Mit «Wall Street 2» wird die Geschichte des skrupellosen Spekulanten Gekko, die in den Achtzigern begonnen hatte, ins neue Jahrtausend geführt. Regisseur Oliver Stone erläutert im Gespräch mit Urs Bühler, weshalb er seiner Hauptfigur für die Fortsetzung ein Herz eingepflanzt hat.
Als «Wall Street» 1987 in die Kinos kam, soll ein beträchtlicher Teil des Publikums den skrupellosen Finanzhai Gekko als Idol genommen haben. Gerieten Sie so nicht in ein ähnliches Dilemma wie Regisseure sogenannter Antikriegsfilme, welche die Faszination mancher Zuschauer für Gewalt nähren?
Da gibt es gewisse Parallelen, ja. Dennoch glaube ich, das Richtige getan zu haben. Gekko war ein Spiegelbild jener Ära, in der Reagan die Märkte dereguliert hatte und sich alle schnellen Reichtum versprachen. Ich persönlich finde die von Gekko verkörperte Haltung widerlich. Aber ich wollte sie nicht kritisieren, sonst hätte ich einen Dokumentarfilm gemacht. Drehe ich einen Spielfilm, bin ich Dramatiker, ich zeige nur. Die Zuschauer urteilen.
Sie können deren Urteil bis zu einem gewissen Grad steuern. Hatten Sie damals mit «Platoon» also auch nicht das Ziel, den Krieg an sich anzuprangern?
Nein. Auch dieser Film war gewissermassen unmoralisch, das heisst, ich drehte ihn ohne moralische Absicht. Ich wollte einen Teil dessen zeigen, was ich selber in Vietnam erlebt hatte.
Seit wann war für Sie klar, dass Sie ein Sequel zu «Wall Street» realisieren möchten?
Als 2008 der Finanz-Crash kam. Aber ich würde nicht von einem Sequel sprechen, das hätte man in den Neunzigern machen müssen, als die Erinnerung an Teil eins noch wacher war. Ohne die Figur Gekkos wäre der zweite Film eine völlig andere Geschichte als der erste. Aber auch Gekko ist ja ein anderer. Er entdeckt sein Herz für die Familie.
Nun, er ertrügt Millionen von der eigenen Tochter.
Er bleibt ein durchtriebener Kerl, ein Reptil. Geschäftsleute können sehr seltsame Kreaturen sein, eiskalt, wenn es sein muss. Aber ich denke, er hat wirklich Gefühle für seine Tochter. Und er fürchtet sich vor einem einsamen Lebensabend. Im Gefängnis hat man Musse zum Nachdenken. Er weiss nun, dass Zeit das Einzige ist, was zählt, nicht Geld.
Als Gekko nach der Jahrtausendwende und mehrjähriger Gefängnishaft zurückkehrt, sagt er, Gier sei in der Zwischenzeit legal geworden. Sehen Sie das ebenfalls so? Ist sie auch verbreiteter geworden?
Ohne Frage. Was die finanziellen Dimensionen betrifft, kennt die Geschichte nichts Vergleichbares zur Entwicklung in den Jahren vor 2008. Die Blase rund um das, was sie Schuldverschreibungen nennen, ergriff diesen ganzen Planeten, nicht nur die Wall Street. Die Welt hatte noch nie ein Wachstum wie dieses gesehen. Niemand hat eine Ahnung, wo es endet, wo der Boden ist. Es sind alles Blasen.
«Gordon Gekko bleibt ein durchtriebener Kerl, ein Reptil.»
Was wird die nächste Blase sein?
Was weiss ich? Ich habe bis anhin vier grosse Blasen erlebt, die platzten. Womöglich wird die nächste etwas noch Wertloseres betreffen als diesen wertlosen Subprime-Real-Estate-Bullshit von 2008. Comics vielleicht oder die Verfilmung von Comics.
Was lernt die Menschheit aus den geplatzten Blasen?
Wenn die Geschichte etwas zeigt, dann die Unfähigkeit, sich an irgendetwas zu erinnern.
Sie sind also Pessimist?
O nein, ich bin ein Optimist! Hätte der Film sonst ein Happy End, wie die Leute es nennen? Jeder muss doch selbst entscheiden, was wichtig ist für ihn: die Blasen oder Werte wie Familie, Vertrauen, Liebe. Davon handelt der Film, nicht von der Finanzkrise. Sie war, als wir zu drehen begannen, schon in vielen exzellenten Büchern und anderen Texten analysiert worden. Darüber wusste man genug. Ich benutze die Krise nur als Hintergrund.
Wie konnten Sie aber zulassen, dass im Hintergrund der in Zürich spielenden Szene rote Trams verkehren? Sie waren doch schon mehrmals in dieser Stadt.
Sie sind schon die vierte Person, die mich heute damit quält. Wie sollte ich mich daran erinnern, dass die Züge hier nicht rot sind? Ihr solltet froh sein, im Film vorzukommen. Niemand weiss, wo Zürich ist. Aber ich weiss nicht, wie das passiert ist. Die garantierten mir, dass es Zürcher Trams seien.
Was ist Ihr jüngstes Projekt?
Eine Dokumentarserie zur Geschichte der USA. Sie soll zeigen, was mit dem Land geschah von 1900 bis 2010, wie wir die Supermacht und die Polizei dieser Welt wurden, ein Staat der nationalen Sicherheit. Hierbei will ich konstruktiv Kritik üben. Der Titel wird «The Untold History Of The United States» sein . . . Oder was meinen Sie zu «The Isolated History . . .»? Gefiele Ihnen das besser?
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/film/ich_zeige_nur__die_zuschauer_urteilen_1.8081495.html