Orion-Projekt
13.05.2004 um 10:19Ich hab hier einen wirklich äusserst interessanten Artikel über das Orion-Projekt gefunden. Es lohnt sich wirklich diesen zu lesen.
Der Schock traf die USA ins Mark. Anfang Oktober 1957 schossen die Russen mit "Sputnik I" den weltweit ersten Satelliten ins All. "Sputnik II" folgte Anfang November - mit Hündin Laika an Bord. "Die Amerikaner bauen die besseren Auto-Heckflossen", höhnte ein Sowjetwissenschaftler in Anspielung auf damalige Chevrolets, "aber wir bauen die besseren Raketen." US-Politiker reagierten verwirrt. "Nutzten die Sowjets für die Sputnik-Starts Atomenergie?", fragten aufgeregte Kongress-Abgeordnete bei einer Anhörung. "Und könnte es sein, dass derjenige, der den Weltraum kontrolliert, auch die Welt beherrscht?"
Um den Anschluss - zivil wie militärisch - nicht zu verpassen, gründete die US-Regierung im Januar 1958 die Advanced Research Projects Agency (ARPA, später in DARPA umbenannt, mit D für "Defense", Verteidigung). Sie hatte die Aufgabe, Raumfahrtpläne zu koordinieren und neue Vorhaben zu fördern - wie abstrus diese auch erscheinen mochten.
Bald hatten die Forscher kühne Ideen ersonnen, darunter das "Projekt Orion": ein gigantisches, 4000 Tonnen schweres Raumschiff, das von Hunderten in schneller Folge explodierender Atombomben ins All getrieben werden sollte. "Mars bis 1965, Saturn bis 1970", lauteten die Ziele des Orion-Teams.
Nuklearenergie galt als entscheidender Trumpf - und die Amerikaner lagen auf diesem Gebiet weit vorn: Mitte Juli 1945 war es einem Physiker-Team um Robert Oppenheimer - Leiter des "Manhattan-Projekts" der Los Alamos National Laboratories in New Mexico - erstmals gelungen, eine Atombombe zu zünden. Bereits drei Wochen nach dem "Trinity-Test" lösten "Little Boy" und "Fat Man" in den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki ein nukleares Inferno aus; über 100.000 Menschen starben sofort. Der Kriegsgegner Japan kapitulierte daraufhin.
Der Sieg versetzte Amerika in einen Atomrausch. Alles Nukleare galt als großartig. Von 1955 an kreuzten die ersten "Nautilus"-Atom-U-Boote in den Meeren. Atomgetriebene Flugzeuge und Raketen schienen nur eine Frage der Zeit. So wirkte auch das Orion-Projekt weit weniger absurd, als es heute anmutet
Kurz nach dem Trinity-Test kam Stanislav Ulam, ein Mitarbeiter Oppenheimers im "Manhattan"-Team, auf die Idee, mit der enormen Energie von Atomexplosionen Raumschiffe anzutreiben. Ihm schwebte ein Flugkörper vor, der Atombomben abwirft und in geringem Abstand hinter sich zündet. Zahlreiche Detonationen kurz nacheinander sollten das Gefährt auf ein Vielfaches der Erdanziehung beschleunigen und ins All katapultieren. Diese Art eines Nuklearantriebs - der zur Grundlage des Orion-Projekts werden sollte - ließ sich Ulam patentieren.
Die ersten Schritte zur Umsetzung unternahm Frederick de Hoffmann. Der österreichische Physiker war ein begnadeter Programmierer und stieg im "Manhattan"-Projekt zur rechten Hand Edward Tellers auf, einem der "Väter" der im November 1952 gezündeten ersten Wasserstoff-Bombe "Ivy Mike". Teller empfahl de Hoffmann, als die Rüstungsfirma "General Dynamics" einen Projektleiter für das neue Geschäftsfeld Nuklearenergie suchte. 1955 wurde der Ableger "General Atomic" in San Diego gegründet. Drei Jahre später hatte de Hoffmann die Firma in einen Forschungspark für Physiker verwandelt, die dort, ähnlich wie in Los Alamos, ihre Ideen ungehindert umsetzen konnten. Unter ihnen waren etliche Nobelpreisträger.
Ted Taylors größter Coup war das von ihm als Unterabteilung von General Atomic und auf dessen Campus gegründete Projekt Orion. Bereits 1956 stellte er die ersten Wissenschaftler für sein Team ein. Anfang 1958 - nach dem Sputnik-Schock - warb General Atomic für das atomgetriebene Raumschiff. Die Orion-Akten beschäftigten die ARPA, das Pentagon und die Rüstungsindustrie - und stießen auf Zurückhaltung: Wer Orion für verrückt hielt, wagte nicht nein zu sagen, Befürworter zögerten mit der Zustimmung. Politiker und Air-Force-Generäle trieb nur die Sorge: "Wenn wir es nicht machen - kommen uns die Russen vielleicht wieder zuvor?"
Taylor wurde 1925 als Sohn amerikanischer Eltern in Mexiko-Stadt geboren. Schon als Kind hatte er eine Vorliebe für explosive Einfälle; eine selbstgebastelte Bombe legte er auf die Schienen der Straßenbahn - zum Glück wurde niemand verletzt. Nach einem Physikstudium in Kalifornien ging er 1949 nach Los Alamos.
In den Labors herrschte noch immer ein unbürokratisches Klima, wie in den Kriegsjahren. Statt umständlich Anträge zu stellen, kritzelten Forscher ihre Formeln mitunter auf die Rückseite von Briefumschlägen - und konnten ihre Bomben schon sechs Monate später auf dem Testgelände hochgehen sehen. Taylor gab sich dabei betont cool: 1952 zündete er sich bei einem Atomtest in Nevada eine Zigarette an, indem er das gleißende Licht des nuklearen Feuers mit einem Parabolspiegel fokussierte. Anderthalb Minuten später zerbrach die Druckwelle der Explosion mehrere Martini-Gläser in dem 20 Kilometer entfernten Unterstand.
Besonders faszinierten Taylor kleinere Atombomben mit einer Sprengkraft von annähernd einer Kilotonne - nur etwa ein Zwanzigstel so stark wie jene von Nagasaki. "Es war wie eine Sucht. Ich wollte wissen, wo die untere Grenze ist", sagte er später. Genau solche Bomben brauchte Orion. Denn sie sollten das Schiff nur antreiben, nicht zerstören. Das Projekt bot Taylor die lang ersehnte Chance, Mini-Bomben zu entwickeln. Sein wichtigster Mitarbeiter wurde Freeman Dyson, der als theoretischer Physiker Ordnung in Taylors experimentelles Chaos brachte.
Dyson, ein hagerer, 1923 geborener Engländer, verschlang als Kind Jules Vernes Buch "Von der Erde zum Mond", das von Astronauten erzählt, die mit einer Rakete zum Erdtrabanten geschossen werden. Im Zweiten Weltkrieg lernte er die Projektile des deutschen Raketenbauers Wernher von Braun kennen, als dessen V2 über den Ärmelkanal flogen und in England einschlugen. Als er zum Orion-Team stieß, halfen seine Kenntnisse, die Machbarkeit des Konzepts zumindest rechnerisch zu beweisen.
Nun horchten auch die Skeptiker auf: Taylor konnte Bomben bauen und Dyson ihre Wirkung berechnen. Dyson hatte keine Zweifel, dass Orion "funktioniert und uns den Himmel erschließt. Das Problem ist nur, dass man überzeugt sein muss, auf einer Bombe sitzen zu können, ohne dabei gebraten zu werden."
Experimente des Air-Force-Physikers Lew Allen ließen das Orion-Team hoffen. Bei einem Atombomben-Test hängte er mit Graphit beschichtete Stahlkugeln an den Bombenturm. Sie befanden sich bei der Explosion inmitten des 150.000 Grad Celsius heißen Feuerballs. Die Kugeln flogen nicht nur überraschend weit weg - was das Antriebsprinzip von Orion bestätigte -, sondern blieben dank der Graphitschicht auch nahezu unversehrt. Allens Versuche überzeugten Kritiker, "dass die Idee, ein Raumschiff mit Atomexplosionen anzutreiben, nicht absurd war", berichtet Dyson.
Nun nahm Orion immer klarere Gestalt an. Äußerlich erinnerten einige Entwürfe des 4000 Tonnen schweren Raumkreuzers an eine dicke, etwa 60 Meter hohe Kirchenkuppel. Am Heck war eine massive, zehn Zentimeter starke Stahlplatte vorgesehen. Das tausend Tonnen schwere Monstrum sollte die Besatzung vor Strahlung schützen und als Schubplatte die Stöße der Atomexplosionen an das Schiff weiterleiten. Dabei bewegte sich die Platte wie ein "atomarer Vorschlaghammer": Ein zweistufiger Schockabsorber zwischen Schubplatte und Rumpf sollte die extreme Beschleunigung auf ein erträgliches Maß mindern.
Die 2600 Atombomben an Bord reichten nach den Berechnungen für eine zwei- bis dreijährige Reise über den Jupiter bis zum Saturn und zurück. Diese erste Mission würde, so Taylor, "zum Spektakulärsten zählen, was Menschen je gesehen haben". Dabei sollte das Gefährt bis zu vier Atombomben pro Sekunde abfeuern - rund 350 allein bis zum Erreichen der Erdumlaufbahn.
Am 14. November 1959 erwies ein Test auf dem Versuchsgelände bei San Diego die prinzipielle Machbarkeit. Den Forschern gelang es, ein 120 Kilo leichtes Fiberglas-Modell von Orion mit fünf konventionellen Sprengladungen 56 Meter hoch in die Luft zu schießen - freilich erst nach etlichen Fehlversuchen. Waren die Ladungen zu schwach, blieb das Modell am Boden; waren sie zu stark, wurde es in Stücke gerissen.
Ein Zeitlupenfilm des erfolgreichen Modellflugs überzeugte nicht nur skeptische Förderer, sondern auch Wernher von Braun, der mittlerweile für die Nasa im Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama, konventionelle Raketen baute. Von Braun wurde ein engagierter Fürsprecher des Orion-Projekts, denn ihm war klar, dass die bemannte Raumfahrt mit chemischem Treibstoff nicht weit über den Mond hinauskommen würde.
Für Taylor und Dyson war der Erfolg von Orion eine ausgemachte Sache. Sehnsüchtig schauten sie durch ein Teleskop in Taylors Haus auf Jupiter und Saturn - und stießen mit einer Flasche Cognac an. Beide wollten beim Jungfernflug dabei sein, und Taylor erwog sogar, eines seiner vier Kinder mitzunehmen. Platz auf Orion sollte es reichlich geben - für bis zu 50 Personen. Größere Versionen, fabulierte Dyson, könnten eines Tages sogar "Kolonien von einigen tausend Menschen mit allen Annehmlichkeiten moderner Zivilisation zu Alpha Centauri bringen".
Offizielles Reiseziel aber war zunächst der Mars. Der Erdenmond sollte gleich auf einem Weg mitbesucht werden, um dort die amerikanische Flagge aufzurichten. Zur Landung hätte das Schiff, mit dem Heck voranfliegend, eine Reihe von zusätzlichen Atomschüssen abfeuern müssen, um "Gegenschub" zu erzeugen. Ähnlich energieintensiv wäre das Verlassen des Schwerefelds geworden. Um Bomben zu sparen, liebäugelte einer der Forscher daher mit dem winzigen Mars-Mond Phobos: Der hat mit nur etwa 26 Kilometern Durchmesser ein so schwaches Schwerefeld, dass ein Astronaut von der Oberfläche fast ins All springen könnte.
Doch je mehr sich das Orion-Team mit den Details befasste, desto deutlicher wurden die Probleme. So hätte sich das Raumschiff praktisch nur in der Schwerelosigkeit vernünftig testen lassen, etwa unter anderem wegen des komplizierten Zusammenspiels aus Bombenzündungen, Schubplatten- und Schockabsorber-Schwingungen.
Als unerwartet kompliziert erwies es sich auch, die 850 Kilo schweren Bomben vom Schiff aus in ihre Zündposition rund 60 Meter hinter der Schubplatte zu befördern: Sie sollten entweder aus seitlich neben der Platte angeordneten Rohren dorthin geschossen werden - mechanisch eine große Herausforderung - oder durch ein Loch in der Mitte der Schubplatte.
Dieses Loch aber müsste vor jeder Explosion mit einer Klappe verschlossen werden - bis zu viermal pro Sekunde. Ob dies bei Tausenden Zündungen zuverlässig funktioniert hätte, war zweifelhaft. Als sicher galt hingegen, so Dyson: "Wenn die Klappe plötzlich klemmt oder eine Ladung stecken bleibt, bist du geliefert." Zudem war fraglich, ob die Oberfläche der Schubplatte dem über 120.000 Grad heißen Plasma auf Dauer standhalten würde.
Zunehmende Sorgen bereitete auch der radioaktive Fallout. Die exzessiven Atomversuche der 1950er Jahre hatten Strontium-90-Spuren in Kinderknochen und in der Muttermilch hinterlassen. Die USA und die Sowjetunion vereinbarten ein Testmoratorium von 1958 bis 1961, gefolgt vom Atomteststoppabkommen von 1963.
Eine Orion-Mission zum Mars würde, wie Dyson errechnete, so viel Radioaktivität in der Atmosphäre hinterlassen, dass - statistisch - zehn Menschen daran stürben. Und selbst ein Teil der weit im All freigesetzten Spaltprodukte würde aufgrund ihrer elektrischen Ladung vom Magnetfeld der Erde eingefangen und in die Lufthülle gelangen.
Für das endgültige Aus sorgte schließlich die Politik. "Orion gelang es auf einzigartige Weise, die vier einflussreichsten Bereiche des Washingtoner Establishments gegen sich aufzubringen", erklärte Dyson 1965. Das Verteidigungsministerium war verärgert, weil Atombomben für nicht-militärische Zwecke abgezogen wurden. Die Nasa-Leitung, mit Ausnahme Wernher von Brauns, betrachtete Orion als überteuerte und unsichere Konkurrenz für die eigene Mars-Mission. Atomtest-Gegner sahen in Orion eine Fortsetzung des Rüstungswettlaufs.
Und Wissenschaftler lehnten das Projekt ab, weil es - wegen der Bomben - eine derart große Geheimniskrämerei erforderte, dass der Forschung ein offener Zugang zu den Resultaten verbaut würde. Wegen dieser Probleme fanden sich für Orion am Ende keine Förderer mehr. Im Januar 1964 beschlossen Nasa, Air Force und General Atomic bei einem Treffen in Huntsville, das Projekt zu beerdigen.
Bombenbauer Taylor wechselte 1966 vom Pentagon zur Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nach Wien - und wandelte sich zum erklärten Gegner jeglicher Atomwaffen. Heute lebt Taylor als Rentner im US-Staat New York. Nachts, berichtete er, träume er immer mal wieder von neuartigen Atombomben: "Kürzlich wachte ich um zwei Uhr auf und machte mir Notizen bis um sechs. Sie sind immer noch sinnvoll. Aber ich sehe keinen Grund mehr, sie öffentlich zu machen. Am liebsten würde ich alles vergessen."
Der Schock traf die USA ins Mark. Anfang Oktober 1957 schossen die Russen mit "Sputnik I" den weltweit ersten Satelliten ins All. "Sputnik II" folgte Anfang November - mit Hündin Laika an Bord. "Die Amerikaner bauen die besseren Auto-Heckflossen", höhnte ein Sowjetwissenschaftler in Anspielung auf damalige Chevrolets, "aber wir bauen die besseren Raketen." US-Politiker reagierten verwirrt. "Nutzten die Sowjets für die Sputnik-Starts Atomenergie?", fragten aufgeregte Kongress-Abgeordnete bei einer Anhörung. "Und könnte es sein, dass derjenige, der den Weltraum kontrolliert, auch die Welt beherrscht?"
Um den Anschluss - zivil wie militärisch - nicht zu verpassen, gründete die US-Regierung im Januar 1958 die Advanced Research Projects Agency (ARPA, später in DARPA umbenannt, mit D für "Defense", Verteidigung). Sie hatte die Aufgabe, Raumfahrtpläne zu koordinieren und neue Vorhaben zu fördern - wie abstrus diese auch erscheinen mochten.
Bald hatten die Forscher kühne Ideen ersonnen, darunter das "Projekt Orion": ein gigantisches, 4000 Tonnen schweres Raumschiff, das von Hunderten in schneller Folge explodierender Atombomben ins All getrieben werden sollte. "Mars bis 1965, Saturn bis 1970", lauteten die Ziele des Orion-Teams.
Nuklearenergie galt als entscheidender Trumpf - und die Amerikaner lagen auf diesem Gebiet weit vorn: Mitte Juli 1945 war es einem Physiker-Team um Robert Oppenheimer - Leiter des "Manhattan-Projekts" der Los Alamos National Laboratories in New Mexico - erstmals gelungen, eine Atombombe zu zünden. Bereits drei Wochen nach dem "Trinity-Test" lösten "Little Boy" und "Fat Man" in den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki ein nukleares Inferno aus; über 100.000 Menschen starben sofort. Der Kriegsgegner Japan kapitulierte daraufhin.
Der Sieg versetzte Amerika in einen Atomrausch. Alles Nukleare galt als großartig. Von 1955 an kreuzten die ersten "Nautilus"-Atom-U-Boote in den Meeren. Atomgetriebene Flugzeuge und Raketen schienen nur eine Frage der Zeit. So wirkte auch das Orion-Projekt weit weniger absurd, als es heute anmutet
Kurz nach dem Trinity-Test kam Stanislav Ulam, ein Mitarbeiter Oppenheimers im "Manhattan"-Team, auf die Idee, mit der enormen Energie von Atomexplosionen Raumschiffe anzutreiben. Ihm schwebte ein Flugkörper vor, der Atombomben abwirft und in geringem Abstand hinter sich zündet. Zahlreiche Detonationen kurz nacheinander sollten das Gefährt auf ein Vielfaches der Erdanziehung beschleunigen und ins All katapultieren. Diese Art eines Nuklearantriebs - der zur Grundlage des Orion-Projekts werden sollte - ließ sich Ulam patentieren.
Die ersten Schritte zur Umsetzung unternahm Frederick de Hoffmann. Der österreichische Physiker war ein begnadeter Programmierer und stieg im "Manhattan"-Projekt zur rechten Hand Edward Tellers auf, einem der "Väter" der im November 1952 gezündeten ersten Wasserstoff-Bombe "Ivy Mike". Teller empfahl de Hoffmann, als die Rüstungsfirma "General Dynamics" einen Projektleiter für das neue Geschäftsfeld Nuklearenergie suchte. 1955 wurde der Ableger "General Atomic" in San Diego gegründet. Drei Jahre später hatte de Hoffmann die Firma in einen Forschungspark für Physiker verwandelt, die dort, ähnlich wie in Los Alamos, ihre Ideen ungehindert umsetzen konnten. Unter ihnen waren etliche Nobelpreisträger.
Ted Taylors größter Coup war das von ihm als Unterabteilung von General Atomic und auf dessen Campus gegründete Projekt Orion. Bereits 1956 stellte er die ersten Wissenschaftler für sein Team ein. Anfang 1958 - nach dem Sputnik-Schock - warb General Atomic für das atomgetriebene Raumschiff. Die Orion-Akten beschäftigten die ARPA, das Pentagon und die Rüstungsindustrie - und stießen auf Zurückhaltung: Wer Orion für verrückt hielt, wagte nicht nein zu sagen, Befürworter zögerten mit der Zustimmung. Politiker und Air-Force-Generäle trieb nur die Sorge: "Wenn wir es nicht machen - kommen uns die Russen vielleicht wieder zuvor?"
Taylor wurde 1925 als Sohn amerikanischer Eltern in Mexiko-Stadt geboren. Schon als Kind hatte er eine Vorliebe für explosive Einfälle; eine selbstgebastelte Bombe legte er auf die Schienen der Straßenbahn - zum Glück wurde niemand verletzt. Nach einem Physikstudium in Kalifornien ging er 1949 nach Los Alamos.
In den Labors herrschte noch immer ein unbürokratisches Klima, wie in den Kriegsjahren. Statt umständlich Anträge zu stellen, kritzelten Forscher ihre Formeln mitunter auf die Rückseite von Briefumschlägen - und konnten ihre Bomben schon sechs Monate später auf dem Testgelände hochgehen sehen. Taylor gab sich dabei betont cool: 1952 zündete er sich bei einem Atomtest in Nevada eine Zigarette an, indem er das gleißende Licht des nuklearen Feuers mit einem Parabolspiegel fokussierte. Anderthalb Minuten später zerbrach die Druckwelle der Explosion mehrere Martini-Gläser in dem 20 Kilometer entfernten Unterstand.
Besonders faszinierten Taylor kleinere Atombomben mit einer Sprengkraft von annähernd einer Kilotonne - nur etwa ein Zwanzigstel so stark wie jene von Nagasaki. "Es war wie eine Sucht. Ich wollte wissen, wo die untere Grenze ist", sagte er später. Genau solche Bomben brauchte Orion. Denn sie sollten das Schiff nur antreiben, nicht zerstören. Das Projekt bot Taylor die lang ersehnte Chance, Mini-Bomben zu entwickeln. Sein wichtigster Mitarbeiter wurde Freeman Dyson, der als theoretischer Physiker Ordnung in Taylors experimentelles Chaos brachte.
Dyson, ein hagerer, 1923 geborener Engländer, verschlang als Kind Jules Vernes Buch "Von der Erde zum Mond", das von Astronauten erzählt, die mit einer Rakete zum Erdtrabanten geschossen werden. Im Zweiten Weltkrieg lernte er die Projektile des deutschen Raketenbauers Wernher von Braun kennen, als dessen V2 über den Ärmelkanal flogen und in England einschlugen. Als er zum Orion-Team stieß, halfen seine Kenntnisse, die Machbarkeit des Konzepts zumindest rechnerisch zu beweisen.
Nun horchten auch die Skeptiker auf: Taylor konnte Bomben bauen und Dyson ihre Wirkung berechnen. Dyson hatte keine Zweifel, dass Orion "funktioniert und uns den Himmel erschließt. Das Problem ist nur, dass man überzeugt sein muss, auf einer Bombe sitzen zu können, ohne dabei gebraten zu werden."
Experimente des Air-Force-Physikers Lew Allen ließen das Orion-Team hoffen. Bei einem Atombomben-Test hängte er mit Graphit beschichtete Stahlkugeln an den Bombenturm. Sie befanden sich bei der Explosion inmitten des 150.000 Grad Celsius heißen Feuerballs. Die Kugeln flogen nicht nur überraschend weit weg - was das Antriebsprinzip von Orion bestätigte -, sondern blieben dank der Graphitschicht auch nahezu unversehrt. Allens Versuche überzeugten Kritiker, "dass die Idee, ein Raumschiff mit Atomexplosionen anzutreiben, nicht absurd war", berichtet Dyson.
Nun nahm Orion immer klarere Gestalt an. Äußerlich erinnerten einige Entwürfe des 4000 Tonnen schweren Raumkreuzers an eine dicke, etwa 60 Meter hohe Kirchenkuppel. Am Heck war eine massive, zehn Zentimeter starke Stahlplatte vorgesehen. Das tausend Tonnen schwere Monstrum sollte die Besatzung vor Strahlung schützen und als Schubplatte die Stöße der Atomexplosionen an das Schiff weiterleiten. Dabei bewegte sich die Platte wie ein "atomarer Vorschlaghammer": Ein zweistufiger Schockabsorber zwischen Schubplatte und Rumpf sollte die extreme Beschleunigung auf ein erträgliches Maß mindern.
Die 2600 Atombomben an Bord reichten nach den Berechnungen für eine zwei- bis dreijährige Reise über den Jupiter bis zum Saturn und zurück. Diese erste Mission würde, so Taylor, "zum Spektakulärsten zählen, was Menschen je gesehen haben". Dabei sollte das Gefährt bis zu vier Atombomben pro Sekunde abfeuern - rund 350 allein bis zum Erreichen der Erdumlaufbahn.
Am 14. November 1959 erwies ein Test auf dem Versuchsgelände bei San Diego die prinzipielle Machbarkeit. Den Forschern gelang es, ein 120 Kilo leichtes Fiberglas-Modell von Orion mit fünf konventionellen Sprengladungen 56 Meter hoch in die Luft zu schießen - freilich erst nach etlichen Fehlversuchen. Waren die Ladungen zu schwach, blieb das Modell am Boden; waren sie zu stark, wurde es in Stücke gerissen.
Ein Zeitlupenfilm des erfolgreichen Modellflugs überzeugte nicht nur skeptische Förderer, sondern auch Wernher von Braun, der mittlerweile für die Nasa im Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama, konventionelle Raketen baute. Von Braun wurde ein engagierter Fürsprecher des Orion-Projekts, denn ihm war klar, dass die bemannte Raumfahrt mit chemischem Treibstoff nicht weit über den Mond hinauskommen würde.
Für Taylor und Dyson war der Erfolg von Orion eine ausgemachte Sache. Sehnsüchtig schauten sie durch ein Teleskop in Taylors Haus auf Jupiter und Saturn - und stießen mit einer Flasche Cognac an. Beide wollten beim Jungfernflug dabei sein, und Taylor erwog sogar, eines seiner vier Kinder mitzunehmen. Platz auf Orion sollte es reichlich geben - für bis zu 50 Personen. Größere Versionen, fabulierte Dyson, könnten eines Tages sogar "Kolonien von einigen tausend Menschen mit allen Annehmlichkeiten moderner Zivilisation zu Alpha Centauri bringen".
Offizielles Reiseziel aber war zunächst der Mars. Der Erdenmond sollte gleich auf einem Weg mitbesucht werden, um dort die amerikanische Flagge aufzurichten. Zur Landung hätte das Schiff, mit dem Heck voranfliegend, eine Reihe von zusätzlichen Atomschüssen abfeuern müssen, um "Gegenschub" zu erzeugen. Ähnlich energieintensiv wäre das Verlassen des Schwerefelds geworden. Um Bomben zu sparen, liebäugelte einer der Forscher daher mit dem winzigen Mars-Mond Phobos: Der hat mit nur etwa 26 Kilometern Durchmesser ein so schwaches Schwerefeld, dass ein Astronaut von der Oberfläche fast ins All springen könnte.
Doch je mehr sich das Orion-Team mit den Details befasste, desto deutlicher wurden die Probleme. So hätte sich das Raumschiff praktisch nur in der Schwerelosigkeit vernünftig testen lassen, etwa unter anderem wegen des komplizierten Zusammenspiels aus Bombenzündungen, Schubplatten- und Schockabsorber-Schwingungen.
Als unerwartet kompliziert erwies es sich auch, die 850 Kilo schweren Bomben vom Schiff aus in ihre Zündposition rund 60 Meter hinter der Schubplatte zu befördern: Sie sollten entweder aus seitlich neben der Platte angeordneten Rohren dorthin geschossen werden - mechanisch eine große Herausforderung - oder durch ein Loch in der Mitte der Schubplatte.
Dieses Loch aber müsste vor jeder Explosion mit einer Klappe verschlossen werden - bis zu viermal pro Sekunde. Ob dies bei Tausenden Zündungen zuverlässig funktioniert hätte, war zweifelhaft. Als sicher galt hingegen, so Dyson: "Wenn die Klappe plötzlich klemmt oder eine Ladung stecken bleibt, bist du geliefert." Zudem war fraglich, ob die Oberfläche der Schubplatte dem über 120.000 Grad heißen Plasma auf Dauer standhalten würde.
Zunehmende Sorgen bereitete auch der radioaktive Fallout. Die exzessiven Atomversuche der 1950er Jahre hatten Strontium-90-Spuren in Kinderknochen und in der Muttermilch hinterlassen. Die USA und die Sowjetunion vereinbarten ein Testmoratorium von 1958 bis 1961, gefolgt vom Atomteststoppabkommen von 1963.
Eine Orion-Mission zum Mars würde, wie Dyson errechnete, so viel Radioaktivität in der Atmosphäre hinterlassen, dass - statistisch - zehn Menschen daran stürben. Und selbst ein Teil der weit im All freigesetzten Spaltprodukte würde aufgrund ihrer elektrischen Ladung vom Magnetfeld der Erde eingefangen und in die Lufthülle gelangen.
Für das endgültige Aus sorgte schließlich die Politik. "Orion gelang es auf einzigartige Weise, die vier einflussreichsten Bereiche des Washingtoner Establishments gegen sich aufzubringen", erklärte Dyson 1965. Das Verteidigungsministerium war verärgert, weil Atombomben für nicht-militärische Zwecke abgezogen wurden. Die Nasa-Leitung, mit Ausnahme Wernher von Brauns, betrachtete Orion als überteuerte und unsichere Konkurrenz für die eigene Mars-Mission. Atomtest-Gegner sahen in Orion eine Fortsetzung des Rüstungswettlaufs.
Und Wissenschaftler lehnten das Projekt ab, weil es - wegen der Bomben - eine derart große Geheimniskrämerei erforderte, dass der Forschung ein offener Zugang zu den Resultaten verbaut würde. Wegen dieser Probleme fanden sich für Orion am Ende keine Förderer mehr. Im Januar 1964 beschlossen Nasa, Air Force und General Atomic bei einem Treffen in Huntsville, das Projekt zu beerdigen.
Bombenbauer Taylor wechselte 1966 vom Pentagon zur Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nach Wien - und wandelte sich zum erklärten Gegner jeglicher Atomwaffen. Heute lebt Taylor als Rentner im US-Staat New York. Nachts, berichtete er, träume er immer mal wieder von neuartigen Atombomben: "Kürzlich wachte ich um zwei Uhr auf und machte mir Notizen bis um sechs. Sie sind immer noch sinnvoll. Aber ich sehe keinen Grund mehr, sie öffentlich zu machen. Am liebsten würde ich alles vergessen."