Ich weiß nicht, ob es den schon gab. Aber ein interessanter Artikel zum Thema Resozialisierung im Betreff des Genfer Falles.
http://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/resozialisierung-im-strafvollzug-ist-nur-ein-schlagwort-127179686Nach dem Tötungsdelikt an einer Sozialtherapeutin in Genf bekräftigt die Gefangenenorganisation Reform 91 ihre Forderung nach einheitlichen Regeln im Strafvollzug. In ihrer Resolution zu Handen des EJPD kritisiert sie die notwendige Resozialisierung als ineffizient.
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Reform 91 fordert kontrollierbare Regeln, die einheitlich gelten sollen und periodisch zu überprüfen sind. Die Regeln seien zudem kriminalwissenschaftlich zu begleiten, was heute nicht geschehe.
"Resozialisierung ist in der Praxis deshalb im wesentlichen ein Schlagwort ohne kontrollierbare Ergebnisse", schreibt die Organisation am Montag in ihrer Eingabe an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD).
Auch warnt Reform 91 vor einer "Verpsychologisierung" des Strafrechts und des Straf- und Massnahmenvollzugs. Diese schaffe eine scheinbare Sicherheit und entlasse die Justiz und die Anstalt aus ihrer Verantwortung. "Das ist fatal und führt programmiert zu Vorfällen wie in Genf."
Statt "Schein und Schönrednerei" fordert Reform 91 mehr Effizienz und evaluierbare Ergebnisse "für die Sicherheit der Gesellschaft und echte Resozialisierungschancen für die Insassen".
Die Gefangenenorganisation, die sich als Selbsthilfegruppe für Strafgefangene und Randständige versteht, ist seit dem Ausbruch eines Mörders und Vergewaltigers vor zwei Jahren in Neuenburg immer wieder mit ähnlich lautenden Forderungen an die Öffentlichkeit gelangt. Im März 2012 lehnte der Nationalrat eine Petition mit der Forderungen einem eidgenössischen Strafvollzugsgesetz ab.
Derzeit ist in der Schweiz der Strafvollzug in der Kompetenz der Kantone. Diese haben sich in die drei Strafvollzugskonkordate lateinische Schweiz, Nordwest- und Innerschweiz sowie Ostschweiz zusammengeschlossen. Der Fall Genf hat die Diskussion für eine Vereinheitlichung der Regeln neu angefacht.
(sda)
Und der da.
http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/neuer-rueckschlag-fuer-das-prinzip-resozialisierung-1.18150101# (Archiv-Version vom 15.09.2013)Eine Genfer Therapeutin, die am Donnerstag einen seit 12 Jahren einsitzenden Sexualtäter zu einer Reithalle begleitete und nicht mehr zurückkehrte, ist am Freitag tot aufgefunden worden. Die Frau soll den Häftling beim Ausgang allein begleitet haben.
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Christophe Büchi, Genf
Nach dem Waadtländer «Fall Marie» ist es auch in Genf zu einem Drama gekommen, bei dem wahrscheinlich ein inhaftierter Sexualtäter, der auf seine Entlassung vorbereitet wurde und das Gefängnis zeitweise verlassen durfte, eine Frau umgebracht hat. Beim Opfer handelt es sich um die 34-jährige Sozialtherapeutin und Kriminologin Adeline M., Mutter einer 8 Monate alten Tochter und – wie es heisst – eine erfahrene Fachfrau. Beim mutmasslichen Täter handelt es sich um den schweizerisch-französischen Doppelbürger Fabrice A.
Fahrt zur Reithalle
Was man am Freitagabend nach einer Medienkonferenz der Genfer Regierung weiss, lässt sich folgendermassen zusammenfassen: Am Donnerstagmorgen verliess der Häftling, der wegen Vergewaltigung zweimal – zu 5 plus 15 Jahren Haft – verurteilt wurde, in Begleitung der Sozialtherapeutin das Zentrum La Pâquerette, eine therapeutische Abteilung, die zum Genfer Gefängnis Champ-Dollon gehört. Ziel des Ausgangs war ein Reitzentrum in Bellevue, wo der Häftling ein Resozialisierungsprogramm absolviert.
Der Häftling, der mit einer bedingten Entlassung im Jahr 2015 rechnen konnte, kehrte nicht mehr zurück, wie auch die Sozialtherapeutin, die am Donnerstagabend als vermisst gemeldet worden war. Laut nicht bestätigten Meldungen wurde der Mann und seine Begleiterin, die mit einem Citroën unterwegs waren, in Carouge gesehen; sie sollen dort ein Messer gekauft haben, das für das Reinigen von Pferdehufen gebraucht wird. Am Freitag wurde der Leichnam der Frau in einem Wald in Bellevue gefunden. Der mutmassliche Täter war zu Beginn des Freitagabends nicht auffindbar. Es hiess, er könnte sich im Raum Basel befinden. Dort wurde das Mobiltelefon der Frau gefunden.
An der Medienkonferenz von Freitagnachmittag stand natürlich die Frage im Vordergrund, wie ein als gefährlich eingestufter Sexualdelinquent offenbar allein in Begleitung einer 34-jährigen Therapeutin in den Ausgang gehen durfte. Wie aus (nicht immer übereinstimmenden) Aussagen von Regierungsräten und Vertretern der Justiz und des Strafvollzugs hervorgeht, ist dies nicht ungewöhnlich. Der Häftling hatte Anfang September einen ersten Ausgang bekommen, und sein Verhalten wurde damals als zufriedenstellend eingestuft. Eine polizeiliche Begleitung scheint jedenfalls in solchen Fällen nicht vorgesehen zu sein. Aber wahrscheinlich wird man erst in den nächsten Tagen in der Frage klarer sehen, ob alle Abläufe respektiert wurden.
Eine andere heikle Frage ist, weshalb der Alarm recht spät ausgelöst wurde. Der Häftling hätte am Donnerstagmittag in La Pâquerette zurückkehren müssen; offenbar wurde aber der Alarm von der Polizei erst am späteren Donnerstagnachmittag ausgelöst. Am Freitagabend begann auch schon die politische Nachbehandlung des Falls. Als erste Massnahme entschied der Vorsteher des Genfer Polizei- und Justizdepartements, FDP-Staatsrat Pierre Maudet, dass alle Ausgänge in den Genfer Gefängnissen einstweilen suspendiert werden. Weitere Massnahmen scheinen nicht geplant, solange der genaue Hergang nicht bekannt ist.
Politische Nachbeben
Dennoch löste der Fall natürlich schon am Freitag heftige Diskussionen und Polemiken aus. Vor allem aus dem Umfeld der SVP Genf und des MCG (Mouvement citoyens genevois) wurde das Drama als ein neuer Beweis für die Verirrungen des Kuschelstrafvollzugs gewertet. In einem Communiqué übte die FDP Genf harte Kritik an dieser «Ausschlachtung» eines tragischen Falls. Die Versuchung, den Fall zur Stützung der eigenen Thesen zu verwenden, ist umso grösser, als in Genf hart umkämpfte Kantonalwahlen anstehen.
Verteidiger des Prinzips Resozialisierung warnen dagegen vor voreiligen Schlussfolgerungen. Der frühere Präsident der Anwaltskammer Vincent Skira verteidigt die im Zentrum La Pâquerette geleistete Pionierarbeit und verweist darauf, dass in 25 Jahren nur in seltenen Fällen schlechte Erfahrungen gemacht worden seien. Früher oder später müsse ein Häftling entlassen werden. Und die Gefahr einer Rückfälligkeit lasse sich nie zu 100 Prozent ausschalten. So tragisch der Fall Adeline M. sei, er hoffe, dass in La Pâquerette auch weiterhin Resozialisierungsarbeit geleistet werde. Trotzdem sind aber auch in Genf und in der Romandie immer mehr Stimmen zu hören, die den Strafvollzug verschärfen und beispielsweise die vorzeitige Entlassung infrage stellen wollen.