Lockstoffe der Liebe
Pheromone sind Sexual-Lockstoffe, die alle Insekten und Tiere, auch der Mensch, absondern, um das andere Geschlecht anzuziehen. Ein Großteil des sexuellen Verhaltens von Insekten und Tieren wird durch Pheromone gesteuert, die von einem eigenen Sinnesorgan, dem Vomeronasalen Organ in der Nase wahrgenommen werden. Sie sind unsichtbar, geruchslos und wirken deshalb unterbewußt. Das Wort Pheromon kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Träger von Erregung"
Pheromone: chemisch chiffrierte Botschaften
Neben dem sozialen kontrollieren Pheromone vor allem das sexuelle Verhalten zwischen den Individuen einer Art. Schmetterlinge beispielsweise finden mittels Pheromonen selbst auf größte Distanzen hinweg ihren Partner. Auch Menschen setzen mit Pheromonen Signale. Den Appell, den diese an uns richten, nehmen wir zwar nicht bewusst wahr - gleichwohl ist er für die Hormone laut vernehmbar und wird ebenso heftig beantwortet. Die erotischen Lockstoffe sind ein Produkt der Schweißdrüsen der Haut, und werden besonders stark von Achselhöhlen und vom Genitalbereich aus in die Umwelt entsandt. Ihre Bildung setzt erst mit der Pubertät ein, vorher verzichtet die Natur aus verständlichen Gründen auf den Lockruf an das andere Geschlecht. Über fünfzig Pheromone an der Zahl wurden bislang beim Menschen entdeckt, die sexuell animieren; sei es zu Großtaten oder kurzweiligen Gefühlswallungen. Darunter finden sich unter anderem die Kopuline, die sich im Sekret der Vagina tummeln und die männliche Libido ankurbeln, sowie die Androstene, die Gemütsverfassung wie sexuelle Bereitschaft positiv beeinflussen: Auf Stühle eines Wartezimmers, mit den vor allem im männlichen Urin und Schweiß reich vorhandenen Androstenen besprüht, setzten sich signifikant mehr Frauen als Männer. Interessant ist, dass Androstenon in sehr geringer Konzentration wie Sandelholz riecht. Ebenso wie der Achselschweiß sendet auch Sandelholz subtile Signale an das andere Geschlecht.
Schon kleinste Mengen Pheromone lösen in Sekundenbruchteilen über das VNO (in der Nase) einen Reiz im Gehirn aus.
Der Beweis für die Existenz von Pheromonen beim Menschen war endgültig erbracht, als in Studien nachgewiesen worden war, dass die Duftstoffe die Ovulation zu regulieren vermögen. Wird Achselschweißextrakt von Frauen im frühen Stadium des Zyklus, also vor dem Eisprung, auf die Oberlippe anderer Frauen gebracht, dann verkürzt sich deren Zyklus und der Eisprung findet früher statt. Achselschweiß hingegen, der zum Zeitpunkt der Ovulation entnommen und bei anderen Frauen appliziert wird, verlängert deren Zyklus und der Eisprung verschiebt sich nach hinten. Dies lieferte auch die Erklärung für das bekannte Phänomen, dass sich die Periode von Frauen, die zusammenleben oder auf engem Raum zusammenarbeiten, nach einer gewissen "Anpassungsphase" synchron gestaltet. Überdies hat man herausgefunden, dass Frauen für männliche Duftstoffe am empfänglichsten während des Eisprungs sind, wenn also ihre Fruchtbarkeit am größten ist - eine sinnvolle Regelung der Natur.
Direkter Draht zur Gefühlswelt
Noch bevor ein Geruch bewusst als solcher wahrgenommen wird, hat er bereits die tiefsten Bewusstseinsschichten erreicht und dort seine Botschaft überbracht. Denn Duftreize gelangen via Riechschleimhaut der Nase unmittelbar zum Limbischen System. Diese zentrale Schaltstelle des Gehirns ist eng mit dem Unterbewusstsein gekoppelt und bestimmt über lebenswichtige Instinkte; über willentlich nicht zu beeinflussende, archaische Empfindungen wie Hunger, Durst und Müdigkeit sowie auch und vor allem über das sexuelle Verhalten. Daneben steuert das Limbische System auch die Gefühlswelt: Sympathie und Antipathie, Intuition und Kreativität unterliegen seinem Einfluss ebenso wie die über das autonome Nervensystem vermittelte Körperfunktionen, beispielsweise Herzschlag, Atemfrequenz oder Körpertemperatur. Dass die wichtigsten Instinkte mit dem Geruchssinn korreliert sind, zeigt unter anderem auch die Tatsache, dass dessen Sensitivität abhängig vom jeweiligen Sättigungszustand des Betreffenden ist. Wer hungrig ist, riecht deutlich besser als wenn er gerade gegessen hat. Was in gleicher Weise auch für den Sex zutrifft: Vor dem Geschlechtsverkehr ist das Geruchsempfinden stärker als danach.
Lockrufe zum Liebesspiel
Obwohl der Geruchssinn beim Homo sapiens im Vergleich zu anderen Säugetieren recht schwach entwickelt ist, vermag dieser auch bei uns entscheidend auf die Emotionen einzuwirken. Düfte, das ist das Besondere an ihnen, zielen treffsicher wie ein Pfeil mitten ins Zentrum unserer Instinkte - ohne vorherige Zensur durch Bewusstsein und Intellekt. Wer also bei Liebeslust und Leidenschaft nach selbstbestimmten Auswahlkriterien zu handeln meint, der irrt: Bevor wir sexuelle Regungen empfinden, hat unsere Nase schon längst entschieden. Daran ist der Geruchssinn allerdings nur zu einem geringen Teil beteiligt. Libido und Sexualität stehen vielmehr unter dem Einfluss dessen, was ein anderer, in der Nase gelegener Empfänger an Signalen erhält: die Pheromone, auch Soziohormone genannt. Diese chemisch chiffrierten Signale versendet jedes Lebewesen, um, per definitionem, "Botschaften zwischen den Individuen seiner Population zu übermitteln". Mal anziehende und verführende, die potenziellen Geschlechtspartnern die Bereitschaft zur Paarung signalisieren, mal warnende und abschreckende, die das eigene Revier markieren und Eindringlingen Grenzen setzen. Jene winzig kleinen Duftmoleküle vermögen auch beim Menschen über sein Verhalten zu bestimmen - vor allem, was das Liebesleben anbetrifft.
Das sexste Sinnesorgan
Lange Zeit herrschte die Lehrmeinung, dass die Katalysatoren der Libido via Riechorgan in der Nase die Leidenschaft entzünden - ein Irrtum, wie sich nun herausstellte. Ein kleiner Sensor am Eingang der Nasenhöhle ist es vielmehr, der die Lockstoffe der Erotik empfängt: das vomeronasale Organ oder Jacobsonsche Organ, kurz VNO genannt. Ein winziger, an der vorderen Nasenscheidewand gelegener Blindschlauch, der sich beim Blick ins Elektronenmikroskop als voll funktionsfähiges Sinnesorgan entpuppt. Bestens mit all dem ausgestattet, was zum Empfangen und Weiterleiten von Reizen erforderlich ist. Untersuchungen haben belegt, dass das VNO als Empfänger von Pheromonen, Androstenon, Kopulin und Co. agiert und unentbehrlich für das Paarungsverhalten der meisten Säugetiere ist - auch dem des Menschen. Es hat sich vielmehr sogar gezeigt, dass das VNO unabdingbare Vorraussetzung zum Erlernen sexueller Handlungen ist. Hamstermännchen beispielsweise, denen der Pheromonempfänger vor der ersten Kopulation operativ entfernt wurde, zeigten hinfort paarungswilligen Artgenossinnen ihr Leben lang die kalte Schulter. Wurde den Hamstern das VNO hingegen nach dem ersten Verkehr entfernt, nachdem sie bereits einmal in Kontakt mit Pheromonen gekommen waren, erweckten die Hamsterdamen weiterhin ihr reges Interesse.
Mittlerweile ist nachgewiesen, dass Pheromone das vomeronasale Organ beim Menschen tatsächlich stimulieren können. Die durch die Lockstoffe ausgelösten Impulse werden über Nervenbahnen zum Hypothalamus, der bereits erwähnten zentralen Schaltstelle für die wichtigsten Körperfunktionen, weitergeleitet. Dort angekommen, werden die erotisierenden Reizimpulse verarbeitet und die sexuelle Aktivität angeregt. Das vomeronasale Organ ist gewissermaßen die Landebahn für Pheromone und in ständigem Kontakt mit der Umwelt, aus der es Botschaften empfängt.
Angesichts seiner Funktion wird das vomeronasale Organ heute auch als "sexstes" Sinnesorgan bezeichnet, was die Medien bereits zu Schlagzeilen wie beispielsweise "die Nase als zweites wichtiges Sexualorgan" und "der Sex-Nerv sitzt in der Nase" inspirierte. Das alte Sprichwort, nach dem man "an der Nase des Mannes seinen Johannes erkennt", was sich zweifelsohne mehr auf Umfang und Form bezieht, scheint doch mehr als nur eine Binsenweisheit zu sein ...
In der Tat steht heute außer Zweifel, dass das VNO ausschlaggebend für die sexuelle Stimulation durch Pheromone ist und beim Empfangen der Luststoffe vollkommen getrennt vom Riechorgan agiert. Dies bestätigt auch die vielfach gemachte Beobachtung, dass Menschen, die ihren Geruchsinn verloren haben, dennoch in der Lage sind, Pheromone wahrzunehmen.
Die Wahrheit ist seltsamer als die Fiktion, weil die Fiktion Sinn machen muss.