Vampire. Ihre Mythen und Legenden
06.03.2009 um 21:05
Vampire – wie Forscher einen Mythos sezieren
von Heidi Niemann
GÖTTINGEN – Halloween, die Nacht zum 1. November, ist eine Nacht des Gruselns. Kinder ziehen – als Gespenster, Hexen oder Vampire verkleidet – von Haus zu Haus, überall leuchten Kürbisse und finden Maskenpartys statt. Doch in den Mythen um blutsaugende Untote, die nachts ihre Gräber verlassen, um die Lebenden heimzusuchen, steckt durchaus ein wissenschaftlicher Kern. Göttinger Forscher haben sich daran gemacht, ihn freizulegen.
Der Mythos, der sich mit "lebenden Toten" beschäftigt, ist offenbar nicht totzukriegen: Seit vielen Jahrhunderten geistern Vampire durch fast alle Kulturkreise. Die zahlreichen Geschichten und Mythen sind allerdings keine reinen Fantasie-Produkte. Die Schauergeschichten ranken sich vielmehr um historische und naturwissenschaftliche Inhalte. Die Kunsthistorikerin Friederike Schmidt-Möbus, der Literaturwissenschaftler Frank Möbus und der Mediziner und Biologe Thomas Crozier versuchen, Wissenschaft von Legende zu trennen.
Für die speziellen "Symptome" der Vampire gebe es medizinische Erklärungen, sagt Crozier, der im Zentrum Anästhesiologie, Intensiv- und Rettungsmedizin am Göttinger Uni-Klinikum arbeitet. Aus der Gerichtsmedizin lasse sich herleiten, worauf bestimmte klinische Merkmale der Dracula-Figur gründen. Vor allem im 18. Jahrhundert seien nach unerklärlichen Todesfällen Leichen exhumiert und auf pathognomonische Merkmale untersucht wurden.
Nach diesen Befunden galten als typische Vampir-Merkmale aufgetriebene Körper, blutige Flüssigkeit im Mund, flüssiges Blut in Gefäßen und Körperhöhlen, geschwollene Genitalien. Dies seien jedoch natürliche Begleiterscheinungen des Verwesungsprozesses, was damals allerdings nicht bekannt gewesen sei, erklärt der Anästhesist.
In Deutschland gab es vor allem um das Jahr 1 730 einen regelrechten Vampirwahn. Bei entsprechend verdächtigen Todesfällen wurden die Leichen der betreffenden Personen gepfählt, geköpft und oft auch verbrannt. Die Überreste wurden in amtlich dokumentierten Vampirgräbern bestattet.
Solche Friedhöfe existieren unter anderem in Serbien, Österreich, den USA und in Mexiko. Inzwischen haben Wissenschaftler mehrfach solche Gräber geöffnet, um den Todesursachen auf die Spur zu kommen. Die Skelette hatten häufig einen Pfahl durch die Brust, die Oberschenkelknochen waren in Kreuzform gelegt. Ergebnis der wissenschaftlichen Untersuchungen: Zahlreiche Vampir-Legenden beruhen vermutlich auf gefährlichen Infektionskrankheiten, die früher viele Menschen dahingerafft haben.
Am häufigsten seien Tuberkulose, Pest, Milzbrand und Tollwut nachgewiesen worden, sagt Crozier. Die damals noch unerklärlichen Krankheiten, manchmal durch Fremde eingeschleppt, hätten die Menschen in Angst und Schrecken versetzt und seien zum Auslöser der Vampir-Geschichten geworden.
Vieles spreche dafür, dass vor allem Tollwut-Epidemien, die durch Tierbisse zum Beispiel von einem Wolf oder einer Fledermaus verursacht wurden, die Menschen zu den Vampir-Geschichten animiert haben. "Es gibt zahlreiche Parallelen zwischen den Krankheitssymptomen und den typischen Vampir-Eigenschaften", führt der Mediziner aus.
So leiden manche Tollwut-Infizierte an Aggressivität, Schlaflosigkeit, starker Unruhe und gleichzeitiger Mattheit wie auch einer Verkrampfung der Kehlkopf-Muskulatur bei bestimmten Reizen – ausgelöst beispielsweise durch Gerüche (daher der Knoblauch als vermeintlich wirkungsvolles Abwehrinstrument), aber auch durch Licht (daher die angebliche Abneigung der Vampire gegen Spiegel). "Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, dass es Anfang des 18. Jahrhunderts eine schwere Tollwut-Epidemie in Ungarn gegeben hat und die Dracula-Legenden aus dem osteuropäischen Raum stammen", erläutert Crozier.
Über die Medizin hinaus haben die Legenden aber auch einen historischen Kern, berichtet der Literaturwissenschaftler Frank Möbus. Dessen Ursprung geht zurück auf die überlieferte Geschichte eines Kriegsherrn aus Siebenbürgen. Der walachische Woiwode Vlad Tzepes, genannt Dracula, soll im 15. Jahrhundert Zehntausende von Gefangenen im Krieg gegen die Türken gepfählt und gekreuzigt haben.
Im Walachischen sei "Dracula" das Wort für "Satan", erläutert Möbus. Diese Namensgebung verweise wiederum auf die religionsgeschichtlichen Wurzeln der Vampir-Geschichten: Der Mythos vom blutrünstigen Vampir sei ein Gegenbild zur christlichen Heilsgeschichte, in der Jesus bei der Einsetzung des Abendmahls sagt: "Wer trinket mein Blut, der hat das ewige Leben. Und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken."
Aber auch in der bildenden Kunst sind Vampire bis heute gegenwärtig, wie Friederike Schmidt-Möbus festgestellt hat. So werde etwa bei Delacroix, Goya und Kubin der Vampir zur Allegorie für den Kampf der Geschlechter – oder, wie bei Edvard Munch, für die Ambivalenz von Anziehung und Verderben, den tödlichen Eros.
Aus medizinischer Sicht jedenfalls gehörten Vampire zu den gefährdeten Arten, schmunzelt Thomas Crozier. Immerhin brauche ein Vampir rund zweieinhalb Liter Blut am Tag. Damit wäre zwar sein Kalorienbedarf gestillt. Allerdings würde eine derart einseitige Ernährung zu gravierenden Mangelerscheinungen führen. Vampire müssten daher zusätzlich unbedingt Sauerkraut oder Zitrusfrüchte zu sich nehmen, um ihren Vitamin-C-Bedarf zu sichern: "Sonst droht Zahnverlust durch Skorbut – und das bedeutet für einen Vampir Tod durch Verhungern."
Quelle : http://www.aerztlichepraxis.de/rw_4_Archiv_HoleArtikel_323666_Artikel.htm