Möchte nochmal mit meinem Vater sprechen!
24.07.2006 um 19:18
Anbei ein paar Worte düe sacha27nrw, was die Veränderungen nach dem Tod eines nahenMenschen bewirken können:
Ich erlebte den Verlust eines mir sehr nahe stehendenAngehörigen wie einen bestenden Damm. Ich wurde von einem Augenblick zum anderen voneiner wahren Flut von Leid überrollt. Ich hatte das Gefühl, in eine Dunkelheit zustürzen, aus der ich möglicherweise nicht wieder als geistig gesunder Mensch herauskommenwürde. Die Flut von Gefühlen spülte mein ganzes bisheriges, mir lieb gewordenes Leben mitsich fort.
Ich habe angefangen, zu suchen. Ich bin dabei sehr weit gegangen.Weiter, als vielen hier denkbar erscheint.
Ich fand Erkenntnisse. Zum Beispieldas das Leben Veränderung bedeutet und Veränderungen setzen voraus, daß wir etwasverlieren, bevor wir etwas Neues gewinnen können. Ein katastrophaler Verlust ist wie eineAmputation. Der gesamte Lebenskontext wird völlig verändert. Auch habe ich erkannt, daßjeder Verlust schlimm ist - auf seine ganz eigene Weise. Kein Leid gleicht dem anderen.Jedes steht für sich. Es macht keinen Sinn zu entscheiden, wessen Leid schlimmer ist. DasLeid einer Kriegswaisen im Irak oder eines Tsunami-Überlebenden oder das Leid einesMenschen, der im vermeintlich wohlbehüteten Europa aufwächst. Der Sinn des Leids ist dieFrage aller Fragen und diese Frage wird beantwortet durch das Wachsen der eigenen Seele.
Ich kann Deine Gefühle nachempfinden, weil ich sie selbst erlebt habe. Du spürstdie Dunkelheit auf Dich zukommen, egal wie sehr Du versuchst, sie zurückzudrängen. Und:man muß sich ihr stellen. Auch ich bin in dieses schwarze Loch, dieses fürchterlicheNICHTS hinabgeglitten. Ich habe es zugelassen, daß das Leid mich verändert und prägt,statt zu meinen, ich könne ihm irgendwie aus dem Weg gehen. Und ich war überrascht, wiewenig andere Menschen an meinen Tränen Anstoß nahmen. Manchens Mal hatte ich denEindruck, mein Körper funktionierte nur mechanisch und ich fühlte mich wie jemand, deraus dem eigenen Körper herausgetreten ist. Und dabei erkannte ich, daß nichts, was unsvon außen wiederfährt entscheidend ist, sondern vielmehr das, was IN uns geschieht.
So verrückt es klingen mag. Die Seele ist formbar, wie ein Ballon. Sie kann durch dasLeid geweitet werden. Und wenn sie ersteinmal weit geworden ist, ist sie auch in derLage, mehr Freude, Kraft, Frieden und Liebe zu empfinden. Denn das Tal des Leids bringtVerzweiflung und Bitterkeit hervor. Doch es ist zugleich der Ort, an dem unser Charaktergeformt wird.
Ich will Dir keine falschen Hoffnungen machen. Der Schmerz desVerlustes wird bleiben. Doch ich habe um diesen Schmerz herum eine Lebenslandschaftgebaut, und so ist das, was einst nur Leid bedeutete zu einem wichtigen Element einesgrößeren und liebenswertern Ganzen in meinem Leben geworden.
Natürlich; erst dieTiefe des Schmerzes zeigt uns den unermeßlichen Wert dessen, was wir verloren haben. Dasgeschieht sicherlich bei Deinem, wie auch bei meinem Verlust in derselben Weise. Ichstellte mir vor, daß ich diesen tragischen Tag noch einmal ablaufen lassen und dieEreignisse, die zu dem Tod geführt hatten, ändern könnte. Auch suchte ich jemanden, derfür den Verlust, den ich erfahren hatte, bezahlen sollte. Letztlich war ich gezwungen,mich dem Problem der Sterblichkeit - meiner Sterblichkeit - zu stellen.
Ichdurchlebte eine innere Zerrissenheit. Meine Erinnerungen waren und sind mir dabei sehrkostbar. Ich hab sie festgehalten, so wie jemand, der auf hoher See umhertreibt und sichan eine Planke festklammert. Es war mir unmöglich, sich keine Zukunft auszumalen. Aber eswar genauso unmöglich, sich die Zukunft auszumalen. Eine Zeit lang fehlte mir beides: derTrost, den gute Erinnerungen mit sich bringen, und die Höffnung, die duch positiveVorstellungen von der Zukunft entsteht. ich erkannte, daß wie die Vergangenheit nichtzurückgewinnen können. Die Physik erlaubt z.Zt. (noch) keine Zeitmaschinen, mit denen manGeschehenes ungeschehen machen könnte. Ich könnte nur anfangen, mich der Zukunft zustellen. Und wie immer diese Zukunft auch aussehen mochte. Sie schließt den Schmerz derVergangenheit mit ein. Ein solcher tiefer Schmerz kann bewirken, daß das Leben seineOberflächlichkeit und seinen unnützen Ballast verliert. Er zwingt uns dazu, uns zufragen: Was zählt wirklich im Leben?
Ich werde mir die Menschen, die ichverloren habe, immer zurückwünschen. Aber dennoch werde ich stets das Leben feiern, dasich gefunden habe, weil sie von mir gegangen sind. Ich habe verloren, aber ich habe auchgewonnen.
Frederick Büchner sagte einmal: "Selbst die traurigtsen Dinge können,wenn wir ersteinmal Frieden mit ihnen geschlossen haben, zu einer Quelle der Weisheit undder Kraft für den noch vor uns liegenden Weg werden."
Auch dein Leben, so wie Dues bisher mit deinem Vater erfahren und erwartet hast, ist plötzlich zu Ende. Was bleibt,ist nur noch das, was war. Was hätte sein können, ist verloren. Wir können die Situationnicht verändern, aber wir können zulassen, daß die Situation uns verändert. Ein Verlustkann uns positiv verändern - z.B. indem wir unserem Leben dadurch eine neue Richtunggeben. Möglicherweise sind unsere Tragödien nur ein sehr schlimmes Kapitel in einem gutenBuch.
Ich habe erkannt, daß wir Menschen nicht erwarten dürfen, ein Leben langvon Leid, Verlust, Trauer und Schmerz verschont zu bleiben. Allein schon eine solcheErwartung erscheint nicht nur unrealistisch, sondern sogar arrogant. Vielleicht hatte ichden Tod meiner Mutter und meines Bruders nicht verdient. Aber ebensowenig hatte ich dasGlück verdient, daß sie Teil meines Lebens gewesen waren. So muß ich das Schlimmeertragen, was ich nicht verdient habe, aber ich darf auch das Gute im Leben empfangen,was ich nicht verdiene.
Unversöhnlichkeit mit dem Schicksal kann den Schmerznicht stoppen. Unversöhnlichkeit sorgt nur dafür, daß der Schmerz sich ausbreitet.Vergebung gegenüber dem Schicksal bedeutet, sich zu entschließen, das Richtige zu tun.Vergebung hat ihren Preis. Wer seinem Schicksal vergeben will, muß sein Recht aufgeben,mit seinem Schicksal abzurechnen. Und das ist ein Recht, was man nicht so ohne weiteresaufgibt. Und diese Vergebung ist ein langer weg. Es geschieht selten in einem Augenblick.
Wir können auch andere Menschen in unserem Umfeld nicht vor Schmerz bewahren.Wir können sie nur begleiten. Auf ein Wunder zu hoffen und alles Leid ungeschehen zumachen und die Toten wieder lebendig zu haben, ist nur eine vorübergehende Lösung. Diedurch so ein in Gedanken erhofftes Wunder vom Tod Auferweckten werden wieder sterben. WieDu in diesem Forum schon erfahren hast, wirst auch Du erkennen, daß der Tod nicht dasletzte Wort hat. Schon in Deinem Herzen wohnt ein Empfinden für die Ewigkeit.
Ich habe erfahren, daß wer selber trösten will, bereit sein muß, sich den Schmerzeines anderen zu Eigen zu machen und sich auch durch den Schmerz eines anderen verändernzu lassen. Weil meine Freunde und mein Umfeld wußten, daß mein Leben nie wieder dasselbesein würde, beschlossen auch sie, daß auch ihres nie wieder dasselbe sein sollte. Sofühlte ich mich getragen im Leid. Ich wußte aber auch, daß ich die Verantwortung für meinLeben wieder selbst übernehmen mußte, so verzweifelt, wie ich auch sein mochte. Indem ichin schwieriger Zeit von meinem Umfeld Liebe geschenkt bekam, wurde es mir erleichtert,nun dauerhaft Liebe an mein Umfeld zu geben. Wer möchte, daß seine Seele an einerVerlusterfahrung wächst, der muß sich dazu entscheiden, seine Menschen und die Erde unddas Universum noch tiefer zu lieben als zuvor. Ich weiß: zu lieben, wenn man verzweifeltist, erfordert einen ungeheuren Mut.
Die Auswirkungen einer Tragödie endenniemals wirklich, nicht nach zwei, nicht nach zehn und nicht nach hundert Jahren. Ichwerde für den Rest meines Lebens die Narben der Tragödie an mir tragen, auch wenn sieüber die Jahre etwas verblassen werden.
Ich wünsche Dir, daß auch Du Deinen Wegfindest. Und ich wünsche Dir ganz besonders, daß auch Du die Anhöhe erreichst, von deraus Du erkennen kannst, woher Du kamst und wohin Du gehst.
In tiefer innigerVerbundenheit mit Dir und grenzenlosem Mitgefühl
Dein
Re