Familienstammbaum bis in die Antike zurück verfolgen?
30.09.2009 um 08:20
Beliebtes Spiel unter Mathematikern:
Karl der Große ist mein Ur...urgroßvater!
Sie spüren nichts von kaiserlichem Blut in Ihren Adern, Sie meinen, Karl der Große (742 – 814) sei gar nicht Ihr Urahn? Na, wenn Sie sich da mal nicht täuschen.
Wie wär’s, hätten Sie Lust auf eine Argumentationskette mit lauter in sich schlüssigen Annahmen, an deren Ende auch für Sie die Gewissheit steht, dass Sie ein unmittelbarer Abkömmling von Karl dem Großen sind?
Los geht’s!
Sie haben, wie jeder Mensch, einen biologischen Vater, zwei Großväter, vier Urgroßväter usw. Mit jeder weiteren betrachteten Generation verdoppelt sich die Anzahl der Ur…urgroßväter.
Im Folgenden soll zur Vereinfachung folgende Terminologie gelten:
Der Vater wird als Vater1, die Großväter als Vater2, die Urgroßväter als Vater3 usw. bezeichnet, der jeweilige Zeitabschnitt in dem die Vatern-Generation gelebt hat, wird als Vater n-Lebenszeit bezeichnet.
Wie leicht einzusehen ist, lässt sich die Anzahl der Vätern nach folgender Formel berechnen:
Gleichung 1: AnzVatern = 2n-1
Setzt man probehalber n = 3, so erhält man mit 23-1 = 4 die korrekte Anzahl der Urgroßväter.
Zu welcher Urgroßvatergeneration wird nun wohl Karl der Große gehören?
Zur Abschätzung lassen Sie uns mal von einer Generationenfolge von zwanzig Jahren ausgehen. (Das dürfte in den vergangenen Jahrhunderten der Wahrheit näher kommen, als die für die heutige Zeit eher zutreffende Zahl von 25 Jahren.
Karl der Große wurde im Jahr 742 geboren, seit dieser Zeit bis zum Jahr 2003 sind 1261 Jahre vergangen, also grob gerechnet 63 Generationen.
Gleichung 2: AnzGenerationen = 1261/20 = 63
Karl der Große gehörte also einer Generation an, in der unsere Väter63 lebten.
Wie viele Väter63 hat denn jeder von uns?
Gleichung 3:AnzVater63 = 263-1 = 9.223.372.036.854.780.000
In der wissenschaftlichen Schreibweise wird dieses Zahlenungetüm etwas übersichtlicher: 9,22E+18; also 9,22 mal einer 1 mit 18 Nullen, das sind 9,22 MilliardenMilliarden!
Dieses Ergebnis ist nun in der Tat etwas merkwürdig, in Mitteleuropa dürfte es um das Jahr 800 herum nur bestenfalls 100 Millionen Einwohner gegeben haben, wahrscheinlich aber eher 10 – 50 Millionen.
Wie ist dieser offenkundige Widerspruch zu verstehen? Wo steckt der Fehler?
Nun, der kann nur daher rühren, dass ein und die gleiche Person mehrfacher, nein, besser gesagt zigfacher Vatern ist.
Folgendes kleine Beispiel erläutert das Prinzip:
Wenn Vetter und Cousine ein gemeinsames Kind bekommen, so hat dieses Kind nicht 4 Urgroßväter, sondern nur drei; mit einem von den dreien ist es doppelt verwandt; er ist der Großvater von beiden Elternteilen. Und diese mehrfache Verwandtschaft der heutigen Bevölkerung mit der Vater63-Generation ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Mit jedem der Väter63-Generation, die damals in Mitteleuropa lebten, ist also jeder von uns im Durchschnitt 4,61E+18 /1,00E+08 = 4,6E+08 mal, also 460.000.000 mal verwandt.
Was aber heißt in diesem Fall schon „Durchschnitt“? Aus vielerlei Gründen kann man hier nicht von statistischer Gleichverteilung ausgehen.
Mit Sicherheit bin ich nicht verwandt mit allen damals Lebenden, die kinderlos gestorben sind, ebenso nicht mit denen, deren Linien in den folgenden Jahrhunderten komplett ausgestorben sind.
Betrachten wir also mal die Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, auch nach 63 Generationen noch lebende Nachfahren zu haben.
Zahl der Kinder
Es liegt auf der Hand, dass die Zahl der Kinder die Wahrscheinlichkeit erhöht, nicht auszusterben.
Obwohl jedoch in den vergangenen Jahrhunderten die durchschnittliche Geburtenrate deutlich höher als heute war, hat sich dennoch die Bevölkerung über Jahrhunderte kaum vermehrt. Grund dafür ist die hohe Kindersterblichkeit und die geringe Lebenserwartung der Bevölkerung.
Als sicher kann jedoch gelten, dass der soziale Rang der Eltern einen entscheidenden Einfluss darauf hatte, ob ein Kind das geschlechtsreife Alter überhaupt erreichen konnte.
Soziale Stellung
Kinder von Eltern, die aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft in der Lage waren, ihre Kinder ausreichend zu ernähren, hatten natürlich deutlich bessere Chancen, selbst wieder Kinder zu bekommen, als Nachkommen von Leuten der unteren Gesellschaftsschichten, die sehr oft unter extremer Mangelernährung litten. Außerdem versprach ein hochrangiges Elternhaus auch deutlich besseren Schutz vor den vielfältigen Gefahren des Lebens; die Schwächsten der Gesellschaft litten am meisten unter den dauernden Kriegen und hatten seit je her die höchsten Opfer zu beklagen.
Von allen Lebenden der Väter63-Generation hatte niemand einen höheren sozialen Rang als der unumstrittene Herrscher seiner Zeit, Karl der Große. Wie aber stand es mit der Zahl seiner Kinder, was wissen wir über sein Verhältnis zu den Frauen?
Nun, Karl der Große war, soviel ist sicher, kein Frauenverächter. Neben seinen Ehefrauen (er soll viermal verheiratet gewesen sein) wird von zahlreichen Konkubinen berichtet. 18 Kinder von ihm sind namentlich bekannt. Allerdings dürfte es da eine erhebliche Dunkelziffer geben, Karl war nicht nur politisch groß, sondern auch körperlich nachgerade ein Hüne. Er war oft auf Reisen, führte viele Kriege; wie wird er wohl mit der Langeweile an langen Abenden, weit weg vom heimischen Herd, umgegangen sein?
Es ist müßig, zu spekulieren, wie hoch die Zahl seiner Kinder wohl wirklich war: Sicher ist, dass sie deutlich über dem statistischen Mittel seiner Zeit lag.
Man kann daher festhalten:
Aufgrund seiner sozialen Stellung, der Anzahl seiner Kinder (und nicht zuletzt wohl auch wegen der Beschaffenheit seiner Gene, die er vererbte), darf man davon ausgehen, dass seine Nachkommen einen größeren Anteil an der Bevölkerung der nachfolgenden Generationen einnehmen, als es für den Durchschnitt seiner Zeitgenossen aus der Väter63-Generation gilt.
Die errechnete Zahl von 480 millionenfacher Verwandtschaft mit allen Mitgliedern der Väter63-Generation galt unter der Voraussetzung gleicher Chancen für alle. Da diese Voraussetzung aber, wie die vorstehenden Ausführungen ergeben, nicht gegeben sind, liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Verwandtschaft mit Karl dem Großen noch deutlich höher.
Der zwingende Schluß:
Die allermeisten der in Mitteleuropa lebenden Menschen haben einen bedeutenden Mann in ihrem Stammbaum: Karl den Großen.