumen dieser Goldmenge. Dividiert man dieses durch das Volumen der Erdkugel (das man aus dem Erdumfang 2 rErde = 40000 km errechnet: 1,08*1021 m3), so erhält man für das Kapital:
K (t = 1950 a) = 4240 Erdkugeln in Gold.
Bei diesem erstaunlichen mathematischen Ergebnis drängt sich einem naiv-gutgläubigen, aber zugleich nachdenklich-gewissenhaften Betrachter die Frage auf:
"Wie ist es möglich, dass sich allein durch das Liegenlassen auf der Bank ohne weitere Arbeit des Sparers aus dem geringen Anfangskapital von 1 DM so unermessliche Werte entwickeln?"
Dazu gibt es zahlreiche Antworten und Klarstellungen:
1. Dem positiven Guthaben des Sparers stehen in gleicher Gesamthöhe negative Guthaben (d.h. Schulden) der Kreditnehmer gegenüber, an die die Bank das Kapital weitergegeben hat. Die Gesamtsumme aller Kontostände ist also immer gleich null (genau genommen sogar negativ, um einen positiven Gewinn der Bank auf insgesamt null auszugleichen).
Wenn bei dieser Kapitalverschiebung überhaupt bleibende materielle oder geistige Werte geschaffen worden sind, dann sicher nicht von dem Sparer, der (abgesehen von dem geringen Anfangskapital) keine weitere Arbeit beigetragen hat. Man kann ihm daher keinen moralischen Anspruch auf das oben berechnete Geldkapital zubilligen, auch wenn die zur Zeit noch gültigen (revisionsbedürftigen!) Gesetze ihm einen rechtlichen Anspruch darauf zugestehen. Denn "Werte" können (wenn überhaupt) nur durch (geistige und körperliche) Arbeit geschaffen werden.
2. Dass das in der ganzen Welt vorhandene Gold bei weitem nicht für eine Auszahlung des oben errechneten Bankguthabens ausreichen würde, macht deutlich, dass das virtuelle Bankguthaben nicht mit tatsächlich vorhandenen Werten verwechselt werden darf!
Selbst wenn die ganze Erde nur aus Gold bestünde, gerade dann hätte dieses Gold überhaupt keinen "Wert": Es gäbe dann nämlich auf der Erde kein Leben und keine Menschen, die das Gold zu schätzen wüssten!
3. Wenn die theoretisch berechneten Schulden der durch die Bank bedienten Kreditnehmer so unbezahlbar und so offenkundig unrealistisch geworden wären wie in dem obigen Rechenbeispiel, dann könnte man nur noch darüber lachen: Man könnte dann gar nichts anderes tun, als die Zins-Schulden und damit zugleich die (moralisch sowieso unberechtigten) Zins-Guthaben der Sparer zu annullieren und (als vernünftige Konsequenz) das Zinssystem als "unrealistisch" abzuschaffen.
Aber zu dieser zwangsläufigen Einsicht konnte es bisher nie kommen, weil regelmäßig immer schon lange vor Erreichen dieses-paradoxen Zustandes die Voraussetzung der obigen Rechnung und damit zugleich der rechtliche Anspruch des Sparers zerstört worden ist. Diese Voraussetzung bestand nämlich darin, dass es 1950 Jahre lang keine Kriege und Bürgerkriege und daher auch keine Inflation und Währungsreform gegeben hätte. Die Zerstörung dieser Voraussetzung muss aber gerade als zwangsläufige Folge des destruktiven Zinssystems betrachtet werden (und das ist gar nicht zum Lachen sondern bitter ernst, für die Schuldner meist noch viel ernster als für die Sparer!):
4. Wie oben bereits gezeigt wurde, kann ein Zins nämlich von den Unternehmen nur so lange erwirtschaftet werden, wie die Wirtschaft laufend mindestens entsprechend dem Prozentsatz des geforderten Kreditzinses wächst.
In einer Welt begrenzter Ressourcen, Absatzmärkte und dinglicher Sicherungen ist ein exponentielles Wachstum von Produktion und Absatz aber grundsätzlich immer nur für eine kurze Übergangszeit jeweils nach einem Neuanfang näherungsweise möglich.
Mit zunehmender Sättigung des Marktes muss sich das anfängliche Wachstum des Sozialprodukts zwangsläufig abschwächen. Da der vereinbarte Zinssatz aber gesetzlich eingehalten werden muss und die Zinslasten daher mit zunehmender durchschnittlicher Verschuldung der Unternehmen immer weiter exponentiell ansteigen, fressen die Schulden zwangsläufig einen immer größeren Teil des Bruttosozialprodukts auf. Die Schuldner können die von ihnen aufgenommenen Kredite samt Zinsen daher nicht mehr zurückzahlen und gehen nach und nach größtenteils in Konkurs.
Die Folgen sind Arbeitslosigkeit, Verarmung der Arbeiter und der ehemaligen kleinen Unternehmer und Rückgang der Wirtschaftsproduktion. Die Entwicklung treibt also regelmäßig innerhalb einiger Jahrzehnte nach dem Neubeginn einer Währung in eine Wirtschaftskrise.
5. Im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf können prinzipiell nur die jeweils effektivsten Betriebe überleben. Dadurch werden Rücksichtnahmen auf die Erhaltung der Umwelt und auf ethische Prinzipien zwangsläufig immer mehr zurückgedrängt. In dieser Konkurrenzsituation muss der Einzelne nicht unbedingt ein schlechter Mensch sein, um aus Selbsterhaltungstrieb - ungewollt - die Spirale der Gewalt zu unterstützen.
6. Schließlich entstehen mehr oder weniger gewaltsame Lösungen, durch die die angewachsenen Schulden und spiegelbildlich zugleich auch die unrealistischen Geldvermögen entwertet werden. Ein möglicher Verlauf besteht in einer Hyperinflation, andere mögliche Verläufe sind Revolution, Bürgerkrieg oder Krieg. Manchmal kommt auch alles zusammen.
Deutschland hat solche schrecklichen Phasen im 20. Jahrhundert zweimal durchgemacht: den Ersten Weltkrieg mit darauf folgender Hyperinflation 1923 und den Zweiten Weltkrieg mit nachfolgender Währungsreform.
Leider wurden die destruktiven Gesetzmäßigkeiten des Zinssystems von der Mehrheit der Bevölkerung und der verantwortlichen Politiker bisher nicht klar genug durchschaut, so dass nach dem "Währungsschnitt" und Neuanfang beide Male versäumt wurde, die Befreiung unseres Geldes vom Zinssystem demokratisch durchzusetzen.
Die Konsequenz aus all diesen Antworten lautet:
Unser gesetzlich anerkanntes Zinssystem ist nicht nur mit Ethik und Moral unvereinbar, sondern auch bereits mit einer rein mathematisch-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise:
Eine zeitlich unbegrenzte, exponentielle Zunahme materieller Werte, die durch das Zinssystem im Prinzip postuliert und vorausgesetzt wird, widerspricht nämlich der naturwissenschaftlich feststellbaren Wahrheit. Die zwangsläufige Folge der durch das Zinssystem entstehenden Widersprüche zwischen den postulierten Werten und der Wirklichkeit sind periodisch wiederkehrende gewaltsame Entladungen, durch die die schlimmsten sozialen Ungerechtigkeiten teilweise abgebaut werden, ohne jedoch die gesetzlichen Ursachen für deren Neuentstehung zu beseitigen.
Ein wirklich dauerhafter Frieden ist ohne Überwindnng des Zinssystems prinzipiell nicht erreichbar.
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http://www.chemie.fu-berlin.de/fb/diverse/senf021119.html