Pornografie, für jeden frei verfügbar - die Folgen
12.09.2011 um 15:34Zapp:
Wie die "Generation Porno" zur Top-Story wurde
"Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen", soll Aristoteles gesagt haben. Vor über 2.000 Jahren. Das Schimpfen auf die jeweilige Jugend scheint also von jeher beliebt gewesen zu sein. Ein Thema, das immer zieht. Und so finden die Medien auch heute in regelmäßigen Abständen Gründe, um auf die verlotterte nachwachsende Generation zu blicken. Alkohol, politisches Desinteresse, nur Spaß und Sex im Kopf. Dramatisieren lässt sich eben leicht. Aber, ob es zum Beispiel wirklich eine ganze Generation Porno gibt, hat Zapp untersucht.
Stimmt die Story von der durch Pornokonsum verrohten Jugend?
Am Nachmittag im Privatfernsehen: Bei "Britt" auf SAT1 werden Jugendliche gerne sexuell verdorben dargestellt. Sex sells und bei Minderjährigen erst recht. Teenager-Schwangerschaften stehen bei "Britt" häufiger auf dem Sendeplan. Auch am Abend bei RTL II ist die versaute Jugend der Reißer, wie in der Sendung "Generation Ahnungslos". Seit Jahren machen die Medien mit dem Thema Jugend und Sexualität Schlagzeilen. RTL brachte "Frühreife Früchtchen", 30 Minuten sexuelle Feldforschung aus den Randbezirken des jungen Deutschlands. "Generation Porno" hieß das dazu passende Buch, das 2009 von einem jungen Absolventen der Münchener Journalistenschule geschrieben wurde. Der wurde danach schnell zum Talkshow-Mobiliar.
Die "Generation Porno" rauscht durch alle Blätter und macht immer mehr Schlagzeilen. Auf dem Höhepunkt des Medienhypes schaltet sich Stephanie zu Guttenberg ein ("Stephanie zu Guttenberg: Pornografie verdirbt unsere Kinder", Bild, 21.06.2011).
Verrohung durch Pornos?
Die These ist immer wieder die gleiche: Die gesamte heutige Jugend verroht dramatisch durch Pornos. Richtig ist, dass ein Klick im Internet reicht, und die Clips lassen sich sogar auf dem Handy abspielen. Aber verdirbt der ungehinderte Zugang zu solchen Bildern wirklich alle Jugendlichen? In Köln bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schüttelt man den Kopf über so viel mediale Panikmache. In ihrer neuen Studie zur Jugendsexualität in Deutschland kommt man hier zu ganz anderen Ergebnissen.
Ekkehard Scholl von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erklärt: "Wir haben seit Jahren einen niedrigsten Stand zur sexuellen Aktivität von Jugendlichen. Nur 66 Prozent der Jugendlichen haben bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres überhaupt Sex gehabt. Ein Drittel hat überhaupt noch nie Sex gehabt. Und sie haben weniger Partner als früher und sie verhüten viel, viel besser."
Generation Porno also weit gefehlt. Diese Generation ist keuscher als es ihre Eltern je waren, in der Summe zumindest. Es gibt ein paar Ausreißer. Junge männliche Migranten haben statistisch mehr und früher Sex, und Jugendliche aus bildungsfernen Milieus. Über genau diese Jugendlichen hat Wolfgang Büscher ein Buch geschrieben, "Deutschlands sexuelle Tragödie", zusammen mit dem Pfarrer Bernd Siggelkow, dem Erfinder der "Archen" für hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche. Nach Erscheinen des Buches rannten ihnen Fernsehteams buchstäblich die Arche ein.
Wolfgang Büscher: "Man muss schon genauer hinschauen, denn wir haben sehr deutlich gemacht, dass es in erster Linie um die Kinder aus der bildungsfernen Schichten geht. Da haben wir uns natürlich auch über bestimmte Medienberichterstattung geärgert, weil hier pauschalisiert wurde und weil man eben gesagt hat, es sind alle Kinder in Deutschland und dem ist nicht so."
Frei verfügbare Pornografie
Tatsache ist, dass die heutige, technisch versierte Jugend die erste Generation ist, für die Pornografie praktisch überall und jederzeit frei verfügbar ist. Jede vierte Suchanfrage im Internet soll dieses Ziel haben. Eigentlich kann bei uns mit Freiheitsentzug bestraft werden, wer Pornografie Personen unter 18 Jahren zugänglich macht. Aber ein einfacher Mausklick auf "über 18" reicht bei vielen Seiten und schon ist man mittendrin. Und die dortigen Clips haben nichts mehr zu tun mit den harmlosen Erotikfilmen, die noch vor zehn Jahren samstagsabends über die Mattscheibe flimmerten. Diese Pornoclips zeigen den Geschlechtsakt in Großaufnahme, am liebsten anal, brutal und mit mehreren.
Zapp hat Jugendliche am Rande eines Rummels gefragt, ob sie schon Pornos gesehen haben.
Frage Reporterin: "Hast du denn schon mal sowas gesehen?"
Junge: "Ja, hab ich."
Frage Reporterin: "Und wie alt warst du beim ersten Mal?"
Junge: "Ich glaub 14 oder so. Vor einem Jahr circa war das, hab ich angefangen."
Frage Reporterin: "Und wie alt bist du?"
Weiterer Junge: "Elf."
Frage: "Und wie findest du das, das zu sehen?"
Junge; "Eklig. Manche finden das schön, aber ich nicht."
Mädchen: "Ja, ich hab auch sehr viele Freunde, die das machen. Die machen sich halt einen Spaß draus, treffen sich dann, gucken sich stundenlang irgendwie so Pornos (...). Und lachen sich einen ab."
Pornokonsum ab 12 Jahren
An der Hochschule für Medien in Stuttgart erforscht Professorin Petra Grimm schon seit Jahren die Nutzung von Pornografie durch Jugendliche: "Bei den männlichen Jugendlichen startet der Pornografie-Konsum im Alter von 12, 13 Jahren. Wir wissen eindeutig, dass männliche Jugendliche deutlich mehr als Mädchen Pornografie konsumieren. Also sie können schon davon ausgehen, dass die Mehrheit der männlichen Jugendlichen schon mal Pornografie gesehen hat."
Für die Masse ist Pornografie heute schon fast normal und uninteressant. Nur etwa fünf Prozent sehen regelmäßig und viel. Um diese Jugendlichen sollten wir uns sorgen und ihre Aufklärung und sexuelle Prägung nicht der Pornoindustrie überlassen. Die große Mehrheit aber wird durch den Begriff Generation Porno stigmatisiert.
Petra Grimm: "Die Medien haben das Thema natürlich gerne aufgegriffen, weil es hier natürlich um Aufmerksamkeitsgewinnung und Skandalisierung geht, und natürlich auch ein Stück weit diese Schelte an Jugendlichen etwas ist, was man dann auch öfters verbreitet. Und sie haben damit dieser Thematik aber nicht unbedingt gut getan."
Aber "gut tun" liegt nicht im Interesse der Medien. Übrigens im Sommer wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Dann erscheint "Generation Wodka".
(NDR, 22.6.11)
Wie die "Generation Porno" zur Top-Story wurde
"Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen", soll Aristoteles gesagt haben. Vor über 2.000 Jahren. Das Schimpfen auf die jeweilige Jugend scheint also von jeher beliebt gewesen zu sein. Ein Thema, das immer zieht. Und so finden die Medien auch heute in regelmäßigen Abständen Gründe, um auf die verlotterte nachwachsende Generation zu blicken. Alkohol, politisches Desinteresse, nur Spaß und Sex im Kopf. Dramatisieren lässt sich eben leicht. Aber, ob es zum Beispiel wirklich eine ganze Generation Porno gibt, hat Zapp untersucht.
Stimmt die Story von der durch Pornokonsum verrohten Jugend?
Am Nachmittag im Privatfernsehen: Bei "Britt" auf SAT1 werden Jugendliche gerne sexuell verdorben dargestellt. Sex sells und bei Minderjährigen erst recht. Teenager-Schwangerschaften stehen bei "Britt" häufiger auf dem Sendeplan. Auch am Abend bei RTL II ist die versaute Jugend der Reißer, wie in der Sendung "Generation Ahnungslos". Seit Jahren machen die Medien mit dem Thema Jugend und Sexualität Schlagzeilen. RTL brachte "Frühreife Früchtchen", 30 Minuten sexuelle Feldforschung aus den Randbezirken des jungen Deutschlands. "Generation Porno" hieß das dazu passende Buch, das 2009 von einem jungen Absolventen der Münchener Journalistenschule geschrieben wurde. Der wurde danach schnell zum Talkshow-Mobiliar.
Die "Generation Porno" rauscht durch alle Blätter und macht immer mehr Schlagzeilen. Auf dem Höhepunkt des Medienhypes schaltet sich Stephanie zu Guttenberg ein ("Stephanie zu Guttenberg: Pornografie verdirbt unsere Kinder", Bild, 21.06.2011).
Verrohung durch Pornos?
Die These ist immer wieder die gleiche: Die gesamte heutige Jugend verroht dramatisch durch Pornos. Richtig ist, dass ein Klick im Internet reicht, und die Clips lassen sich sogar auf dem Handy abspielen. Aber verdirbt der ungehinderte Zugang zu solchen Bildern wirklich alle Jugendlichen? In Köln bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schüttelt man den Kopf über so viel mediale Panikmache. In ihrer neuen Studie zur Jugendsexualität in Deutschland kommt man hier zu ganz anderen Ergebnissen.
Ekkehard Scholl von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erklärt: "Wir haben seit Jahren einen niedrigsten Stand zur sexuellen Aktivität von Jugendlichen. Nur 66 Prozent der Jugendlichen haben bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres überhaupt Sex gehabt. Ein Drittel hat überhaupt noch nie Sex gehabt. Und sie haben weniger Partner als früher und sie verhüten viel, viel besser."
Generation Porno also weit gefehlt. Diese Generation ist keuscher als es ihre Eltern je waren, in der Summe zumindest. Es gibt ein paar Ausreißer. Junge männliche Migranten haben statistisch mehr und früher Sex, und Jugendliche aus bildungsfernen Milieus. Über genau diese Jugendlichen hat Wolfgang Büscher ein Buch geschrieben, "Deutschlands sexuelle Tragödie", zusammen mit dem Pfarrer Bernd Siggelkow, dem Erfinder der "Archen" für hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche. Nach Erscheinen des Buches rannten ihnen Fernsehteams buchstäblich die Arche ein.
Wolfgang Büscher: "Man muss schon genauer hinschauen, denn wir haben sehr deutlich gemacht, dass es in erster Linie um die Kinder aus der bildungsfernen Schichten geht. Da haben wir uns natürlich auch über bestimmte Medienberichterstattung geärgert, weil hier pauschalisiert wurde und weil man eben gesagt hat, es sind alle Kinder in Deutschland und dem ist nicht so."
Frei verfügbare Pornografie
Tatsache ist, dass die heutige, technisch versierte Jugend die erste Generation ist, für die Pornografie praktisch überall und jederzeit frei verfügbar ist. Jede vierte Suchanfrage im Internet soll dieses Ziel haben. Eigentlich kann bei uns mit Freiheitsentzug bestraft werden, wer Pornografie Personen unter 18 Jahren zugänglich macht. Aber ein einfacher Mausklick auf "über 18" reicht bei vielen Seiten und schon ist man mittendrin. Und die dortigen Clips haben nichts mehr zu tun mit den harmlosen Erotikfilmen, die noch vor zehn Jahren samstagsabends über die Mattscheibe flimmerten. Diese Pornoclips zeigen den Geschlechtsakt in Großaufnahme, am liebsten anal, brutal und mit mehreren.
Zapp hat Jugendliche am Rande eines Rummels gefragt, ob sie schon Pornos gesehen haben.
Frage Reporterin: "Hast du denn schon mal sowas gesehen?"
Junge: "Ja, hab ich."
Frage Reporterin: "Und wie alt warst du beim ersten Mal?"
Junge: "Ich glaub 14 oder so. Vor einem Jahr circa war das, hab ich angefangen."
Frage Reporterin: "Und wie alt bist du?"
Weiterer Junge: "Elf."
Frage: "Und wie findest du das, das zu sehen?"
Junge; "Eklig. Manche finden das schön, aber ich nicht."
Mädchen: "Ja, ich hab auch sehr viele Freunde, die das machen. Die machen sich halt einen Spaß draus, treffen sich dann, gucken sich stundenlang irgendwie so Pornos (...). Und lachen sich einen ab."
Pornokonsum ab 12 Jahren
An der Hochschule für Medien in Stuttgart erforscht Professorin Petra Grimm schon seit Jahren die Nutzung von Pornografie durch Jugendliche: "Bei den männlichen Jugendlichen startet der Pornografie-Konsum im Alter von 12, 13 Jahren. Wir wissen eindeutig, dass männliche Jugendliche deutlich mehr als Mädchen Pornografie konsumieren. Also sie können schon davon ausgehen, dass die Mehrheit der männlichen Jugendlichen schon mal Pornografie gesehen hat."
Für die Masse ist Pornografie heute schon fast normal und uninteressant. Nur etwa fünf Prozent sehen regelmäßig und viel. Um diese Jugendlichen sollten wir uns sorgen und ihre Aufklärung und sexuelle Prägung nicht der Pornoindustrie überlassen. Die große Mehrheit aber wird durch den Begriff Generation Porno stigmatisiert.
Petra Grimm: "Die Medien haben das Thema natürlich gerne aufgegriffen, weil es hier natürlich um Aufmerksamkeitsgewinnung und Skandalisierung geht, und natürlich auch ein Stück weit diese Schelte an Jugendlichen etwas ist, was man dann auch öfters verbreitet. Und sie haben damit dieser Thematik aber nicht unbedingt gut getan."
Aber "gut tun" liegt nicht im Interesse der Medien. Übrigens im Sommer wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Dann erscheint "Generation Wodka".
(NDR, 22.6.11)