"Leichen pflastern den Weg des Tribunals"
13.03.2006 um 21:18Leichen pflastern den Weg des Tribunals
Slobodan Milosevic ist nicht dererste Tote auf dem Schuldkonto der Haager Fahnder
Von Jürgen Elsässer
Das Haager Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (engl. Abkürzung ICTY) wirdgemeinhin als UN-Gerichtshof bezeichnet, was der Institution das Flair des Unparteiischenverleihen soll. Das stimmt jedoch nicht. Den entsprechenden Beschluß faßte 1993 nämlichnicht die UN-Vollversammlung, sondern nur der UN-Sicherheitsrat – ganz so, als ob dieinternationale Rechtssprechung auch zu den Aufgaben der Friedenserhaltung undFriedenssicherung gehörten, die nach der UN-Charta allein in den Kompetenzbereich dieseshöchsten Gremiums fallen.
Gegen die Unvoreingenommenheit des Tribunals sprichtauch, daß dort mehr Serben als Angehörige anderer Nationalitäten angeklagt sind. Sositzen nach dem Tod von Milosevic noch zwei andere serbische Staatsführer in der Zelle –die ehemalige Präsidentin der serbischen Republik (Republika Srpska) in Bosnien, BiljanaPlavsic, sowie der serbische Präsident Milan Milutinovic. Nach einem weiteren ehemaligenPräsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wird ebenso gefahndet wie nachdessen Oberbefehlshaber Ratko Mladic. Auch der jugoslawische Oberbefehlshaber desKosovo-Korps Nebojsa Pavkovic ist ausgeliefert worden. Von den Präsidenten undOberbefehlshabern der Kriegsgegner der Serben sitzt dagegen im Scheveninger Knast nur eineinziger, und zwar der kroatische Oberbefehlshaber Ante Gotovina. Die Spitzen deralbanischen Untergrundarmee UCK, Hashim Thaci und Agim Ceku, üben heute noch höchstepolitische Funktionen im Kosovo aus. Letzterer wurde am vergangenen Freitag zumMinisterpräsidenten der Provinz gewählt.
Der Fahndungsdruck und die unverblümteSerbenfeindlichkeit der derzeitigen Haager Chefanklägerin Carla del Ponte (Schweiz) undihrer Vorgängerin Louise Arbour (Kanada) haben zu einer hohen Zahl an Todesfällen unterden Angeklagten bzw. Gesuchten geführt – selbstverständlich nur bei jenen serbischerNationalität. Eine unvollständige Auswahl:
Am 30. Januar 1996 wurde DjordjeDjukic bei einer mit der Besatzungstruppe IFOR abgesprochenen Fahrt in Zentralbosnien vonmuslimischen Truppen gekidnappt und über Sarajevo nach Den Haag gebracht, obwohl zunächstkein Haftbefehl vorlag. Der Krebskranke wurde dort nicht sachgemäß medizinisch versorgtund erlag am 18. Mai 1996 seinem Leiden.
Am 10. Juli 1997 töteten britischeSAS-Spezialeinheiten der Bosnien-Besatzungstruppe SFOR Simo Drljaca. Die Leiche wies dreiDistanzschüsse in den Rücken und einen finalen Todesschuß aus kurzer Entfernung auf.
Am 29. Juni 1998 soll sich Slavko Dokmanovic in der Haager Zelle erhängt haben,obwohl der angebliche Selbstmordkandidat unter besonderer Beobachtung stand und eineWoche später das Urteil gesprochen werden sollte.
Am 3. August 1998 starb MilanKovacevic in einer Haager Zelle an einer Herzattacke. Seine Anwälte beklagten, daß seinegesundheitlichen Probleme bekannt waren und er bei rechtzeitigem Eingreifen hättegerettet werden können.
Am 9. Januar 1999 erschossen SFOR-Einheiten DraganGagovic im Beisein von fünf Minderjährigen, die sich im Auto des Karatelehrers befanden.
Am 13. Oktober 2000 entzog sich Janko Janjic der Festnahme durch u.a. deutscheSFOR-Soldaten und sprengte sich mit einer Handgranate in die Luft.
Am 11. April2002 verabschiedete das serbische Parlament unter Bruch der Verfassung ein Gesetz, dasÜberstellungen an Den Haag ermöglicht. Aus Protest erschoß sich der sozialistischeAbgeordnete Vlajko Stojiljkovic, der auf der Haager Fahndungsliste stand, auf den Stufendes Hohen Hauses.
Am 5. Januar 2006 erschossen italienische Soldaten derBosnien-Besatzungstruppe EUFOR bei der Festnahme von Dragomir Abazovic dessen Frau Rada,die ihren Mann angeblich mit eine Kalaschnikow verteidigt hatte. Seitens EUFOR gab esseltsamerweise keine Verletzten, die Serbin wurde mit einem einzelnen Schuß getötet.
Am 5. März 2006 soll sich Milan Babic, Präsident der kurzlebigen serbischenKrajina-Republik (1991–1995), in seiner Haager Zelle getötet haben. Babic hatte sich demTribunal 2003 selbst gestellt. Vuk Draskovic, Außenminister von Serbien-Montenegro,kritisierte, daß die Verantwortlichen der Haftanstalt die Tat hätten verhindern können.
Quelle: junge Welt, 13.03.2006
Slobodan Milosevic ist nicht dererste Tote auf dem Schuldkonto der Haager Fahnder
Von Jürgen Elsässer
Das Haager Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (engl. Abkürzung ICTY) wirdgemeinhin als UN-Gerichtshof bezeichnet, was der Institution das Flair des Unparteiischenverleihen soll. Das stimmt jedoch nicht. Den entsprechenden Beschluß faßte 1993 nämlichnicht die UN-Vollversammlung, sondern nur der UN-Sicherheitsrat – ganz so, als ob dieinternationale Rechtssprechung auch zu den Aufgaben der Friedenserhaltung undFriedenssicherung gehörten, die nach der UN-Charta allein in den Kompetenzbereich dieseshöchsten Gremiums fallen.
Gegen die Unvoreingenommenheit des Tribunals sprichtauch, daß dort mehr Serben als Angehörige anderer Nationalitäten angeklagt sind. Sositzen nach dem Tod von Milosevic noch zwei andere serbische Staatsführer in der Zelle –die ehemalige Präsidentin der serbischen Republik (Republika Srpska) in Bosnien, BiljanaPlavsic, sowie der serbische Präsident Milan Milutinovic. Nach einem weiteren ehemaligenPräsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wird ebenso gefahndet wie nachdessen Oberbefehlshaber Ratko Mladic. Auch der jugoslawische Oberbefehlshaber desKosovo-Korps Nebojsa Pavkovic ist ausgeliefert worden. Von den Präsidenten undOberbefehlshabern der Kriegsgegner der Serben sitzt dagegen im Scheveninger Knast nur eineinziger, und zwar der kroatische Oberbefehlshaber Ante Gotovina. Die Spitzen deralbanischen Untergrundarmee UCK, Hashim Thaci und Agim Ceku, üben heute noch höchstepolitische Funktionen im Kosovo aus. Letzterer wurde am vergangenen Freitag zumMinisterpräsidenten der Provinz gewählt.
Der Fahndungsdruck und die unverblümteSerbenfeindlichkeit der derzeitigen Haager Chefanklägerin Carla del Ponte (Schweiz) undihrer Vorgängerin Louise Arbour (Kanada) haben zu einer hohen Zahl an Todesfällen unterden Angeklagten bzw. Gesuchten geführt – selbstverständlich nur bei jenen serbischerNationalität. Eine unvollständige Auswahl:
Am 30. Januar 1996 wurde DjordjeDjukic bei einer mit der Besatzungstruppe IFOR abgesprochenen Fahrt in Zentralbosnien vonmuslimischen Truppen gekidnappt und über Sarajevo nach Den Haag gebracht, obwohl zunächstkein Haftbefehl vorlag. Der Krebskranke wurde dort nicht sachgemäß medizinisch versorgtund erlag am 18. Mai 1996 seinem Leiden.
Am 10. Juli 1997 töteten britischeSAS-Spezialeinheiten der Bosnien-Besatzungstruppe SFOR Simo Drljaca. Die Leiche wies dreiDistanzschüsse in den Rücken und einen finalen Todesschuß aus kurzer Entfernung auf.
Am 29. Juni 1998 soll sich Slavko Dokmanovic in der Haager Zelle erhängt haben,obwohl der angebliche Selbstmordkandidat unter besonderer Beobachtung stand und eineWoche später das Urteil gesprochen werden sollte.
Am 3. August 1998 starb MilanKovacevic in einer Haager Zelle an einer Herzattacke. Seine Anwälte beklagten, daß seinegesundheitlichen Probleme bekannt waren und er bei rechtzeitigem Eingreifen hättegerettet werden können.
Am 9. Januar 1999 erschossen SFOR-Einheiten DraganGagovic im Beisein von fünf Minderjährigen, die sich im Auto des Karatelehrers befanden.
Am 13. Oktober 2000 entzog sich Janko Janjic der Festnahme durch u.a. deutscheSFOR-Soldaten und sprengte sich mit einer Handgranate in die Luft.
Am 11. April2002 verabschiedete das serbische Parlament unter Bruch der Verfassung ein Gesetz, dasÜberstellungen an Den Haag ermöglicht. Aus Protest erschoß sich der sozialistischeAbgeordnete Vlajko Stojiljkovic, der auf der Haager Fahndungsliste stand, auf den Stufendes Hohen Hauses.
Am 5. Januar 2006 erschossen italienische Soldaten derBosnien-Besatzungstruppe EUFOR bei der Festnahme von Dragomir Abazovic dessen Frau Rada,die ihren Mann angeblich mit eine Kalaschnikow verteidigt hatte. Seitens EUFOR gab esseltsamerweise keine Verletzten, die Serbin wurde mit einem einzelnen Schuß getötet.
Am 5. März 2006 soll sich Milan Babic, Präsident der kurzlebigen serbischenKrajina-Republik (1991–1995), in seiner Haager Zelle getötet haben. Babic hatte sich demTribunal 2003 selbst gestellt. Vuk Draskovic, Außenminister von Serbien-Montenegro,kritisierte, daß die Verantwortlichen der Haftanstalt die Tat hätten verhindern können.
Quelle: junge Welt, 13.03.2006