Meine Stadt Stadthagen geht den Bach runter. Schon seit vielen Jahren ist dieses Problem bekannt, nur tun will dagegen niemand etwas.
Ich habe heute einen interessanten Leserbrief in unserer Regionalzeitung gesehen:
http://www.sn-online.de/Mehr/Meinung/Leserbriefe/Stadthagen-schafft-sich-Stueck-fuer-Stueck-ab-----
Stadthagen war mal früher eine sehr lebendige Stadt; es gab Arbeit, Geschäfte,... Die Leute waren glücklich. Um die Jahrtausendwende herum gab es reges Teiben in Stadthagen. Kultur, Wirtschaft, alles lief.
Dann kam zunächst die Werksschließung vom Aufzughersteller OTIS in Stadthagen. Das war so ca. 2003. Viele Menschen verloren damals ihre Arbeit. Neue Arbeitsplätze gab es nicht in der Menge, die benötigt würden, um das Defizit auszugleichen. Diejenigen die Arbeiten wollten, zogen weg, andere blieben hingegen. Diese Werksschließung war der erste große Knick. Viele haben gehofft, das es das gewesen ist und die verbliebenen Unternehmen in Stadthagen verbleiben würden.
Dann kam die nächste große Entlassungswelle in Stadthagen 2007. Der Autozulieferer Faurecia hat ein Großteil seiner Produktion ins Ausland verlagert. Viele Menschen, die bei Faurecia gearbeitet haben, haben innerhalb kürzester Zeit ihre Arbeit verloren. An neue Arbeitsplätze in Stadthagen war damals gar nicht zu denken. Es war auch nicht kommunalpolitisch gewollt. Es gab noch kurz vor der Massenentlassungswelle bei Faurecia Pläne eines Schlüsselherstellers, sich in Stadthagen niederzulassen. Es würden hierdurch Arbeitsplätze in mindestens zweistelliger Höhe, evtl. sogar dreistelliger Höhe entstehen. Jedoch hat die Kommunalpolitik Subventionen an den Schlüsselhersteller abgelehnt, in dessen Folge der Schlüsselhersteller in eine andere Region ausgewichen ist. Das dieser Schlüsselhersteller sich dauerhaft in Stadthagen mit einem Werk niederlassen wollte, war den damaligen kommunalpolitischen Entscheidungsträgern herzlich egal.
Nach der Entlassungswelle bei Faurecia war spätestens klar, dass sich der Niedergang Stadthagens jetzt noch beschleunigen wird.
Btw:
Ich habe selbst zwei Bekannte, die bei OTIS und Faurecia in Stadthagen gearbeitet haben. Beide kamen in den 90ern als Einwanderer aus Polen um zu arbeiten. Mein Bekannter, der bei OTIS gearbeitet hat, hatte nach seiner Entlassung dort keine Motivation mehr, eine neue Arbeit zu suchen. Er hat zwar 2005 eine Arbeit in Hannover vorgeschlagen bekommen, allerdings hat er Hartz4 dieser Arbeit vorgezogen. Er selbst war Alleinverdiener und hatte mit seiner Frau noch 2 Kinder. Er war ausgebildeter Schlosser und würde durch die neue Arbeit in Hannover lediglich 100€ mehr in der Tasche haben. Deshalb hat er sich dazu entschieden, lieber von Hartz4 zu leben, als zu arbeiten (und zwar bis heute!). Ende nächsten Jahres geht er in Rente. Grundsicherung wird er dann immer noch bekommen. Da er allerdings zusammen mit seiner Frau zurück nach Polen auswandern wird, kann er sich damit ganz gut arrangieren.
Ein anderer Bekannter hat in den 90ern bei Faurecia angefangen. Er selbst ist auch ausgebildeter Schlosser, hat aber mittlerweile seinen Meister gemacht. Er dachte, bei Faurecia zu arbeiten, ist der Job seines Lebens. Er hat sich Anfang der 2000er Jahre sogar ein Haus in Stadthagen für 100.000€ gekauft (kreditfinanziert). Diese Immobilienpreise waren damals völlig normal. Die Wirtschaft lief ja. Nach der Entlassung bei Faurecia 2007, hat er als Meister wahlweise Jobs in Hannover, Wolfsburg und in Bayern angenommen, alle befristet. In Stadthagen gab es keine (gute) Arbeit für ihn. Mittlerweile hat er einen Job in Minden gefunden. Sein Reihenhaus hat jedoch massiv an Wert verloren. Durch den wirtschaftlichen Niedergang Stadthagens wäre sein Haus heute noch max. 80.000€ wert. Jedoch hat er in den 16 Jahren seit Kauf auch schon einen fast 6-stelligen Betrag in die Renovierung investiert.
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Nachdem auch Faurecia Mitarbeiter entlassen hat, hat die Kommunalregierung endlich über Maßnahmen gedacht, Stadthagen für Unternehmen wieder attraktiv zu machen. Man hat mit dem je zweispurigen Ausbau der Bundesstraße 65 begonnen. Allerdings war das ein extrem kleiner Tropfen auf dem heißen Stein. Die ursprünglichen Pläne waren, von Stadthagen aus bis zum Autobahnzubringer Bad Nenndorf zur A2 die B65 zweispurig auszubauen. Das sind fast 15km. Fertiggestellt wurden bis 2014 aber gerade einmal 1(!) Kilometer. An einen weiteren Ausbau ist erstmal nicht zu denken.
Danach kam es noch zu einem Knick, als die städtische Bierbrauerei geschloßen hat und viele ihre Arbeit verloren haben:
http://www.sn-online.de/Schaumburg/Stadthagen/Stadthagen-Stadt/Brauerei-praktisch-unverkaeuflichDen nächsten Knick bekam Stadthagen dann, als Pläne bekannt wurden, dass städtische Krankenhaus (über 100-jährige Tradition) im Zentrum zu schließen und ein ganz neues in einem Dorf zu bauen. Stadthagen selbst hat 20.000 Einwohner. Man hat das Krankenhaus zum Jahreswechsel 2017/2018 geschloßen und alle Abteilungen in ein neugebautes Krankenhaus nach Vehlen (kleines Dorf, Stadtteil von Obernkirchen), ca. 15 km Richtung Minden entfernt, zu verlegen.
Laut neuesten Meldungen will Faurecia seine gesamte Niederlassung in Stadthagen schließen (zur Zeit ist noch die Forschungs- und Entwicklungsabteilung dort) und nach Hannover umziehen.
http://www.sn-online.de/Schaumburg/Stadthagen/Stadthagen-Stadt/Betriebsrat-geschocktAuch der Filteranlagenhersteller Lühr Filter denkt über größere Entlassungen nach
http://www.szlz.de/startseite_artikel,-irritationen-bei-luehrfilter-_arid,2436176.htmlDann würden fast alle größeren Betriebe Stadthagen verlassen.
Die zuletzt bekannte Maßnahme, Stadthagen wirtschaftlich zu zerstören ist es, den Jahrmarkt (Krammarkt), der zweimal im Jahr stattfindet, massiv auszudünnen (Link oben).
Ich persönlich bin in Stadthagen geboren und wohne seit 2010 ununterbrochen dort. Ich sehe den Niedergang selbst mit eigenen Augen. In der Innenstadt hat gefühlt fast jedes zweite Geschäft geschloßen und es gibt Leerstand; überall nur "zu vermieten". Viele Straßenzüge sind davon betroffen. Arbeit gibt es für mich auch keine. Zuletzt habe ich nach Hannover gependelt, lange Zeit habe ich in Barsinghausen gearbeitet; in Stadthagen selbst noch nie. Ich selbst plane meinen Umzug nach Hannover. In Stadthagen gibt es keine Zukunft für mich (es sei denn in sehr schlecht bezahlten Jobs oder auf Hartz4). Ich wohne dort zur Zeit nur aus familiären Gründen.
Ich bin über die Entwicklung Stadthagens sehr enttäuscht. Das letzte was sich unsere Kommunalpolitik überlegt hat ist, Stadthagen eigentlich nur noch für Rentner attraktiv zu machen. Junge Familien werden diesen Ort dann nochmehr meiden. Schon jetzt würde eine Disco bspw. wohl keine Genehmigung in der Innenstadt bekommen, obwohl es genug Leerstand gibt. Es gibt aber auch viele Altenheime dort. Zuletzt haben sich dort sehr viele Spielhallten und Wettbüros dort niedergelassen.