Gefangene in USA stirbt nach langer Hitzequal
19.06.2009 um 10:51
Warum in die Ferne schweifen, sieh, die Leiche liegt schon da.
Knast in der Balkanrepublik ist auch kein Zuckerschlecken:
"Verdreckt, verprügelt, verdurstet, vergessen
Kontrolleure des Innenministers entdecken Folter und Brutalität in Österreichs Polizeigefängnissen – doch keiner will hinhören. (für DIE ZEIT)
Yankuba Ceesay hat sich wahrscheinlich vieles vorgestellt, als er von Gambia nach Österreich kam. Und vermutlich hat er abseits all seiner Träume vom Paradies in Europa auch mit manchem Unglück gerechnet. Schließlich kam er illegal ins Land, und er handelte hier mit Drogen. Doch eines hat er sich bestimmt nicht vorstellen können: dass er sterben musste in einer Polizeizelle, in der es nichts gab außer einer verschmierten Gummimatte, einem verdreckten Stehklo und einer Rolle Klopapier. Dieser Tod war unvorstellbar.
Tagelang verweigerte der Afrikaner das Essen,
und als ihn die Beamten ins Spital brachten, trat er eine Krankenschwester. Die Polizisten wussten sich angeblich nicht mehr zu helfen. Eigentlich hätten sie ihn wegen Haftuntauglichkeit freilassen müssen. Ceesay war ja nur ein Schubhäftling, der auf die Ausreise wartete – kein Strafgefangener. Doch die Ärzte hielten den Gambier für »hafttauglich«. Also fesselten die Polizisten ihm die Beine und sperrten ihn wieder in diese Zelle. Als sie am nächsten Tag die Stahltüre öffneten, war Yankuba Ceesay verdurstet. Er wurde 18 Jahre alt.
Schläge mit dem Telefonbuch, Häftlinge an Heizkörper gekettet
Das war im Jahr 2005, und das Innenministerium versprach »lückenlose Aufklärung«. Doch das waren leere Worte, wie man heute weiß. Noch immer sitzen Häftlinge in dieser Zelle. Und ihre Lage, so hält der vergangene Woche präsentierte Jahresbericht des Menschenrechtsbeirates im Innenministerium fest, habe sich »noch weiter verschlechtert«. Wenige Tage nach Weihnachten kündigte etwa ein Schubhäftling in Linz seinen Selbstmord an. Doch die Beamten, so der Menschenrechtsbeirat, zogen »weder einen Dolmetscher noch einen Facharzt« hinzu. Kurz darauf nahm sich der Mann das Leben.
Die Experten, die solche Übergriffe anprangern, sind keine übereifrigen Polizeikritiker, sondern: Hofräte des Obersten Gerichtshofes, Staatsanwälte, Sektionschefs, Universitätsprofessoren, Ärzte und Rechtsanwälte. Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter über Folter, ist ebenso dabei wie der ehemalige Präsident des OGH, Erwin Felzmann, oder der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Erik Buxbaum. Unangemeldet besuchten diese Experten die Wachstuben des Landes, um dort Akten einzusehen und Zellen zu inspizieren. Erstmals wurden auch »Tagebücher«, die vertraulichen Aufzeichnungen der Staatsanwaltschaft, ausgewertet. Der Leiter der Wiener Oberstaatsanwaltschaft, Werner Pleischl, hatte so eine Untersuchung »aus Gründen der Transparenz« genehmigt, wie er sagt. Und nun klagt er: »Wir stehen vor einem gigantischen Dilemma. Ich habe nicht geglaubt, dass so etwas möglich ist. Doch wir wissen nicht, wie wir das Problem lösen sollen.«
Wer den Bericht der Experten liest, der muss feststellen, dass die wenigen Fälle, die immer wieder an die Öffentlichkeit kommen, offenbar nur die Spitze des Eisbergs sind. Tatsächlich dürfte das gesamte System der Schubhaft am grundrechtlichen Abgrund stehen. In den Worten der Kontrollore: Eine Unterbringung der Häftlinge in der Schubhaft sei »ohne dauernde Verletzung von Menschenrechten eigentlich nicht möglich«. Kranke Häftlinge würden »quasi im Akkord abgefertigt«. Es herrschten eine »tendenzielle Voreingenommenheit« und »grobe strukturelle Mängel in der medizinischen und gesundheitlichen Versorgung«. Eine »Subkultur« habe sich im Polizeiapparat breitgemacht, »in der Erkrankungen gar nicht mehr wahrgenommen werden können«.
Was das bedeutet? Ein Häftling konnte aufgrund »starker Schmerzen im Sprunggelenk« nicht mehr gehen – der Arzt jedoch hatte die Visite in der Zelle verweigert. »So wurde die Person schließlich von Zellengenossen vor den Augen des Wachpersonals auf einer Holzpritsche ins Sanitätszimmer gebracht.« Oder dieser Fall in Eisenstadt: Ein Schubhäftling bat mehrmals um einen Psychiater. Weil ihm der verweigert wurde, schnitt er sich mit einer Rasierklinge den Unterarm auf. Seine Zellengenossen trommelten gegen die Zellentüre. »Doch statt eines Arztes kam ein Beamter mit Vollvisierhelm und schlug ihm mit dem Stock auf Stirn und Rücken.« Ein Arzt nähte die Platzwunden – und er verzichtete darauf, die Verletzungen zu dokumentieren.
Der Menschenrechtsbeirat untersuchte auch die Zustände in den Wachzimmern. Da soll ein Häftling »Schläge mit dem Telefonbuch« kassiert haben, ein anderer musste gefesselt im Schnee liegen, ein Dritter sei an den Heizkörper gekettet und bei Verhören geschlagen worden. Von »Nachdenkwatschen« ist in dem Bericht die Rede und von Häftlingen, die stundenlang nackt und gefesselt in ihrer Zelle liegen müssen. Ein Gefangener habe 48 Stunden nichts zu essen bekommen. Einem anderen seien bei der Überstellung aufs Wachzimmer Knochen gebrochen worden. Und in mehreren Fällen hegt der Beirat »erhebliche Zweifel« an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Elektroschockern. Mit diesen Geräten, die die Polizei verwenden darf, können Stromstöße mit bis zu 50000 Volt versetzt werden.
Fast schon harmlos liest sich in diesem Kontext die Liste von rassistischen Beschimpfungen, Schikanen und skurrilen Begebenheiten: Häftlinge sollen geduzt, als »Nigger« beschimpft oder mit Vergewaltigung bedroht worden sein. »In einem Fall wurde berichtet, das die Personsdurchsuchung von Frauen in Ermangelung weiblicher Beamter fallweise von der Putzfrau durchgeführt werden muss.« Fazit des Menschenrechtsbeirates: Die Vorfälle »lassen darauf schließen, dass viele BeamtInnen nicht mehr in der Lage sind, sich professionell und distanziert zu verhalten, sondern stattdessen stark emotionalisiert, überschießend und gewalthaft auf Festgenommene reagieren«.
Dieser Bericht platzt in die Debatte um Rotlichtkontakte und Korruption in den höchsten Reihen der Wiener Polizei, und er zeigt, dass es längst nicht nur die Spitzen des Apparats sind, die völlig versagen, sondern auch die Uniformierten an der Basis. Schlecht ausgebildet, mangelhaft kontrolliert und völlig überfordert, sind Polizisten offenbar meilenweit davon entfernt, das von Innenminister Günther Platter ausgegebene Leitbild der Polizei, »die größte Menschenrechtsorganisation des Landes« zu sein, zu erfüllen.
Die Gründe dafür? Zunächst ist da das beständige Verdrängen und beharrliche Kleinreden der offensichtlichen Missstände. Im Innenministerium betont Günther Platters Sprecherin selbst angesichts des aktuellen Berichtes, dass man »jetzt bitte nicht verallgemeinern« dürfe. Es handle sich um »Einzelverfehlungen«, und man stehe mit Ärzten und Experten »in ständigem Dialog«.
Doch tatsächlich wird die Lage immer schlimmer. Selbst Beamte der Wiener Polizei sehen die Sache kritischer. Friedrich Kovar, Koordinator für Menschenrechte bei der Wiener Polizei, meint: »Wir haben offenbar großen Nachholbedarf. Es ist eine Management- und eine Führungsfrage.«
Ein Bürger »stieß mit dem Gesicht gegen die Hauswand«
Dazu kommt die augenzwinkernde Verharmlosung durch die Medien und die Hilflosigkeit, aber auch das Desintesse der Justiz. Oberstaatsanwalt Pleischl wundert sich, dass Zeitungen selbst in den skandalösesten Fällen »nur ein bisserl herummatschkern«, und beklagt die strukturellen Probleme, die bei der Aufklärung von Übergriffen seit Jahren bestehen. Pleischl: »Die Polizei ermittelt ja schnell und effektiv – aber sie ist strukturell befangen. Und der Untersuchungsrichter ermittelt zwar unabhängig, aber viel zu langsam. Wir Staatsanwälte können und dürfen nicht von selber ermitteln. Uns fehlen die Ressourcen.«
Kein Wunder, dass im Jahr 2004 nur einer von 369 beschuldigten Beamten verurteilt wurde. »Das ist international gesehen einfach zu wenig und nicht glaubwürdig«, sagt ein hoher Beamter im Justizministerium. Nun soll es endlich Reformen geben. Schon überlegt das Ministerium eine »Polizei-Polizei« bei den Staatsanwaltschaften anzusiedeln, etwa das Büro für Interne Angelegenheiten des Innenministers der Justiz zu unterstellen. Geplant ist auch ein neuer Anti-Folterparagraf und eine bessere Ausbildung der Justizfunktionäre. Ein Justizbeamter sagt: »Wenn es um Übergriffe geht, sind die Staatsanwälte kaum sensibilisiert. Ihnen fehlt die Erfahrung und das Training, wie man in solchen Fällen richtig ermittelt.«
Ein Blick in die vom Menschenrechtsbeirat untersuchten Akten der Staatsanwaltschaft bestätigt diese Einschätzung. Da stellt die Justiz Ermittlungen gegen die Polizei ein, weil das mutmaßliche Opfer selbst »mit dem Gesicht gegen die Hausmauer stieß«. In einem anderen Fall sei ein Bürger doch nur »überraschend aus kniender Position im Zuge der Festnahme nach vorne« gefallen. Und in einem Akt heißt es gar: »Eine Vernehmung des beschuldigten Beamten erscheint nicht Ziel führend … da kaum zu erwarten ist, dass der Beamte dies zugeben würde.«
Einzelfälle. Die Experten schreiben, es sei »geradezu üblich …, dass die Einstellung trotz konkreter Vorwürfe und objektiver Verletzungen ohne jede Befragung des beschuldigten Beamten erfolgt ist«. Es herrsche eine »strukturell unbefriedigende Reaktion staatlicher Stellen auf Misshandlungsvorwürfe«. Die Behörden müssten endlich lernen, sich zu entschuldigen.
Der Fall Bakary J. ist ein Musterbeispiel dafür, wie der Staat selbst bei dokumentierter Folter versagt. Vier Beamte hatten den Afrikaner verprügelt, in einer Lagerhalle eine Scheinexekution inszeniert, ihm mehrere Knochen gebrochen, ihn angezeigt und nachher die ärztliche Untersuchung verweigert. Acht Monate bedingt gab es für diese Tat. Der Grund: Der sonst für seine Strenge bekannte Wiener Staatsanwalt Willi Böhm (er forderte einmal für einen jugendlichen Ladendieb erfolgreich 18 Monate unbedingte Haft) verzichtete nach dem Urteil sofort auf alle Rechtsmittel – zum Ärger seiner Vorgesetzten, die sich überrumpelt fühlten und einen Deal (Geständnis gegen milde Strafe) zwischen Richter, Anwälten und Staatsanwaltschaft vermuteten. Konsequenz: Die vier Beamten können aufgrund dieser Milde weiter Dienst versehen. Ein Disziplinargericht entschied, dass die Polizisten ihre Uniform nicht abgeben müssen – ein endgültiges Urteil der zweiten Instanz soll demnächst folgen. Weder dem Innenminister noch dem Polizeipräsidenten ist es erlaubt, solche Beamte zu entlassen. Und bei dem Folteropfer entschuldigte sich niemand aus dem Ministerium. Begründung der damaligen Innenministerin Liese Prokop: Es handle sich ja um einen Drogendealer. Oberstaatsanwalt Pleischl sagt: »Ich war von diesem Fall in gleicher Weise erschreckt und erstaunt. Ich dachte nicht, dass solche Fälle in Österreich so möglich sind.« "
(Florianklenk.com)