Dogmatix schrieb:@anonyheathen erwähnte Shakespeares Macbeth. Er weiß da sichher mehr als ich, aber ich denke auch, dass Shakespeare das Übernatürliche ernst nahm und nicht einfach mit der netten Skepsis/Glaube-Schublade zu fassen ist. Oder z. B. auch der Geist von Hamlets Vater: also verborgener Zusammenhang ja, aber keine einfache Anweisung: die Zusammenhänge interpretieren und die Probleme lösen müssen wir letztlich selbst. Sicher, wenn es tödlich endet, ist es eine Tragödie.
Shakespeare und die Geister! Das ist ein interessantes Thema. (Annekatrin Puhle hat ein ganzes Buch geschrieben „Shakespeare und die Welt der Geister“ - wobei es aber nicht um den Barden im Speziellen geht, sondern allgemein um Geister in England.)
In der zitierten Szene in „Macbeth“ zum Beispiel sieht nur Macbeth selbst den Geist Banquos. Das Ganze spielt sich bei einem Bankett ab, muss man wissen. Mac kommt als letzter dazu und sucht einen freien Platz. „Da ist noch ein Stuhl frei“, sagt man ihm. „Nee. Wo denn?“ Denn auf dem freien Stuhl sieht Mac den toten Banquo sitzen, mit den gräßlichen Wunden, die ihm die von Mac gedungenen Mörder zugefügt haben. Es entspinnt sich eine köstliche Szene, die ihre Peinlichkeit daraus bezieht, dass eben nur Mac den Geist sieht und alle anderen nicht, so dass sie sich wundern, warum der König vor einem leeren Stuhl solche Panik schiebt („gentlemen rise, his Highness is not well“). Shakespeare lässt also ganz bewusst offen, ob der Geist nun „wirklich“ existiert und sich eben nur Mac zeigt, oder ob er nur eine vom bösen Gewissen des Königs erzeugte Einbildung (eine „Halluzination“, würde man heute sagen) ist. (Und Regisseure stehen vor der Gewissensfrage, ob sie den Geist zeigen sollen – und somit gewissermaßen Macs Perspektive einnehmen – oder nicht.)
Auch der Geist von Hamlets Vater ist interessant: Obwohl es Diskussionen gibt, ob Shakespeare evtl. „Krypto-Katholik“ war (also ein heimlicher Katholik, obwohl das unter Elisabeth I. verboten war), war England unter Elisabeth I. ein streng protestantischer Staat. Und die Protestanten lehrten, dass es gar keine Geister geben kann: Die Seelen der Verstorbenen waren entweder im Himmel, aus dem sie nicht mehr heraus wollten, oder in der Hölle, aus der sie nicht mehr heraus konnten. Der vorübergehende Zwischenzustand des Fegefeuers dagegen, aus dem nach katholischer Überzeugung gelegentlich die Seelen den Lebenden als Geister erschienen, war abgeschafft und galt als katholischer Aberglaube. Geistererscheinungen – die es natürlich auch in England und den anderen protestantischen Ländern weiterhin gab – waren daher nicht die erscheinenden Seelen Verstorbener, sondern verkleidete Dämonen, die den Menschen täuschen wollten, oder vom Teufel eingegebene Halluzinationen („Teufelsgespenster“, wie das bei deutschen Protestanten hieß). - Ist also vielleicht auch der Geist von Hamlets Vater solch ein bösartig täuschendes „Teufelsgespenst“?
Jedenfalls tut Hamlet gut daran, die Behauptungen des Geistes zu prüfen, statt ihm einfach zu glauben: Er heuert eine Theatertruppe an, die in leicht fiktionalisierter Form die Ermordung des alten Königs Hamlet durch seinen Bruder und Nachfolger Claudius nachspielen sollen; Hamlet will dann beobachten, wie König Claudius reagiert und sich so als der Schuldige verrät. Hamlet:
«... Sie sollen was
Wie die Ermordung meines Vaters spielen
Vor meinem Oheim: ich will seine Blicke
Beachten, will ihn bis ins Leben prüfen;
Stutzt er, so weiß ich meinen Weg. Der Geist,
Den ich gesehen, kann ein Teufel sein;
Der Teufel hat Gewalt, sich zu verkleiden
In lockender Gestalt; ja, und vielleicht,
Bei meiner Schwachheit und Melancholie,
(Da er sehr mächtig ist bei solchen Geistern),
Täuscht er mich zum Verderben: ich will Grund,
Der sichrer ist. Das Schauspiel sei die Schlinge,
In die den König sein Gewissen bringe.»
(Akt II, Szene II)
Hamlets Plan geht auf, der König verrät sich, und die Tragödie nimmt ihren Lauf – mit neun Toten am Schluss … Ausgelöst wird das Ganze aber initial eben durch den Geist – also eventuell doch ein böses „Teufelsgespenst“?