Aus meiner Sicht würde ein solcher Deal, der von
@psychiatrist beschrieben wird, vermutlich schon Sinn ergeben. Es ist zumindest nachvollziehbar, dass die Anklage einen Auftritt Bothas vor Gericht vermeiden wollte, um den eigenen Fall nicht zu gefährden. Im Ergebnis halte ich die von Botha gezogenen Schlüsse zwar für richtig; sein Verhalten war als Ermittler jedoch nicht professionell. Da für ihn offenbar von Beginn an klar war, dass OP Reeva bewusst erschossen hat, wurden die Ermittlungen unter seiner Verantwortung nicht sorgfältig genug geführt.
Nels Entscheidungen waren in vielerlei Hinsicht ein Vabanquespiel. Ich vermute, dass er im Nachhinein sicher einige Dinge anders entschieden hätte. Hätte er z.B. geahnt, dass Masipa ohne Weiteres davon ausgeht, dass der Tatort von der Polizei manipuliert und vor Gericht durch Polizisten falsche Aussagen gemacht wurden (das muss sich ja unterstellen, wenn sie OPs Version akzeptiert), dann hätte er sich einen solchen Deal (wenn er in dieser Form stattgefunden hat) sicher gespart.
Hier ist es natürlich im Nachhinein deutlich einfacher eine Bewertung vorzunehmen. Zuvor war es sicher in einigen Fällen ein riskantes Abwägen von Vor- und Nachteilen.
Ähnlich sehe ich dies z.B. auch bei dem Umgang mit Sam Taylor.
Hier musste sich Nel bei der Befragung genau überlegen, wieweit er geht. Ihre Aussagen hätte das Gericht nicht in die Bewertung einbeziehen dürfen, sofern sie OPs schlechten Charakter betreffen.
Die Staatsanwaltschaft hat nur in zwei eng begrenzten Ausnahmefällen die Möglichkeit, Beweise über den schlechten Charakter des Angeklagten einzubringen: Unter bestimmten Bedingungen darf während des Kreuzverhörs des Angeklagten darauf eingegangen werden. Zudem ist es zulässig, einen Zeugen der Verteidigung, der den guten Charakter des Angeklagten belegen soll, im Kreuzverhör auch hinsichtlich negativer Eigenschaften zu befragen (diese Option ergab sich im Prozess z.B. als der Manager OPs aussagte). Ansonsten ist bad character evidence unzulässig, wird also vom Gericht nicht in die Entscheidung miteinbezogen, da solche Beweismittel für die Bewertung der Tat keine Aussagekraft haben. Auch gute Menschen können schlechte Dinge tun bzw. umgekehrt können auch Menschen mit schlechtem Charakter Gutes tun. Stereotypes Denken soll vermieden werden, daher bestehen die Restriktionen hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Beweismittel.
Dazu z.B.:
http://criminallawza.net/tag/criminal-law-2/ (Archiv-Version vom 09.09.2014)The general rule, in respect of both similar fact and character evidence, is that such evidence is inadmissible. The rationale is that it is simply irrelevant: its persuasive value is marginal at best and it is typically highly prejudicial – it triggers stereotypical thinking and wastes time and money, and causes the court to be drawn off point. It raises collateral issues which, in itself is problematic, but worse, an accused may be ill prepared to explain everything s/he has done in his/her life.
(Bad Character Evidence hätte demnach allenfalls nützlich sein können, wenn man verlässlich bereits frühere Fälle häuslicher Gewalt hätte dokumentieren können – ob so etwas dann tatsächlich in die Urteilsfindung einfließt, liegt aber im Ermessen des Gerichts; möglicher Weise hätte Roux bereits Widerspruch eingelegt; Masipa hätte die Aussage sicher auch ohne rechtliche Vorgabe nicht berücksichtigt).
Es bestand andererseits die Gefahr, dass Sam – je mehr sie zu ihrer Beziehung mit OP befragt wird - umso mehr als verbitterte Ex wirkt, was sich dann auch negativ auf ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich des sunroof-Vorfalles ausgewirkt hätte. Auch hier war es mMn für Nel ein Vabanquespiel. Er konnte auch hier vorher nicht wissen, dass Masipa ohnehin nichts glauben wird, was OP belastet. Hätte Nel zuviel gefragt und Masipa hätte dann ihr Urteil wie geschehen damit begründet, dass Sam als gekränkte Ex-Freundin nicht verlässlich ist, dann hätte man es Nel im Nachhinein vorgeworfen, dass er ihre Glaubwürdigkeit durch den Versuch, bad character evidence, die ohnehin nicht berücksichtigt wird, unterzubringen, zerstört hätte.
Grundsätzlich war es daher nach meiner Auffassung von Nel ein guter Schachzug durch die Verhandlung des Mordvorwurfes gemeinsam mit den 3 weiteren Anklagepunkten ein Stück weit auf andere, legale Weise bad character evidence einzubringen.
Dazu im Vorfeld z.B. auch James Grant:
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/oscar-pistorius/11018205/Legal-View-Oscar-Pistorius-in-grave-jeopardy-of-being-convicted-of-Reeva-Steenkamps-murder.htmlThe introduction by the prosecution of three other charges relating to the reckless or negligent use of a firearm and possession of ammunition was no accident - it was a cleverly constructed trap that Pistorius fell into by pleading not guilty.
The charges allow the state to introduce bad character evidence, or evidence of prior bad acts, that would ordinarily be inadmissible in relation to a murder charge since it is usually prejudicial, triggers stereotyping, and is ultimately irrelevant.
The judge can still reject such evidence as irrelevant to the murder charge, but it will be "in" at a subconscious level.
Da das Strafmaß separat verhandelt wird, gibt es dort Gelegenheit, weitere Aspekte, die für die rechtliche Bewertung der Tat nicht relevant oder sogar unzulässig sind, einzubringen. Hier kann Nel vermeintlich Versäumtes evtl. noch nachholen. Allerdings lässt bereits das Urteil von Masipa vermuten, dass sie dort einiges zu Gunsten OPs werten wird:
Reue nach der Tat, Wiederbelebungsversuche (?) beim Opfer, psychischer Zustand OPs...
Wenn Nel eigene Entscheidungen im Nachhinein nochmal kritisch hinterfragt und wenn es ihm tatsächlich wichtig ist, in diesem Fall ein gerechtes Urteil zu erwirken, dann erwarte ich von ihm, dass er alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, um gegen die Entscheidung Masipas vorzugehen.