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"Kulturmarxismus" oder: Die akademische Dolchstoßlegende
07.02.2019 um 14:52Da das Schlagwort des "Cultural Marxism" mittlerweile auch in seiner germanisierten Form als "Kulturmarxismus" seine Runden macht und dme ein oder anderen bereits in diesem Forum begnet sein sollte, lohnt sich eine kritische Betrachtung des dahinterstehenden Narrativs. Um das ganz übersichtlicher zu gestalten und eine Wall-of-text zu vermeiden, werde ich das ganze in drei Abschnitte einteilen. Im ersten Abschnitt werde ich in kurzer Form darstellen, worum es ich bei der Kulturmarxismus-These handelt. In Teil zwei werde ich dann einige Kritikpunkte hervorbringen, welche schließlich im dritten Teil zu meinen eigenen Thesen über die Erzählung des Kulturmarxismus führen.
- Das Schlagwort des Kulturmarxismus stammt ursprünglich aus dem US-amerikanischen Raum, wo es für die Idee steht, dass der amerikanische Lebenswentwurf (bewusst) von linken und linksliberalen Kräften zerstört wird. Als Ausgangspunkt für diese Annahme gelten die in der Zeit des Naziherrschaft aus Deutschland emigirierten Gesellschaftstheoretiker und Sozialphilosophen der Frankfurter Schule (Kritische Theorie). Durch diese soll eine Verlagerung der ökonomisch-marxistischen Kritik der modernen Gesellschaft, hin zu einer kulturell-marxistischen stattgefunden haben. Vertreter der Kulturmarxismus-These stellen hier eine direkte Traditionslinie der Kritischen Theorie zum (konstruktivistischen) Postmodernismus her, dem im weiteren Sinne auch Antirassismustheorien, Teile der Geschlechterforschung und bestimmte politische Strategien zugeordnet werden können, die oft mit dem anderen Schlagwort der "Political Correctness" assoziiert werden. Die Idee geht so weit, dass man von einer bewussten Agenda zur Destabilisierung westlicher Gesellschaften ausgeht.
Interessanterweise hat diese Erzählung in den letzten Jahren auch den Weg nach Europa gefunden, wo sie entweder in einer internationalisierten Variante erzählt wird, oder aber von antiwestlichen Rechten genutzt wird um den scheinbaren "Untergang des Abendlandes" argumentativ zu untermauern. - Wenn wir uns einer kritischen Betrachtung der Thesen nähern, die sich hinter dem Begriff des Kulturmarxismus verbergen, dann müssen wir zum einen die Grundannahmen überprüfen und zum anderen untersuchen, wieso diese Erzählung überhaupt funktioniert.
Wann genau die Kulturmarxismus-These ins Leben gerufen wurde ist nicht ganz klar, jedoch kann man von den späten 1990er Jahren ausgehen. Wo der Begriff seinen Ursprung hat ist hingegen sehr gut nachzuvollziehen. Wichtig sind hier zum einen der Author und Militärtheoretiker William S. Lind und der konservstive Think-Tank der "Free Congress Research and Education Foundation". Die Idee das die Akteure der Frankfurter Schule als Neomarxisten die Vorreiter der postmodernen Theorien (Poststrukturalismus, Dekonstruktivismus, etc.) seien, gehen auf Linds Kappe. Dieser geht sogar so weit von einem Kulturkampf zu sprechen, in dem Homosexuelle, Umweltschützer und Feministinnen Seite an Seite mit postmodernen Intellektuellen gegen die amerikanische Kultur kämpfen.
Die "Free Congress Research and Education Foundation" hat die Ideen Linds später aufgegriffen und zu einer leicht entschärften und scheinbar selbst intellektuell begründeten Strategie ausgearbeitet. Auch wenn die These vom "Cultural Marxism" gerne in einen wissenschaftlichen Zusammenhang gestellt wird, kann man aufgrund der Faktenlage zu den Ursprüngen jedoch davon ausgehen, dass jede wissenschafltiche Intention nachträglich beigefügt wurde und die Grundannahme gar keinem Anspruch auf wissenschafltiche Kriterien gerecht wird. Das merkt man dann auch sehr schnell, wenn man die Grundannahmen genauer unter die Lupe nimmt.
Die Idee dass der Postmodernismus aus dem Neomarcismus hervorgegangen ist, lässt sich nämlich weder ideengeschichtlich, noch über eine Herleitung methodischer Gemeinsamkeiten belegen oder auch nur schlüssig begründen. Während der Marxismus (vor allem der westliche Neomarxismus) sich auf Hegel, Marx und Freud beruft, gehen postmoderne Theorien auf Denker wie Nietzsche oder Heidegger zurück. Die dialektische Methodologie des Marxismus sucht man in postmodernen Theorierichtungen vergebens. Historisch betrachtet standen der Neomarxismus und der Postmodernismus sogar häufig in direkter Konkurrenz zueinander.
Interessanterweise übernehmen Vertreter der Kulturmarxismus-These Kritikpunkte die vom Neomarxismus gegenüber dem Postmodernismus hervorgebracht werden (Relativismus, Konzentration auf Identitätspolitik), tun gleichzeitig jedoch so, als würde es sich dabei um Kritik am Neomarxismus handeln. Die Strategie hinter der Kulturmarxismus-These ist also auf zwei Kernelemente zurückzuführen:
1. Das etablieren einer Narration (Erzählung), bei der unterschiedliche links-akademische Theorieansätze unter einem einzelnen Begriff subsumiert werden können (unzulässige Vereinfachung).
und
2. Das Bedienen alter rechter Welterklärungsansätze über die Verschwörung einer elitären uns subversiven Gruppe. - Kommen wir nun zu meinen Schlüssen und Überlegungen. Meines erachtens spricht der Ursprung des Begriffes schon für sich. Gleichzeitig gibt es jedoch eine Dimension, die sich erst auf den zweiten Blick ergibt. Das man sich ausgerechnet die Kritische Theorie als Ausgangspunkt der linksakademischen Verschwörung augesucht hat, ist kein reiner Zufall. Denn bis auf wenige Ausnahmen waren alle Vertreter der Kritischen Theorie jüdischer Herkunft. Daraus ergibt sich ein weiteres Strategieziel der Erzählung vom Kulturmarxismus, nämlich die, auch die Antisemiten mit ins Boot zu holen. Auch die Wahl des Begriffes scheint nicht willkürlich zu sein, sprachen doch schon die Nazis vom "Kulturbolschewismus". Man kann hier also durchaus die (in rechten Kreisen nicht unübliche) Strategie unterstellen vorbelastete Begriffe und Symbole nach leichter Abwandlung erneut zu etablieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Kreise in denen dieses Schlagwort dankend angenommen wird. Gerade durch das Zusammenführen verschiedener rechter Denkfiguren kann die These vom Konservativen, bis hin zum glühenden Faschisten genutzt werden. Meines erachtens machen sich Konservative die dieses Narrativ nutzen damit zum Erfüllungsgehilfen für die strategischen Ziele von ganz rechts außen.
Da ich mich selbst als linker und und gleichzeitig als Kritiker vieler postmoderner Ansätze positioniere, sehe ich die Gefahr, dass durch die Verbreitung dieses Narrativs Kritik von links an postmodernen Ideen verunmöglicht wird. Das wiederum würde dazu führen, dass sich der Eindruck etabliert, man müsse sich rechtes Gedakengut aneignen um als Gegner, bzw. Kritiker postmoderner Theorien zu gelten.
An dieser Stelle werde ich auf das Ausformulieren weiterer Thesen und Gedanken verzichten, da ich dies der Diskussion überlassen möchte.
Da ich das ganze in relativ kurzer Zeit runtergeschrieben habe, bitte ich Tippfehler zu verzeihen.
Einige Quellen und Verweise ohne weitere Zuordnung:
Wikipedia: Cultural Marxism (Schlagwort)
Wikipedia: William Sturgiss Lind
https://man-tau.com/2018/05/30/kritik-an-jordan-peterson-antwort-von-leszek-auf-genderama-leserbrief-zu-jordan-peterson-vom-16-mai-2018-eine-kleine-artikelserie-1-teil/ (Archiv-Version vom 16.02.2019)
https://www.kritiknetz.de/kritischetheorie
https://www.ruhrbarone.de/wie-der-postmodernismus-die-aufklaerung-abwickelt/142698