Könnt ihr euch einen EU-Beitritt Israels vorstellen?
26.02.2007 um 20:04
"Es war ein Massaker"
Nach Angriff auf Beit Hanun im Gazastreifen mit 19 Totenstimmte Israel große Entschuldigungs- und Rechtfertigungsarie an
Von UriAvnery
Dankt Gott für die amerikanischen Wahlen«, seufzten die Minister undGeneräle erleichtert auf. Sie freuten sich nicht über den Fußtritt in den Hintern, dendas amerikanische Volk George W. Bush verabreichte. Sie lieben Bush. Aber wichtiger alsdie Abfuhr, die Bush erteilt wurde, ist die Tatsache, daß die Nachrichten aus Amerika dieschrecklichen Berichte über das, was in Beit Hanun geschehen war, beiseite schoben. StattSchlagzeilen zu machen, wurden sie ganz unten auf die Zeitungsseite gedrängt.
DieDinge beim richtigen Namen zu nennen, ist der erste bedeutende revolutionäre Akt, sagteRosa Luxemburg. Wie soll man also das benennen, was in Beit Hanun am vergangenen Mittwochgeschah? »Ein Unglücksfall«, sagte eine hübsche Fernsehansagerin in einem derTV-Programme. »Tragödie«, sagte ihre ebenfalls hübsche Kollegin auf einem anderen Kanal.Eine dritte, die nicht weniger attraktiv war, schwankte zwischen »Vorfall«, »Fehler« und»Unfall«.
Es war tatsächlich ein Unglück, eine Tragödie und ein Unfall. Aber vorallem war es ein Massaker, ein M-a-s-s-a-k-e-r. 19 Menschen starben.
Das Wort»Unglücksfall« läßt an etwas denken, wofür niemandem die Schuld gegeben werden kann – wiez.B. ein Blitzschlag. Eine Tragödie ist ein trauriges Geschehen oder eine Situation wiedie der Einwohner von New Orleans nach der Flutkatastrophe. Das Geschehen in Beit Hanunwar tatsächlich traurig, aber keine Tat Gottes, es war eine Tat, die Menschen beschlossenund ausgeführt haben.
Unmittelbar, nachdem die Fakten bekannt wurden, trat derganze Chor der professionellen Apologeten und Rechtfertiger auf und die, die ihr Bedauernausdrücken und Vorwände erfinden, ein Chor, der in solchen Fällen in fieberhafte Aktiontritt. »Ein unglückseliger Irrtum... er kann in der besten Familie passieren... derMechanismus eines Geschützes kann falsch funktionieren... Menschen können Fehlermachen... Errare humanum est, Irren ist menschlich... wir feuerten ZehntausendeArtilleriegranaten ab, und es gab nur drei Unfälle. Aber wir entschuldigten uns doch! Wasverlangen sie denn noch von uns?«
Es gab auch Argumente wie »Sie sind selbstschuld!« Wie üblich: Die Schuld liegt beim Opfer. Die kreativste Erklärung kam vomstellvertretenden Verteidigungsminister Ephraim Sneh: »Die praktische Verantwortung liegtbei uns, aber die moralische bei ihnen.« Wenn sie Qassam-Raketen abschießen, was könnenwir anderes tun, als mit Granaten reagieren?
Jeder Gedanke einer Gleichsetzungvon Qassams und Artilleriegranaten, der sogar von einigen Peacenics gemacht wurde, istvollkommen falsch. Und nicht nur deshalb, weil es keine Symmetrie zwischen Besatzern undBesetzten gibt. Hunderte von abgefeuerten Qassams, die seit mehr als einem Jahrabgefeuert wurden, haben einen einzigen Israeli getötet. Die israelischen Granaten,Raketen und Bomben haben Hunderte von Palästinensern getötet.
Haben die Granatenin Beit Hanun die Wohnungen der Leute absichtlich getroffen? Da gibt es nur zwei möglicheAntworten:
Die extreme Version: Ja. Die Folge der Ereignisse weist in dieseRichtung. Die israelische Armee, eine der modernsten in der Welt, hat keine Antwort aufdie Qassams, eine der primitivsten Waffen. Diese Kurzstreckenrakete, die nach dem erstenpalästinensischen Kämpfer Az-al-Din al-Qassam genannt wird, der 1935 in einem Gefechtgegen die britische Mandatsregierung fiel, ist kaum mehr als ein selbstgebasteltes mithausgemachten Explosivstoffen gefülltes Rohr.
In einem aussichtslosen Versuch,das Abfeuern von Qassams zu verhindern, fällt das israelische Militär regelmäßig in dieStädte und Dörfer des Gazastreifens ein und übt dort eine Terrorherrschaft aus. AnfangNovember fiel das Militär in Beit Hanun ein und tötete mehr als 50 Menschen, darunterviele Frauen und Kinder. In dem Augenblick, in dem Israels Soldaten Beit Hanun verließen,feuerten die Palästinenser so viel wie möglich an Qassams nach Askalon, um zu beweisen,daß diese Überfälle sie nicht abschrecken.
Die Frustration der Generäle wächst aufdiese Weise weiter. Askalon ist keine entlegene und von Armut geplagte kleine Stadt wieSderot, deren Einwohner marokkanischen Ursprungs sind. In Askalon lebt auch eine elitäreBevölkerung, europäischer Herkunft. Die Armeechefs, die ihre Ehre im Libanon-Kriegverloren haben, waren – nach dieser Version – sehr darum bemüht, den Palästinensern einfür alle Mal eine Lektion zu erteilen, entsprechend einem israelischen Sprichwort: »WennGewalt nichts hilft, gebrauche noch mehr Gewalt«.
Der anderen Version zufolge wares tatsächlich ein technischer Fehler, ein verhängnisvoller Defekt in derZielvorrichtung. Aber der Kommandeur einer Armee weiß sehr wohl, daß eine gewisseHäufigkeit von Fehlern unvermeidbar ist. Derjenige, der entschieden hat, die für ihreUngenauigkeit bekannte Munition gegen ein Ziel in der Nähe von Zivilpersonen anzuwenden,weiß, daß diese tödlicher Gefahr ausgesetzt sind. Deshalb gibt es keinen wesentlichenUnterschied zwischen den beiden Versionen. Wem muß also die Schuld zugeschoben werden?Zunächst einmal der gleichgültigen Haltung, die sich in der Armee breitgemacht hat. Vornoch nicht langer Zeit enthüllte Gideon Levy in der Zeitung Haaretz, daß einBataillonskommandeur seine Soldaten nach dem Töten von zwölf Palästinensern mit folgendenWorten gelobt habe: »Wir haben 12:0 gewonnen.«
Schuldig sind natürlich dieArtilleristen und ihre Kommandeure, einschließlich ihres Vorgesetzten. Und der General,der für das Südliche Kommando zuständig ist, Yoav Gallant, der sich gleichgültig gibt undsich mit scheinheiligen Plattitüden herausredet. Und der stellvertretendeGeneralstabschef. Und der Generalstabschef Dan Halutz, der Luftwaffengeneral, der beieinem ähnlichen Vorfall sagte, daß er nachts gut schlafen könne, nachdem er eineEintonnen-Superbombe über ein Wohngebiet abgeworfen hatte. Und natürlich derVerteidigungsminister Amir Peretz, der die Anwendung der Artillerie genehmigte, nachdemer sie schon einmal verboten hatte – d.h. also, daß ihm die voraussehbaren Konsequenzenbewußt waren.
Der Schuldigste von allen aber ist der große Apologet: Ehud Olmert,der Ministerpräsident. Olmert protzte vor kurzem mit dem klugen Verhalten der Regierung:»Es war uns möglich, Hunderte von Terroristen zu töten – und die Welt hat nichtreagiert.«
Olmert sagt, er könne so weiter machen, da die Welt dazu schweigt. DieUSA machten am Wochenende von ihrem Vetorecht Gebrauch und stoppten eine sehr sanfteResolution des UN-Sicherheitsrates gegen das Geschehen in Beit Hanun. Heißt das, daß dieRegierungen in aller Welt – Amerika, Europa, die arabische Staaten – an dem Verbrechen inBeit Hanun mitschuldig sind? Das kann am besten von deren Bürgern dieser Länder selbstbeantwortet werden.
Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs