Peter Glotz ist tot
26.08.2005 um 20:31Peter Glotz ist tot
„Kraft zum Handeln und Intellektualität auf höchstem Niveau”
Von Günter Bannas
26. August 2005 Seine Interessen und Vorlieben, seine Fähigkeiten und Aufgaben sind womöglich zu viele gewesen, um bezeichnend zu sein. Unverbindlich waren sie nicht und deshalb waren sie bemerkenswert.
Peter Glotz, der Sozialdemokrat, vereinigte vieles in sich - es gab lange Linien und Brüche, Widersprüche und Konstanten, und manchmal alles zugleich. Er war Politiker und Wissenschaftler, Wissenschaftspolitiker und Lehrender, Intellektueller und Talkshowmaster, Parteifunktionär und das Gegenteil davon, in seinen Wendungen und Festlegungen oft schwer auszurechnen.
„Intellektualität auf höchstem Niveau”
50. Geburtstag 1989: „Ein Mann Willy Brandts”
Unabhängigkeit und Ideenreichtum haben ihn im sozialdemokratischen Sinne geprägt - sofern man diesen Begriff volksparteilich weit faßt. Zu deren Traditionskompanie hat er nicht gehört, und einen Parteisoldaten könnte man ihn nur nennen, gäbe man dem Begriff einen neuen Inhalt. Dann freilich wäre Glotz einer gewesen.
„Peter Glotz war der seltene Fall eines Menschen, in dem sich politischer Gestaltungswille, Kraft zum Handeln und Intellektualität auf höchstem Niveau verbanden”, hat ihn Otto Schily jetzt gewürdigt. „Er blieb dabei Politiker und verharrte nicht in der ,reinen Lehre‘”, beschrieb ihn Franz Müntefering. „Sein kritischer Geist und seine wache Aufmerksamkeit seiner Partei gegenüber werden uns sehr fehlen.”
2003: Peter Glotz präsentiert sein Buch „Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück”
Im engeren Sinne politisch war Glotz bis 1996 tätig. Die Ämter: Landtagsabgeordneter in Bayern, Bundestagsabgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Wissenschaftssenator in Berlin, Bundesgeschäftsführer der SPD, Vorsitzender des SPD-Bezirks Südbayern, medienpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, Mitglied von Rudolf Scharpings Schattenkabinett, Anhänger Oskar Lafontaines.
Gegner einer großen Koalition
1982 trug er (als Bundesgeschäftsführer) dazu bei, daß die sich von ihrer Partei abwendenden FDP-Politiker Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier zur SPD kamen und sich nicht an der Gründung einer linksliberalen Partei beteiligten. Jahre später öffnete er Schily den Weg von den Grünen zur SPD.
Seine Vorstellung stand dahinter, die SPD müsse sich neuen politischen Strömungen öffnen, um mehrheitsfähig zu bleiben. Glotz plädierte früh für die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den Grünen, gehörte aber nicht zu den Sozialdemokraten, die darüber rot-grün wurden. Gegner einer großen Koalition war er jedenfalls.
Als Johannes Rau 1987 seinen Bundestagswahlkampf mit dem Wahlspruch einer „eigenen Mehrheit” führte, hatte Glotz das zu organisieren - wider die eigenen Vorstellungen, wie er später bekundete.
Karriere mit Niederlagen
1993/94 trat er mit der Begründung, nur mit einer Perspektive zum Machterwerb könne die SPD Erfolg haben, für eine „Ampelkoalition” ein. Es fügte sich nicht. Was er damals über die mangelnde Mehrheitsfähigkeit der Volksparteien sagte, hätte er auch heute ausführen können.
Daß die Partei ihm nicht immer folgte, wußte er selbst am besten. Sein politisches Leben war nicht bloß von Erfolgen geprägt. Niederlagen gehörten auch dazu. Sein Engagement minderten sie nicht.
Mentor für ein „Zentrum gegen Vertreibungen”
Glotz wurde 1939 im böhmischen Eger geboren. Die Mutter war Tschechin. Die Familie floh im September 1945 nach Bayern - was er Jahrzehnte später in einem Buch beschrieb. Er wolle die Vertriebenenverbände „aus der rechten Ecke” holen, sagte er da; gemeinsam mit Erika Steinbach (und gegen die Vorstellungen der SPD) setzte er sich für die Errichtung des „Zentrums gegen Vertreibungen” in Berlin ein.
Die Schulen besuchte Glotz in Bayreuth und Hannover. In München und Wien studierte er Zeitungswissenschaften, Philosophie, Germanistik und Soziologie. Später arbeitete er an der Universität München. Lange vor der Studentenrevolte wandte er sich der SPD zu.
Ein Mann Willy Brandts
1977 war er der erste Wissenschaftssenator Berlins nach sechs Jahren, der zur Diskussion mit Studenten in die FU kam. Es wirkte nach und ist bei den heute Älteren nicht vergessen. Damals hatte der junge Mann eine rasante Karriere hinter sich: 1970 Wahl in den Bayerischen Landtag, zwei Jahre später in den Bundestag; 1974 Parlamentarischer Staatssekretär; 1976 Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden der Bayern-SPD; 1977 Wechsel nach Berlin; 1980 Berufung zum SPD-Bundesgeschäftsführer - auf Empfehlung Willy Brandts. Glotz blieb im Erich-Ollenhauer-Haus, solange Brandt die Partei führte.
Nach seinem Ausscheiden aus „der Politik” wurde er Gründungsrektor beim Wiederaufbau der altehrwürdigen Universität Erfurt. Später wechselte er an die Universität St. Gallen, wo er bis in dieses Jahr hinein das Institut für Medien und Kommunikationsmanagement leitete. In deutschen Fernsehanstalten wirkte er mit seinem ehemaligen Kontrahenten Heiner Geißler (CDU) als Kombattant zusammen. Doch blieb er auch der SPD verbunden. Er wirkte in der Friedrich-Ebert-Stiftung und bis zuletzt auch in der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte”.
Zuletzt schrieb er dort zum 90. Geburtstag der ersten Vorsitzenden der Historischen Kommission der SPD, Susanne Miller: „Wir sind froh, daß wir sie weiter fragen können und sind beeindruckt von der Würde, mit der sie das kaudinische Joch sehr hohen Alters trägt.”
Am Donnerstag ist Peter Glotz in einem Zürcher Krankenhaus gestorben. Er hinterläßt seine Frau und seinen jungen Sohn.
Quelle: FAZ
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Sie werden für immer mein politisches Vorbild bleiben.
Ruhe in Frieden
Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die
Anderen erst einmal reden.
„Kraft zum Handeln und Intellektualität auf höchstem Niveau”
Von Günter Bannas
26. August 2005 Seine Interessen und Vorlieben, seine Fähigkeiten und Aufgaben sind womöglich zu viele gewesen, um bezeichnend zu sein. Unverbindlich waren sie nicht und deshalb waren sie bemerkenswert.
Peter Glotz, der Sozialdemokrat, vereinigte vieles in sich - es gab lange Linien und Brüche, Widersprüche und Konstanten, und manchmal alles zugleich. Er war Politiker und Wissenschaftler, Wissenschaftspolitiker und Lehrender, Intellektueller und Talkshowmaster, Parteifunktionär und das Gegenteil davon, in seinen Wendungen und Festlegungen oft schwer auszurechnen.
„Intellektualität auf höchstem Niveau”
50. Geburtstag 1989: „Ein Mann Willy Brandts”
Unabhängigkeit und Ideenreichtum haben ihn im sozialdemokratischen Sinne geprägt - sofern man diesen Begriff volksparteilich weit faßt. Zu deren Traditionskompanie hat er nicht gehört, und einen Parteisoldaten könnte man ihn nur nennen, gäbe man dem Begriff einen neuen Inhalt. Dann freilich wäre Glotz einer gewesen.
„Peter Glotz war der seltene Fall eines Menschen, in dem sich politischer Gestaltungswille, Kraft zum Handeln und Intellektualität auf höchstem Niveau verbanden”, hat ihn Otto Schily jetzt gewürdigt. „Er blieb dabei Politiker und verharrte nicht in der ,reinen Lehre‘”, beschrieb ihn Franz Müntefering. „Sein kritischer Geist und seine wache Aufmerksamkeit seiner Partei gegenüber werden uns sehr fehlen.”
2003: Peter Glotz präsentiert sein Buch „Die Vertreibung. Böhmen als Lehrstück”
Im engeren Sinne politisch war Glotz bis 1996 tätig. Die Ämter: Landtagsabgeordneter in Bayern, Bundestagsabgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Wissenschaftssenator in Berlin, Bundesgeschäftsführer der SPD, Vorsitzender des SPD-Bezirks Südbayern, medienpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, Mitglied von Rudolf Scharpings Schattenkabinett, Anhänger Oskar Lafontaines.
Gegner einer großen Koalition
1982 trug er (als Bundesgeschäftsführer) dazu bei, daß die sich von ihrer Partei abwendenden FDP-Politiker Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier zur SPD kamen und sich nicht an der Gründung einer linksliberalen Partei beteiligten. Jahre später öffnete er Schily den Weg von den Grünen zur SPD.
Seine Vorstellung stand dahinter, die SPD müsse sich neuen politischen Strömungen öffnen, um mehrheitsfähig zu bleiben. Glotz plädierte früh für die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den Grünen, gehörte aber nicht zu den Sozialdemokraten, die darüber rot-grün wurden. Gegner einer großen Koalition war er jedenfalls.
Als Johannes Rau 1987 seinen Bundestagswahlkampf mit dem Wahlspruch einer „eigenen Mehrheit” führte, hatte Glotz das zu organisieren - wider die eigenen Vorstellungen, wie er später bekundete.
Karriere mit Niederlagen
1993/94 trat er mit der Begründung, nur mit einer Perspektive zum Machterwerb könne die SPD Erfolg haben, für eine „Ampelkoalition” ein. Es fügte sich nicht. Was er damals über die mangelnde Mehrheitsfähigkeit der Volksparteien sagte, hätte er auch heute ausführen können.
Daß die Partei ihm nicht immer folgte, wußte er selbst am besten. Sein politisches Leben war nicht bloß von Erfolgen geprägt. Niederlagen gehörten auch dazu. Sein Engagement minderten sie nicht.
Mentor für ein „Zentrum gegen Vertreibungen”
Glotz wurde 1939 im böhmischen Eger geboren. Die Mutter war Tschechin. Die Familie floh im September 1945 nach Bayern - was er Jahrzehnte später in einem Buch beschrieb. Er wolle die Vertriebenenverbände „aus der rechten Ecke” holen, sagte er da; gemeinsam mit Erika Steinbach (und gegen die Vorstellungen der SPD) setzte er sich für die Errichtung des „Zentrums gegen Vertreibungen” in Berlin ein.
Die Schulen besuchte Glotz in Bayreuth und Hannover. In München und Wien studierte er Zeitungswissenschaften, Philosophie, Germanistik und Soziologie. Später arbeitete er an der Universität München. Lange vor der Studentenrevolte wandte er sich der SPD zu.
Ein Mann Willy Brandts
1977 war er der erste Wissenschaftssenator Berlins nach sechs Jahren, der zur Diskussion mit Studenten in die FU kam. Es wirkte nach und ist bei den heute Älteren nicht vergessen. Damals hatte der junge Mann eine rasante Karriere hinter sich: 1970 Wahl in den Bayerischen Landtag, zwei Jahre später in den Bundestag; 1974 Parlamentarischer Staatssekretär; 1976 Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden der Bayern-SPD; 1977 Wechsel nach Berlin; 1980 Berufung zum SPD-Bundesgeschäftsführer - auf Empfehlung Willy Brandts. Glotz blieb im Erich-Ollenhauer-Haus, solange Brandt die Partei führte.
Nach seinem Ausscheiden aus „der Politik” wurde er Gründungsrektor beim Wiederaufbau der altehrwürdigen Universität Erfurt. Später wechselte er an die Universität St. Gallen, wo er bis in dieses Jahr hinein das Institut für Medien und Kommunikationsmanagement leitete. In deutschen Fernsehanstalten wirkte er mit seinem ehemaligen Kontrahenten Heiner Geißler (CDU) als Kombattant zusammen. Doch blieb er auch der SPD verbunden. Er wirkte in der Friedrich-Ebert-Stiftung und bis zuletzt auch in der Zeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte”.
Zuletzt schrieb er dort zum 90. Geburtstag der ersten Vorsitzenden der Historischen Kommission der SPD, Susanne Miller: „Wir sind froh, daß wir sie weiter fragen können und sind beeindruckt von der Würde, mit der sie das kaudinische Joch sehr hohen Alters trägt.”
Am Donnerstag ist Peter Glotz in einem Zürcher Krankenhaus gestorben. Er hinterläßt seine Frau und seinen jungen Sohn.
Quelle: FAZ
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Ruhe in Frieden
Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die
Anderen erst einmal reden.