Ein Beitrag, um auch über andere Aspekte der türkischen BEztiligung bei „Gazaflotte“ zu informieren:
„Unsere Minarette sind unsere Lanzen“ Die Türkei und die Gaza-Flottille
Dr. Jürgen Bühler
15 Jul 2010
Die Folgen der Flottillen-Affäre sind noch nicht abzusehen. Die Ereignisse Ende Mai waren ein heftiges Beben, das eine massive tektonische Verschiebung im Nahen Ostenrepräsentiert. Das Epizentrum des Bebens war dabei weniger in Gaza oder Jerusalem zu finden als in Ankara. In einer für den Westen überraschenden Weise hat die Regierung in Ankara ihr ganzes Gewicht hinter die Gaza-Flottille gesetzt. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan erklärte sie zur Chefsache, wohl wissend, dass die Drahtzieher der Aktion der Moslembruderschaft und anderen radikal- islamistischen Kreisen nahe stehen.
Wendepunkt Gaza-Krieg
Bereits während des Gaza-Krieges, als andere Staaten der islamischen Welt sich in ihrer Kritik an Israel auffallend zurückhielten, war es die türkische Regierung, die ungewöhnlich harsch gegen Israel wetterte. Für Israel kam dies überraschend, da Jerusalem und Ankara bis dahin fast freundschaftliche Kontakte pflegten.
In Davos kam es im Januar 2009 dann zu einer öffentlichen Eskalation zwischen Erdogan und Israels Präsident Shimon Peres.
Und im Mai diesen Jahres tat sich die Türkei mit Brasiliens Präsident Silva hervor, als sie mit „Last- Minute – Diplomatie“ versuchte, die Sanktionen der UNO gegen den Iran zu verhindern.
Ahmadinedschad, laut Erdogan „mein bester Freund“ und Hamas- Führer sind regelmäßige Gäste beim türkischen Premier. Syriens Diktator Baschar Assad nennt er gar seinen Bruder. Allianz mit Iran, Syrien, Hamas
Der Publizist und Politologe Peter Scholl-Latour kündigte es bereits vor mehr als zehn Jahren an. Allahs Schatten senke sich über Atatürk, prognostizierte er. Die säkulare Türkei Kemal Atatürks ist ein Relikt der Vergangenheit. Strenger islamische Glaube ist längst nicht mehr ein Randphänomen, sondern repräsentiert heute den einen dynamischen und vielleicht größten Teil der türkischen Bevölkerung, insbesondere seit Erdogans AKP-Partei die Türkei regiert.
Partnerregime sind dabei nicht etwa die gemäßigten islamischen Länder der Region, sondern der Iran, Syrien und die Hamas in Gaza. Dies kam selbst für Palästinenserpräsident Abbas überraschend. Nur wenige Tage nach dem Flottillendebakel reiste Abbas nach Ankara und drückte seine Verärgerung und Enttäuschung darüber aus, dass die Türkei sich nicht für die gemäßigtere Fatah einsetze sondern für die radikale Hamas. Verärgerung gab es auch in Ägypten, wo die Regierung das Embargo gegen die Hamas offiziell unterstützte.
Zurück zum Kalifat?
Vor gut zehn Jahren wurde Recep Erdogan von kemalistischen Generälen zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Anlass waren die Verse eines türkischen Dichters, die er als Bürgermeister Istanbuls während einer Rede zitierte.
Das Zitat lautete folgendermaßen: „Unsere Minarette sind unsere Lanzen, unsere Kuppeln sind unsere Helme, unsere Moscheen unsere Kasernen, unsere Gläubigen sind unsere Armee.“
Der Westen bezichtigte damals die Generäle der Willkür. Der türkische Außenminister machte es vor wenigen Wochen klar, dass die Türkei nicht mehr länger zufrieden sei mit der Rolle des Brückenbauers zwischen dem christlichen Westen und dem islamischen Osten. Die Türkei, so fordert er, soll vielmehr wieder das „Gravitationszentrum“ der Region werden. Und das war die Türkei für viele Jahrhunderte. Dort von der „Hohen Pforte“ aus wurde über annährend 500 Jahre die gesamte islamisierte Welt regiert – ein Gebiet vom Balkan über den Nahen Osten bis nach Marokko. Das Kalifat Istanbuls war dabei nicht nur das politische Gravitationszentrum der Region, sondern war für weite Teile der Umma – der islamischen Weltgemeinschaft - die höchste Instanz.
Die Glanztage des Kalifats sind längst vorbei, jedoch - und darin sind sich viele Beobachter einig - drängt Ankara zurück in diese Führungsrolle. Israel und der Westen haben es ab sofort nicht mehr nur mit dem Iran zu tun, sondern müssen sich auf eine neue und unerwartete Konfrontation mit der Türkei einstellen. „Die Welt“ betitelte es richtig: Der lange Weg der Türkei nach Westen scheint zu Ende.
http://www.icej.org/german/article/_unsere_minarette_sind_unsere_lanzen_ (Archiv-Version vom 21.07.2010)