Der giftige Erbe des World Trade Center
Dreieinhalb Jahre nach 9/11 belegen Studien die langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit der Anwohner
New York - - Wie ein schwarzer Monolith ragt das Gebäude an der Liberty Street Nummer 130 im Süden Manhattans in den Himmel. Ein 40 Stockwerke quadratischer Büroturm, beinahe vollständig verhüllt von schwarzen Kunststoffplanen. In der Nordwand klafft ein weithin sichtbares Loch, das sich über 15 Etagen erstreckt. Als der Südturm des benachbarten World Trade Centers (WTC) nach den Anschlägen am 11. September 2001 zusammenbrach, schlitzten herabfallende Gebäudeteile das Haus an der Liberty Street regelrecht auf. Seitdem steht der Büroturm leer. Für viele New Yorker ist die Ruine auch heute noch eine Erinnerung, die Angst macht. Im vergangenen Jahr hat die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) das Gebäude vom vorherigen Besitzer - der Deutschen Bank - gekauft, um es abzureißen. Die Entwicklungsgesellschaft wurde nach den Anschlägen gegründet, um den Wiederaufbau von Ground Zero und Süd-Manhattans zu organisieren. Der geplante Abriß, der eigentlich schon letztes Jahr beginnen sollte, ist jedoch mittlerweile zu einer unendlichen Geschichte geworden. Der Grund dafür ist ein giftiger Cocktail von Chemikalien, die Teile des brennenden, einstürzenden World Trade Centers in dem Bürogebäude ablagerten. Blei, Dioxin, Quecksilber und polychlorierte Biphenyle (PCB) sind nur einige der giftigen Substanzen. Die Asbestablagerungen übersteigen die zugelassenen Werte um das bis zu tausendfache. Viele der Schadstoffe sind krebserregend und können zu Lungenkrankheiten führen. Die Befürchtung ist, daß beim Abriß des Gebäudes, die Schadstoffe wieder an die Luft gelangen könnten.
"Der Abriß von stark-kontaminierten Hochhäusern in dicht besiedelten Gegenden ist bisher ohne Beispiel", sagt David Newman vom New Yorker Komitee für Arbeitssicherheit und -gesundheit. "Gefährdet wären Abbrucharbeiter, lokale Anwohner aber auch Pendler, die während des Tages in der Gegend arbeiten", so Newman.
Um entsprechende Abrißpläne zu erstellen, hatte die LMDC eine Reihe von Gutachten in Auftrag gegeben. Nach anhaltender Kritik, besonders von Anwohnern, hat im Januar zuletzt die EPA die Pläne als unzureichend zurückgewiesen.
Die Anwohner sehen ihre Sorgen auch in einer Reihe von medizinischen Studien bestätigt, die seit den Anschlägen unternommen worden sind. Danach haben die giftigen Stoffe, die in den Wochen und Monaten nach den Anschlägen noch in der Luft lagen, zu nachhaltigen Schäden bei Anwohnern und Rettungsarbeitern geführt. Mediziner von der Universität New York und der Gesundheitsbehörde der Stadt, haben eine der bisher größten Umfragen zur Lungengesundheit der Anwohner von Ground Zero durchgeführt. Ihre Ergebnisse veröffentlichen Joan Reibman und ihre Kollegen jetzt im Fachmagazin "Environmental Health Perspectives". Die Forscher befragten zwischen Mai 2002 und Januar 2003 über zehn Tausend Anwohner am Ground Zero sowie eines weiter entfernten Kontrollgebietes über Atemprobleme. Die Resultate rechneten sie auf alle Bewohner der betreffenden Gebiete hoch. Demnach litten 56 Prozent der vormals gesunden Anwohner am Ground Zero zumindest zeitweilig an Atemproblemen, die erstmals nach dem 11. September auftraten. Von den Bewohnern im Kontrollgebiet waren es nur 20 Prozent. Die häufigsten Symptome waren Husten, gefolgt von Atemnot und Kurzatmigkeit. Rund ein Viertel der Ground Zero Anwohner klagt über noch immer anhaltende Atembeschwerden - mehr als drei Mal so viele wie in der Kontrollgruppe. Die Forscher sehen einen klaren Zusammenhang mit dem WTC-Einsturz. Im abgelagerten Staub fanden sich wenige Tage danach vorwiegend Gips und Kalk. Die flüssigen Niederschläge waren größtenteils alkalisch. "Diese Stoffe, stehen in Verbindung mit genau den Symptomen, die wir in dieser Studie beobachtet haben", schreiben die Forscher. Die Symptome seien überdies vergleichbar mit denen, die bereits beim Rettungspersonal gefunden wurden, das nach den Anschlägen am WTC zum Einsatz kam und so den Schadstoffen an der Quelle ausgesetzt war.
(Quelle:
http://www.welt.de/data/2005/04/12/682473.html (Archiv-Version vom 12.04.2005))
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