Feder? - Schwert?
21.06.2006 um 21:49
Feder und Schwert
Ein Dialog von Rilke (1893)
In der Ecke einesZimmers stand ein Schwert. Die helle, stählerne Fläche seiner Klinge erglänzte, vomStrahle der Sonne berührt, in rötlichem Scheine. Stolz hielt das Schwert Umschau imZimmer; es sah, daß alles sich an seinem Glasten weidete. Alles? - Nicht doch! Dort aufdem Tische lag, müßig an ein Tintenfaß gelehnt, eine Feder, der es nicht im mindesteneinfiel sich vor der glitzernden Majestät jener Waffe zu beugen. - Das ergrimmte dasSchwert und es begann also zu sprechen: »Wer bist du wohl, nichtswürdig Ding, daß dunicht gleich den andern vor meinem Glanz dich beugst und ihn bewunderst? Sieh nur umdich! Alle Geräte stehen ehrfurchtsvoll in tiefes Dunkel gehüllt. Mich allein, mich hatdie helle beglückende Sonne zu ihrem Liebling erkoren; sie belebt mich mit ihrem wonnigenFlammenkusse, und ich lohne ihrs, indem ich ihr Licht tausendfach widerstrahle. MächtigenFürsten nur ziemt es, in leuchtendem Gewande daherzuschreiten. Die Sonne kennt meineMacht, darum legt sie mir den königlichen Purpur ihrer Strahlen um die Schultern.«
Lächelnd erwiderte drauf die besonnene Feder:
»Sieh doch, wie eitel undstolz du bist und wie du dich brüstest mit dem erborgten Glanze! Sind wir doch beide -besinne dich - ganz nahe Verwandte. Beide hat uns die sorgende Erde geboren, beide sindwir im Urzustand vielleicht im selben Gebirge neben einander gestanden Jahrtausende lang;bis der Menschen geschäftiger Fleiß die Ader des nützlichen Erzes, deren Bestandteile wirwaren, entdeckte. Beide nahm man uns weg; beide sollten wir, ungefüge Kinder der rauhenNatur noch, über der Hitze der dampfenden Esse, unter des Hammers mächtigen Schlägen zunützlichen Gliedern des irdischen Treibens umgeschaffen werden. Und so auch geschah es.Du wurdest ein Schwert - bekamst eine große und feste Spitze; ich, eine Feder, wurde miteiner dünnen, zierlichen bedacht. Sollen wir wirklich schaffen und wirken, müssen wir unserst die glänzende Spitze benetzen. Du mit dem Blute, ich - nur mit - Tinte!«
»Diese Rede, in gelehrtem Stile gehalten«, fiel nun das Schwert ein, »macht michlachen fürwahr. Ist es doch grade, als wollte die Maus, das kleine nichtige Tierchen,ihre nahe Verwandtschaft mit dem Elefanten beweisen. Die spräche dann so wie du! Dennauch sie hat gleich dem Elefanten vier Beine und hat sich sogar eines Rüssels zu rühmen.So könnte man glauben, sie seien zum wenigsten Vettern! Du hast, liebe Feder, sehr schlauund berechnend jetzt das nur genannt, worin ich dir gleiche. Ich aber will dir erzählen,was uns unterscheidet. Ich, das glänzende, stolze Schwert, werde um die Hüfte geschnalltvon einem kühnen, edlen Ritter; dich aber dich steckt ein altes Schreiberlein hinter seinlanges Eselsohr. Mich erfaßt mein Herr mit kräftiger Hand und trägt mich in die Reihender Feinde; ich führe ihn hindurch. Dich, beste Feder, führt dein Magister mit zitternderHand über vergilbtes Pergament. Ich wüte furchtbar unter den Feinden, springe mutig,tollkühn bald her, bald hin; du kratzest in ewiger Monotonie über dein Pergament hin undwagst dich nicht ein Stückchen aus jenen Bahnen, die dir die führende Hand vorsichtigweist. Und endlich, endlich - geht meine Kraft zu Ende, werde ich alt und schwach, dannehrt man mich, wie es Helden geziemt, stellt mich im Ahnensaale zur Schau und bewundertmich. Was aber geschieht mit dir? Ist dein Herr mit dir unzufrieden, wirst du alt undbeginnst du mit dicken Strichen über das Papier hinzukreuchen, packt er dich, entreißtdich dem Stiele, der dir Stütze war, und wirft dich weg, wenn er nicht Gnade übt und dichmit ein paar deiner Schwestern um wenige Kreuzer einem Trödler verkauft.«
»Dumagst ja in mancher Beziehung«, versetzte die Feder sehr ernst, »so unrecht nicht haben.Daß man mich oft gering schätzt, ist ja wahr, ebenso wie, daß man mich, nachdem ichunbrauchbar geworden bin, sehr übel behandelt. Doch deswegen ist die Macht, die mir zuGebote steht, solange ich arbeiten kann, keine geringe. Es kommt ja nur auf eine Wettean!«
»Du wolltest mir eine Wette anbieten?« lachte das übermütige Schwert.
»Wofern du wagst, dieselbe anzunehmen.«
»Und ob ich sie annehme«,versetzte das Schwert, das sich noch immer nicht vom Lachen erholen konnte. »Was gilt dieWette?«
Die Feder aber setzte sich zurecht, nahm eine strenge Amtsmiene an undbegann:
»Wir wollen wetten, daß ich imstande bin, dich zu hindern, deinerArbeit, dem Kampfe, nachzugehen, wenn ich will!«
»Ho, ho, das klingt ja kühn.«
»Bist du's zufrieden?«
»Ich gehe darauf ein.«
»Nun wohl«,sagte die Feder, »laß uns sehen.«
Es waren wenige Minuten seit dem Abschlussedieser Wette vergangen, als ein junger Mann in reichem Waffenkleide eintrat, das Schwertfaßte und sich dasselbe anlegte. Hierauf betrachtete er wohlgefällig die blanke Klinge.Von draußen erschallte heller Trompetenruf, Trommelwirbel - es ging zur Schlacht. Ebenwollte der junge Mann das Zimmer verlassen, als ein anderer, der eine hohe Stellebekleiden mußte, wie man aus seinem reichen Schmucke ersah, eintrat. Der junge verneigtesich tief vor ihm. Der Würdenträger war indessen an den Tisch getreten, hatte die Federerfaßt und eilends etwas hingeschrieben. »Der Friedensvertrag ist schon unterzeichnet«,sagte er lächelnd. Der Jüngere stellte sein Schwert wieder in die Ecke, und beideverließen das Zimmer.
Auf dem Tische aber lag die Feder. Der Sonnenstrahlspielte mit ihr, und ihr feuchtes Erz glitzerte hell.
»Ziehst du nicht zumKampfe, mein liebes Schwert« fragte sie lächelnd.
Das Schwert aber stand stillin der finsteren Ecke. Ich glaube, es prahlte nie wieder.