Was ist für euch Liebe?
23.06.2006 um 15:54
Wie leicht zerstören wir selbst, was wir lieben! Wie rasch senkt sich die Schranke einesWortes, einer Geste, eines Lächelns zwischen uns. Unser Befinden, unsere Laune, unsereBegierden werfen ihre Schatten, und schon wird das Strahlende stumpf und lästig. Oderaber wir verbrauchen uns gegenseitig durch die Gewohnheit, bis sich alle Klarheit undStärke unseres Gefühls in Müdigkeit und Verwirrung auflöst. Die ewigen Reibungen desAlltags, die endlose Folge von Hoffnungen und Enttäuschungen verdunkeln das, was so schönund so einfach war, und verwandeln es in ein böses Schreckgespenst.
AlleBeziehungen der Menschen untereinander sind verwickelt und schwierig, es gibt nur wenige,denen dabei eine Wunde erspart bleibt. Wir möchten so gerne bleiben, was wir sind,geduldig und beständig sein, aber unsere Beziehung zu einem anderen Menschen lässt sicheben nicht fixieren, sie ist vielmehr in ständiger Bewegung und Veränderung begriffen.Wir müssen dieser Veränderlichkeit aller Beziehungen in ihrer ganzen Tiefe und Bedeutunginnewerden und dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, sie in eine innere oder äußereSchablone hinein zu Pressen. Anpassung an die Schablone der Gesellschaft verliertallerdings nur dort ihr Gewicht und ihre lebensformende Bedeutung, wo Liebe mit im Spieleist. Liebe in der Beziehung zu einem Menschen führt eine innere Reinigung herbei,insofern sie die hintergründigen Tendenzen des Ichs bloßstellt. Fehlt diese Bloßstellung,so hat auch das Verhältnis zum Du nur wenig Bedeutung. Wir aber setzen alles daran, dieseBloßstellung zu verhindern. Unsere Abwehr wählt dazu die verschiedensten Waffen: Gewaltoder Unterwürfigkeit, Furcht oder Hoffnung, Eifersucht oder Gleichgültigkeit und soweiter und so weiter.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir nicht lieben,und wenn wir schon lieben, dann möchten wir immer noch, dass sich die Liebe unserenWünschen füge. Wir geben ihr keine Freiheit. Die Ursache ist, dass wir mit dem Verstandund nicht mit dem Herzen lieben. Der Verstand kann umdenken, Liebe ist unveränderlich.Der Verstand kann sich unverwundbar machen, Liebe ist und bleibt verletzlich, derVerstand kann sich immer entziehen, unnahbar sein, persönlich oder unpersönlich werden.Liebe duldet keinen Vergleich und keine Abgrenzung. Unser Unglück kommt daher, dass wirLiebe nennen, was in Wirklichkeit aus dem Verstand kommt. Wir füllen unsere Herzen nurmit dem, was uns der Verstand anbietet, darum bleiben diese Herzen tot und leer. Nur derVerstand klammert sich an einen anderen Menschen, ist voller Scheelsucht, hält fest undzerstört. Der Verstand und die Organe des Körpers beherrschen und gestalten unser Leben.Wir begnügen uns nicht damit, zu lieben und allem anderen seinen Lauf zu lassen, wirfordern vielmehr Gegenliebe, wir geben, um zu empfangen, und das ist eine Art derFreigebigkeit, die aus dem Verstand, nicht aber aus dem Herzen kommt. Der Verstand iststets auf Sicherheit und Dauer bedacht, kann aber Liebe je durch den Verstand gesichertwerden ?
Kann der Verstand, der in der Zeit verhaftete, jemals die Liebe inFesseln schlagen, die ihre Heimat doch im zeitlos Ewigen hat ? Aber selbst die wahreLiebe des Herzens hat noch ihre Tücken, denn unser Herz ist ja schon so verdorben, dasses die Liebe unsicher macht und verwirrt. Das aber ist es, was so viel Schmerz und Mühsalin unser Leben bringt. Heute sind wir überzeugt zu lieben, morgen schon ist alles Glückdahin. Aus unergründlichen Quellen kommt eine geheimnisvolle Macht über uns, die nichtvom Verstande herrührt. Der Verstand aber wendet sich alsbald gegen diese Macht undzerstört sie, denn es scheint, als ob er in diesem Kampf unweigerlich Sieger bliebe. DerZwiespalt, der dadurch in uns entsteht, kann weder durch den schlauen Verstand noch durchdas unsicher zaudernde Herz gelöst werden. Es gibt kein Mittel und keinen Weg, ihn zubeenden, schon die Suche nach einem solchen Mittel entstammt ja dem Begehren desVerstandes, Herr der Lage zu bleiben. Er möchte dem Zwiespalt ein Ende setzen, um zumFrieden und zur Liebe zu gelangen, oder mit anderen Worten, um zu werden, was er nichtist.
Unsere größte Schwierigkeit besteht darin, in vollem Umfang und intiefster Seele innezuwerden, dass über den Verstand kein Weg zur Liebe führt. Erst wennwir uns dieser Einsicht weit erschließen, kann es sein, dass uns etwas zuteil wird, wasnicht von dieser Welt ist. Ohne dieses Etwas erblüht uns aus der Beziehung zu einemanderen Menschen kein beständiges Glück, ob wir uns auch noch so darum bemühen. Empfängstdu diesen Segen, ich aber empfange ihn nicht, dann entsteht zwischen dir und mirnatürlich ein Zwiespalt. Du magst nicht von ihm betroffen sein, ich bin es auf jedenFall, und in meinem Schmerz darüber schließe ich mich von dir ab. Schmerz macht ja ebensounnahbar wie Freude, und meine Beziehung zu dir ist Schmerz, bis jene Liebe über michkommt, die ich niemals selbst erwecken kann.
Wenn du dieses Segens teilhaftiggeworden bist, dann musst du mich lieben, wie immer ich sein mag, es käme dir niemals inden Sinn, deine Liebe etwa nach meinem Verhalten einzurichten. Was immer der Verstanddagegen unternimmt, das Du und das Ich bleiben getrennt, wenn sie auch in manchen Dingenenge Fühlung halten. Unser Einswerden vollzieht sich ja nicht zwischen dir und mir,sondern ganz und gar in mir selbst. Dieses Einswerden kann niemals ein Werk desVerstandes sein, es vollzieht sich im Gegenteil nur, wenn der Verstand mit seinen Künstenzu Ende ist und ganz still wird. Dann nur ist die Beziehung zweier Menschen frei vonSchmerz." J.K.