Verzerrte Darstellung des Islam
In den evangelikalen Darstellungen des Islam kommt es aber noch zu weiteren Verzerrungen. So taucht etwa immer wieder der Dschihad als 6. Säule des Islam auf (Beispielsweise in McCurry 1993, S. 16), obwohl dies schlicht nicht den islamischen Glaubensgrundlagen entspricht. Ebenso wird dem Islam unterstellt, dass er per se antisemitisch und antichristlich sei:
«Im Islam, diesem Werkzeug des Feindes, gibt es zwei grosse Hauptströmungen: den Antisemitismus, der sich gegen den Weg Gottes mit seinem Volk richtet, und das Antichristliche, das den Messias und damit den Heilsweg Gottes leugnet. Beides kristallisiert sich heraus an Jerusalem, der Stadt des grossen Königs. Hier wird der Kampf ausgefochten werden zwischen dem Herrschaftsanspruch des Feindes durch den Islam und dem Herrschaftsanspruch des Messias. Psalm 87 stellt Jerusalem dar als die Mitte der Ägypter, der Philister (in der Bibel dasselbe wie die Palästinenser) und andererVölker. Jerusalem ist von Gott auserwählt, die Mitte der Völker zu sein, der Ort, wo sie zusammenkommen werden, um den Messias zusehen. Ihnen allen voran wird das arabische Volk sein; in Jes. 60, 42 und 45 werden alle arabischen Stämme aufgezählt, die mit ihrem Reichtum kommen werden, um den Messias zu sehen. Die Zeit wird kommen gemäss Jes. 19 (vor allem Verse 24ff.), wo Israel sich mit Ägypten und Assur (grosszügig verstanden Irak, Syrien und die arabischen Länder ringsum) verbündet. Sie werden zusammen ein Segen inmitten der Erde sein. Das ist die Sicht Gottes für das arabische Volk. Eines Tages wird es einstimmen in das Bekenntnis der Königin von Saba (1. Kön. 10), die jubelnd zu Salomo sagte: ÐGelobt sei Gott, der Gott Israels! All das hat Gott an dir getan, Salomo, weil Gott Israel liebt von Ewigkeit.ð Dies ist das Bekenntnis einer arabischen Herrscherin, die schon durch Salomo erkannte, wer der lebendige Gott ist, und die Beziehung zwischen Israel und dem Gott allerVölker ohne Rivalität anerkannte!» (IVS 1994, S. 15)
Ein Referent an einer Veranstaltung der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule in Riehen ging sogar soweit, zu behaupten, Hitler habe die Juden nur vertreiben wollen, doch die arabischen Ölscheichs hätten die USA und Grossbritannien daran gehindert, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen bzw. sie nach Palästina hereinzulassen, daher seien sie umgebracht worden.
Wirkungen
Einmal abgesehen davon, dass solche Darstellungen schon daran kranken, dass sie «den Islam» als einen monolithischen Block betrachten, was er so wenig ist wie das Christentum, führt ein solches Verständnis des Islams zu einer verzerrten Sicht der Verhältnisse. Es wird übersehen, dass etwa die Palästinenser nicht aus lauter Bosheit oder teuflischer Verführung gegen Israel eingestellt sind, sondern weil sie sich in einer schwierigen Lage befinden, an der der Staat Israel nicht ganz unbeteiligt ist. Die Idee, der Islam sei ein Werkzeug desTeufels und es komme im Nahen Osten zum grossen heilsgeschichtlichen Endkampf, führt auch dazu, dass Verhandlungen zwischen Israel und der PLO abgelehnt werden. So heisst es in einer Buchbesprechung in der Zeitschrift BRÜCKE ZU ISRAEL (97/12, S. 14):
«Führt das Abkommen zwischen Israel und der PLO zum Frieden oder ist es das Vorspiel zu einem totalen Krieg der arabischen Nationen gegen Israel? - Dieses Buch liefert überzeugende Beweise, dass das Friedensabkommen Israels die vielleicht zerstörerischste und gewalttätigste Ära in der Geschichte der Menschheit einläutet und damit das lange erwartete messianische Zeitalter vorbereitet.»
Die Tendenz, überall entweder das Wirken Gottes oder des Teufels zu sehen, verhindert pragmatische Lösungen, da man ja mit dem Teufel keine Kompromisse schliessen darf. In der Erwartung der Endzeit pflegen viele evangelikale Christen eine Art «Zweckpessimismus», d.h. alle negativen Erscheinungen in der Welt zeigen, dass es immerschlechter geht und damit die Endzeit nahe ist, positive Erscheinungen dagegen sind verdächtig, bei den Friedensverhandlungen im Nahen Osten kann es sich also nur um eine List des Teufels handeln.
Als Beispiel eine Leseprobe aus dem besprochenen Buch:
«Und so stellt sich folgende Frage: 'Warum macht Arafat Frieden mit Israel?' Und die Antwort lautet: Arafat macht keinen Frieden mit Israel. Er macht ein paar Bewegungen, die aussehen und sich anhören wie Frieden, in Wahrheit aber ein Vorspiel zum Krieg sind. Wir wollen nicht den Fehler begehen, Arafat vom Islam zu trennen. Arafats Zaudern im Hinblick auf die Änderung der PLO-Charta so wie sein Aufruf zum Jihad für Jerusalem sind echte Ausdrucksformen eines islamischen Herzens. Wir wollen daran denken, dass der Islam jede Handlung, jeden Gedanken und jedes Gefühl eines Moslems bestimmt. Wir wollen auch daran denken, dass Lüge nicht nur eine Lebensweise ist, sondern auch eine Pflicht, wenn dadurch günstigeResultate erzielt werden können. Und was ist ein günstiges Resultat? Die Zerstörung Israels und die Auslöschung jüdischer Geschichte im Nahen Osten.» (BRÜCKE ZU ISRAEL 97/12, S. 14)
Nun kann man natürlich sagen: Israel ist weit weg, was hat das mit uns zu tun? Doch gibt es Leute, die klare Beziehungen zwischen der Lage im Nahen Osten und jener in Europa herstellen. Die folgenden Zitate stammen aus der Zeitschrift der Partei Bibeltreuer Christen in Deutschland:
«Es ist derselbe Antisemitismus, der vor 55 Jahren Nazideutschland 'judenrein' machen wollte und heute 'Palästina' 'judenrein' (!) machen will. Die Methode hiess damals Holocaust, heute bei Arafat 'Friedensprozess'. Beide haben das gleiche Ziel: die 'Endlösung der Judenfrage'.» (Leserbrief des PBC-Kreisvorsitzenden Paul-Gerhard Reinsch in: SALZ UND LICHT 97/2, S. 19)
Auch wenn diese Christen in der Regel betonen, sie hätten an sich nichts gegen die Muslime, so brechen ihre Ressentiments doch klarhervor. So etwa, wenn in Basel den Aleviten böse Absichten unterstellt werden, weil sie ihr Zentrum in der Nähe der Synagoge eingerichtet haben. Oder grundsätzlicher, wenn die Zuwanderung von Muslimen als List des Teufels interpretiert wird, das christliche Abendland demographisch zu unterwandern, wie dies im Buch von Marius Baar Das Abendland am Scheideweg. Ismael oder Israel, Koran oder Bibel, Mohammed oder Jesus ausgeführt oder im Titel der Broschüre Islam im Vormarsch, Gefahr für das Abendland? (Junge Europäische Schüler- und Studenteninitiative Schweiz) suggeriert wird. Erschreckend wird es schliesslich, wenn man auf Zitate wie das Folgende aus einer weiteren Broschüre stösst, die ohne Angabe von Namen oder Adressen herausgegeben wurde:
«Auftrag an die Eidg. Justizdirektion und an die kantonalen Justizdirektoren und an das Eidg. Militärdepartement: Die Niederlassungs- und Aufenthaltsbewilligungen von islamischen Aufenthaltern sind sofort zu entziehen; islamischeFlüchtlinge dürfen nicht mehr auf Dauer aufgenommen werden, sondern sind sofort wieder an die Grenze zu stellen. [...] Wenn Sie nicht handeln, dann verstossen sie gegen die Antirassismus-Strafnorm und führen unser Land direkt in den Heiligen Krieg! Denn jeder moslemische Einwanderer aus den islamischen Staaten, ob Gastarbeiter oder Asylant, hat den absoluten Auftrag der Islamisierung des 'Kriegsgebietes'. Ganz besonders betrifft dies islamische Einwanderer, die durch Heirat mit einer Schweizerin, die Aufenthaltsbewilligung erzwingen [...]» (Broschüre Besorgte Christen Schweiz, Mai 1998)
Tanja Duncker
ist Islamwissenschaftlerin und Kurdologin und Mitarbeiterin der Beratungsstelle Inforel in Basel.
Das Material für diese Darstellung wurde auf Besuchen bei etwa zwei Drittel der über sechzig evangelikalen Gruppen in Basel und dann vor allem an der «Explo», einer Messe, die von evangelikalen Gruppen Ende veranstaltet wird (Dezember 1997), gesammelt. Dabei kam esimmer wieder zu Gesprächen über den Islam und Israel.
Literatur
Baar, Marius, 1979. Das Abendland am Scheideweg. Ismael oder Israel, Koran oder Bibel, Mohammed oder Jesus Asslar: Schulte+Gerth
Fölsch, Harald, o.J. Warum hat Gott das zugelassen? Eine Antwort auf die Leiden des jüdischen Volkes. Lörrach: Der Ölbaum e.V.
IVS, Ismaelverein Schweiz, 1994. «Entstehung und Selbstverständnis des Islams und seine Ansprüche auf Jerusalem.» In: Rundbrief 24.
McCurry, Don, 1993. Ein Überblick über die islamische Welt. Greng-Murten: Verlag für kulturbezogenen Gemeindebau. (Deutsche Ausgabe von Ministries to Muslims, 1990)
Meyer, Andreas, 1992. Israel, das biblische Land mit Geschichte und Verheissung. Reinach: Arbeitsgemeinschaft für das messianische Zeugnis an Israel, Chrischonahaus.
Zusammenfassung
Die Heilsgeschichte nimmt im Denken der Evangelikalen einen zentralen Platz ein. Sie lässt sich kurz wie folgt zusammenfassen:
Durchden Sündenfall wurde die ganze Schöpfung verdorben und geriet unter den Einfluss des Teufels. Doch Gott beschloss, die Schöpfung zu erlösen, und zwar nach einem mehrstufigen Plan. Erst wählte er das jüdische Volk als Heilsträger und bestimmte ihm das Land Kanaan als Heimat. Anschliessend trat Gottes Sohn auf und starb für die Sünden der Menschen. Da die meisten Juden Jesus Christus nicht als Messias anerkannten, wurden sie zur Strafe unter die Völker zerstreut und erlitten diverse Verfolgungen. In der letzten Etappe, in der wir uns heute befinden, kehren die Juden, wie in der Bibel prophezeit, nach Israel zurück. Jesus Christus wird in das jüdische Jerusalem zurückkehren, das ihm als Thron dienen wird.
Der Teufel wehrt sich gegen diesen Heilsplan Gottes auf zwei Arten: zum einen versucht er, die Juden zu vernichten (Holocaust), um damit zu verhindern, dass Israel und Jerusalem wieder jüdisch werden. Da ihm dieser Angriff misslang, setzt er nun ein weiteres Werkzeugein, den Islam. Denn wenn es dem Teufel gelingt, mit Hilfe des Islam den Tempelberg zu besetzen, kann er dort seinen eigenen Thron errichten.
Alle evangelikalen Darstellungen des Islam vertreten letztlich die Ansicht, das «dämonische System des Islams» sei ein Werkzeug des Teufels. Daher kann nach evangelikalem Verständnis Allah auch nicht mit Gott identisch sein. Auch wird dem Islam unterstellt, er sei per se antisemitisch und antichristlich und gewalttätig. So wird in manchen Schriften behauptet, der Djihad sei die sechste (inoffizielle) Säule des Islam.
Diese Sicht des Islam und die Vorstellung, im Nahen Osten ginge es «nicht um politische Auseinandersetzungen einzelner isolierter Staaten, sondern um den Endkampf in der unsichtbaren Welt zwischen den Mächten der Finsternis und des Lichts» führt dazu, dass alle Ereignisse, die irgendwie mit dem Islam oder Israel zu tun haben, unter dem Aspekt dieses Endkampfes gesehen werden. So wird etwa der Friedensprozessals List betrachtet, mit der der Teufel seine Herrschaft über Jerusalem sichern will, oder die Einwanderung von Muslimen nach Europa als demographische Unterwanderung durch den Islam. Die politischen und sozialen Gründe für diese Ereignisse werden dabei völlig ausgeblendet.
Auch wenn die evangelikalen Christen in der Regel behaupten, sie würden die Muslime trotz ihrer Religion lieben, sind solche Vorstellungen für das Zusammenleben verschiedener religiöser und ethnischer Gruppen nicht gerade förderlich.
http://www.infosekta.ch/is5/themen/evkal_duncker1999.html