Was ist mit Lilith?
14.10.2014 um 12:02
Lilith kommt wie schon erwähnt ein Mal im Alten Testament vor, ist dort ein Wüstendämon. Dürfte ein mesopotamischer Mythenimport sein, wo es schon aus sumerischen Zeiten eine dämonische Götterfigur ähnlichen Namens gab, genauer gesagt mehrere, männlich wie weiblich.
Lilith als erste Frau Adams ist eine späte Entwicklung, wahrscheinlich erst aus hellenistischer Zeit. In dieser Zeit wurden mythische Texte erstmals historisierend interpretiert.
So finden sich bekanntlich in der Bibel zwei Schöpfungsberichte, in 1.Mose1 (bis Anfang des zweiten Kapitels) die Siebentagesschöpfung, und in 1.Mose2 den Schöpfungsbericht mit Adam und Eva in Eden. Hat lange Zeit niemanden gestört, daß es zwei Schöpfungsberichte gab, die voneinander abweichen, aber in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten wie gesagt kam ein historisierendes Textverständnis auf, bei dem man die beiden Berichte in ne Art "Chronologie" bringen wollte.
Da wird also im ersten Schöpfungsbericht der Mensch als Mann und Frau geschaffen. Im zweiten Bericht aber wird erzählt, wie der Adam erschaffen wird, die Frau hingegen erst später nicht wie der Adam erschaffen, sondern aus diesem "herausoperiert" wird. Wie paßt das zusammen? Was, so die gelehrte Spekulation, wenn zunächst eine Frau erschaffen wurde, zur selben Zeit wie der Mann, und dann später wurde nochmals eine Frau gemacht, diesmal aber aus dem Mann heraus, nicht separat neben ihm? Mußte nur noch ne Erklärung her, wieso die erste Frau nicht reichte, und was aus ihr geworden ist.
In der selben Zeit kam auch die Frage auf, woher denn die Engel und Dämonen stammen, deren Erschaffung in der Bibel ja ebenfalls nicht berichtet wird. Eine Art von Dämonen begegnet im Buch Tobit. Dort tötet ein Dämon Asmodäus sämtliche Ehegatten einer Frau in der Hochzeitsnacht. Ist so ne Art lebenskraftraubender Vampir der Nacht. Lilith - deren Name klingt für hebräische Ohren nach "die Nächtliche" - war schon aus mesopotamischer Vorgabe diesem Dämonentypus recht ähnlich. Und so galt sie schließlich als "männermordender Vamp", die aber auch Kindern / Neugeborenen ans Leder ging.
Dieses späte jüdische Lilith-Bild ist der Inbegriff der Feindschaft gegen die menschliche Ehe von Mann und Frau. Gerade dieses Thema spielt bei der zweiten Schöpfungsgeschichte um Adam und Eva eine wichtige Rolle. Indem man Lilith mit der vermeintlichen ersten Frau aus 1.Mose1 verband, hatte man quasi von ganz allein dieVerbindung sowohl für die Erklärung der beiden Schöpfungsberiachte als auch für die Erklärung des Nachtdämons.
Gott schuf Mann und Frau. Diese sollten sich paaren und vermehren. Doch Lilith wollte sich nicht unterordnen, sie wollte beim Sex nicht (nur) unten liegen. Also verweigerte sie sich Adam. Der beschwerte sich bei Gott. Gott redete auf Lilith ein, doch sie weigerte sich, sich unterzuordnen. Also verfluchte Gott sie und machte für Adam einen Ersatz. Diesmal aber nicht als eigenständige Schöpfung, sondern als "Ableitung vom Manne" und diesem schon von Natur aus untergeordnet, nicht beigeordnet. Diesmal klappte es. Lilith, die die Ehe mit Adam ja noch gar nicht vollzogen hat (Hochzeitsnacht ist nicht nur ein netter Spaß, sondern war lange Zeit der eigentliche Eheschluß, noch heute spricht man gelegentlich von "die Ehe vollziehen") - Lilith floh in die Wildnis, wurde zum Dämon, verband sich mit Asmodäus, und seither suchen sie aus Rache Eheleute in der Hochzeitsnacht heim oder die Frucht ihrer Ehe, also die Kinder.
Wer sich ein wenig mit den Hintergründen, mit der ganzen Mythologie drumherum auskennt, der sieht schnell, daß die Lilithgeschichte eine nachträgliche "Ergänzung" zu den biblischen Schöpfungsberichten ist, und aus welchen Quellen geschöpft wird. Wer sich auf diese Lilith beruft, beruft sich auf ein spätes jüdisches Märchen.
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Geil find ich auch Bastos Erklärung. Hätte Hieronymus tatsächlich bestimmte Geschichten aus dem christlichen Alten Testament weggelassen, die vorher drin gestanden hätten, dann hätte Hieronymus dies nicht nur bei den christlichen Bibeln machen müssen, sondern auch bei den jüdischen. Denn das christliche Alte Testament ist die jüdische Bibel. Und nicht nur das: auch außerhalb des Römischen Reiches gab es Christen und Juden mit ihren Heiligen Schriften. Hieronymus hätte also auch zu denen fahren müssen und die betreffenden Schriften heimlich aus deren Bibeln entfernen müssen. Bis hin nach Indien zu den Thomaschristen.
Tatsächlich gab es im frühen vierten Jahrhundert nur noch wenige Bibeln im Römischen Reich. In den Christenverfolgungen wurden auch die Schriften der Christen zerstört. Hieronymus erhielt den Auftrag, neue Bibelexemplare herzustellen. Und zwar einheitliche. Denn in der Tat wichen viele Handschriften reichsweit voneinander ab. Nicht in dem Sinne, daß da ganz andere Erzählungen drin standen, sondern anders formuliert. Inhaltlich nicht bedenklich, aber für eine offizielle Rezitation denkbar ungeeignet. Daher war Hieronymus' Aufgabe eine philologische, einen einheitlichen, den ursprünglichen Wortlaut der Texte zu ermitteln und wiederherzustellen.
Heute existieren weltweit aus der Zeit vor Hieronymus nur wenige Handschriftenfragmente, zum Teil sogar nur kleine Schnipsel mit einer hand voll Wörtern. Insgesamt aber bilden sie vielleicht das halbe Neue Testament ab. Daher können wir die "nachhieronymische Bibel" mit der "vorhieronymischen" vergleichen und wissen, daß es wirklich kein anderer Text war, keine anderen Geschichten usw., sondern Sachen der Formulierung, vielfach auch der reinen Grammatik und Orthographie. Innerhalb der Erforschung alter Schriften gilt daher die Bibel unter Wissenschaftlern als das am wortgetreuesten überlieferte Buch der Antike. Schriften aus jener Zeit, die uns in mehr als einer Handschrift erhalten sind, weichen voneinander stärker ab als Bibelhandschriften.
Und was das Alte Testament betrifft, so haben wir zwar noch weniger Handschriftenschnipsel aus vorhieronymischer Zeit, aber wir haben die jüdische Bibel, die von Hieronymus nicht mitredigiert worden ist. Auch hier gehen die Texte eng zusammen. Und wir haben den großen Glückstreffer aus Qumran, eine ganze Buchrolle mit nahezu dem vollständigen Jesajabuch in altem Hebräisch. Die Abweichungen vom heutigen hebräischen Jesajatext sind immens, ganze 6000 Abweichungen. Allerdings sind das orthographische Abweichungen. Im hebräischen AT wird der Name David geschrieben als "dwyd", an einigen Stellen aber auch als "dwd". Man schrieb keine Vokale, aber es gibt einige Konsonanten, die man zum besseren Erkennen als "Vokalersatz" einfügen konnte. So begegnet zumeist "dwyd", um nicht mit der Vokabel "dwd" (gesprochen Dod) für "Onkel" verwechselt zu werden. Abweichungen, die nicht orthographische Schreibweisevarianten betreffen, gibt es viel weniger. Und zwar weniger, als das Buch Kapitel hat. Zumeist stehen für einzelne Vokabeln synonyme Wörter da, also in der Art "Zwetschge statt Pflaume".