Älterwerden
10.03.2008 um 09:49
Gefunden im Net......
Altersweisheiten für einen Freund
Heute ist Sonntag
Mein lieber junger Freund, ich darf Sie übermutig so anreden, obwohl Sie heute Ihren 65. Geburtstag feiern, aber Sie sind ja noch "im Vollbesitz aller Kräfte", wie Sie mir sagten. Und doch wissen Sie: Die ersten Schritte in das geheimnisvolle Land des Alters stehen nun bevor, und da heißt es, wachsam zu sein. Sie baten darum, ich möge Ihnen meine Erfahrungen aufschreiben, ein "ideelles Geschenk", wie Sie sagten, ein materielles Geschenk wollten Sie nicht - "man hat ja heutzutage schon alles".Also, lieber Freund, machen Sie sich auf schwere Kost gefaßt!Das Wichtigste vorweg: Erkennen Sie, Sie sind im Alter nicht mehr so wichtig. Man mag Ihnen Orden geben, Sie zum Vereinsvorsitzenden wählen, Sie noch nicht von den Gästelisten irgendwelcher Events gestrichen haben, bedenken Sie: Dies sind alles die mildtätigen Gaben von Menschen, die Angst davor haben, eines Tages selbst zum alten Eisen zu gehören.Nach Goethe kann man die Erfahrung nicht früh genug machen, wie entbehrlich man der Welt ist, was bedeutet: Man soll vor allem jungen Menschen nicht auf den Wecker fallen mit Ratschlägen, die aus einer fernen Vergangenheit stammen. Was kann jemand, der einst mit feinziselierter Sütterlinschrift seine Briefe schrieb, jemandem sagen, der heute mit E-Mail und Blackberry hantiert? Jede Generation erobert sich die Welt neu. Gestern traf ich eine Mutter, die auf meine Frage nach ihrer 25jährigen Tochter antwortete: "Sie besucht mich ab heute für drei Tage, erstaunlich und wunderbar." Was daran so erstaunlich sei, fragte ich sie weiter. "Na ja, sie kommt immerhin aus Los Angeles, nur um mich kurz mal wieder zu sehen.""Für drei Tage den Elfstundenflug?" "Ja, so ist es, ihr Terminkalender gibt nicht mehr her." Was bedeutet: Mit Ratschlägen für Töchter aus gutem Hause, die einst gültig waren, kann man heute nichts mehr anfangen.Eine weitere Erkenntnis: Sprich nicht dauernd von der Vergangenheit, es sei denn, die Geschichten sind so ungewöhnlich und amüsant, daß sie auch im überbordenden Medienzeitalter noch interessieren. Und auch dann gilt: Erzähle sie nur einmal. Frage, bevor du beginnen willst: "Habe ich das eigentlich schon erzählt?"Noch eines ist wichtig, lieber Freund: Sprich nicht über die Gesundheit, es sei denn, du wirst ausdrücklich nach den Erfahrungen mit Ärzten, Kliniken oder Operationen gefragt. Und auch dann gilt, was früher in jedem Telefonhäuschen stand, um lange Warteschlangen zu vermeiden: "Fasse Dich kurz!" Arthur Schopenhauer, dem wir den schönen Satz verdanken: "Die ersten vierzig Jahre des Lebens sind der Text, die restlichen Jahre sind der Kommentar" - schrieb uns ins Stammbuch: "Jedes überflüssige Wort wirkt seinem Zwecke entgegen." Also: keine Langeweilerei, kein erhobener Zeigefinger.Die praktischen Dinge des Alltags möchte ich nur kurz streifen: Sei nicht altersgeizig; erwarte nicht, daß andere dich dauernd einladen, lade selbst ein; zieh dich nicht zu jugendlich an; flirte ruhig mal wieder; achte auf dein Gewicht; trainiere nicht nur die Muskeln; gib deinen Kindern und Enkeln alle Zeit der Welt, Kinder haben immer Vorfahrt vor jedem anderen Termin.Das Wichtigste habe ich gesagt, das Allerallerwichtigste, mein lieber Freund, kommt jetzt: Das Alter nimmt nicht nur, es gibt auch. Das hat der liebe Gott sehr gut eingerichtet, daß wir bei konkreten Lebensfragen eine größere Urteilsfähigkeit haben, daß wir Wesentliches vom Unwesentlichen besser unterscheiden, daß wir mit mehr Gelassenheit den Verlust an Vitalität ausgleichen können.Wir haben alle konservierte Gefühle in uns, Erinnerungen an glückliche Erlebnisse, die uns keiner nehmen kann. Sie begleiten uns auf unserer Erdenreise, auch wenn wir mit Hermann Hesse wissen, daß das Schöne im Leben einen Teil seines Zaubers aus eben dieser Vergänglichkeit zieht. Und wenn auch der Körper die Spuren des Alters erleidet, erkenne den Reichtum des schon gelebten Lebens. (Quelle Welt a. Sonntag)