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Kampfmittel in der Ostsee
10.11.2006 um 09:37http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,447377,00.html
Gift ausgesprengter Kriegsmunition bedroht Kieler Förde
Von Axel Bojanowski
Forscher schlagen nach drei Unterwasser-Sprengungen in der Kieler Außenförde Alarm:Minen und Sprengköpfe liegen jetzt ungeschützt offen am Grund. Immer mehr Gift drohtungehindert in die Ostsee zu gelangen. Die Behörden sind schon länger gewarnt -bestreiten aber die Gefahr.
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Nur zweieinhalb Kilometer vorSchleswig-Holsteins Küste in der Nähe von Kiel schlummert die tödliche Gefahr: In zehnMeter Wassertiefe liegt ein gewaltiges Waffenarsenal. Etwa 70 Torpedo-Sprengköpfe undMinen sind verstreut auf einer Fläche so groß wie ein Fußballplatz. Reste von Bomben ausdem Zweiten Weltkrieg gibt es auch andernorts in Nord- und Ostsee, längst sind sie aufSeekarten verzeichnet. Dies Depot war unbekannt, bis Taucher vor zwei Jahren daraufstießen.
Ostsee: Böse Überraschung unter Wasser
* Stefan Nehring
* Kampfmittelräumdienst SH
* Kampfmittelräumdienst SH
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Die Metallhüllenwaren durchgerostet. Schutzlos lag die Munition am Grund des Meeres. Die Taucher meldetenden Unterwasser-Schrottplatz den Behörden. "TNT-Sprengstoff bröckelt ins Wasser", sagtder Umweltgutachter Stefan Nehring SPIEGEL ONLINE. Das dort offen liegende TNT(Trinitrotoluol) ist hochgiftig. Es schädigt Lebewesen schon in geringer Dosis. BeiMenschen kann es Krebs und Hepatitis auslösen.
Nehring und andereWissenschaftler warnen nun vor den Folgen der schleichenden Wasservergiftung und erhebenschwere Vorwürfe gegen die Behörden. Denn Schleswig-Holsteins Umweltministerium sahjahrelang keinen Handlungsbedarf - bis vor drei Wochen ein NDR-Fernsehteam einebehördliche Drehgenehmigung beantragte und Unterwasseraufnahmen durchführte.
Drei Sprengungen sollen die Lage verschlimmert haben
Noch am selben Tag, am16. Oktober, führten Kampfmittelräumer drei Sprengungen durch. Einen Tag später lief derNDR-Beitrag, in dem auch ein Vertreter des Ministeriums zu Wort kam. Er sagte, dass dieMunition nun mit Sediment bedeckt sei und deshalb erst in 100 bis 200 Jahren durchrostenwerde.
Stimmt nicht, sagen die Taucher. Sie haben den Fund in der KielerAußenförde begutachtet - vor und nach der Explosion. "Die Sprengungen haben die Lageverschlechtert", sagt Nehring. Drei Krater würden nun am Meeresgrund klaffen. Manche derSprengköpfe seien zerbrochen, es entweiche mehr TNT als zuvor. Außerdem bestehe weiterhinExplosionsgefahr, zum Beispiel wenn ein Anker einem Sprengkörper einen Schlag versetze,sagt Nehring.
Schleswig-Holsteins Umweltministerium teilte auf Anfrage vonSPIEGEL ONLINE mit, dass von der Munition in der Kieler Außenförde keine Bedrohungausgehe.
Versenkte Munition in Nord- und Ostsee: Explosionskörper sind"allgegenwärtig"
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Versenkte Munition in Nord- und Ostsee:Explosionskörper sind "allgegenwärtig"
"Die Behörden verstecken sich hinterihrem Nichtwissen", sagt Gerd Liebezeit vom Forschungszentrum Terramare in Wilhelmshaven.Es sei "nicht in Ordnung", dass die Verschmutzung einfach hingenommen werde. Die Folgenseien kaum einzuschätzen, sagt der Meereschemiker. Kleintiere, Fische und Pflanzen, diedie Substanz aufnähmen, würden weniger Nachkommen zeugen. Die Erbsubstanz der Lebewesenwerde geschädigt.
Dass Menschen das Gift in bedrohlicher Dosis zu sich nehmenkönnten, sei nicht auszuschließen, sagt Liebezeit. Zwar löse sich TNT nur äußerst langsamim Wasser, und es verteile sich schnell. Doch möglicherweise würden Strömungen das Giftin Klumpen an die nahe gelegene Küste transportieren. "Es bleibt Spekulation, solange dasRisiko nicht wissenschaftlich untersucht wurde", sagt Liebezeit.
Umweltministerium sieht keinen Handlungsbedarf
Auch das für die Minenräumungzuständige Wasser- und Schifffahrtsamt in Lübeck zeigt sich besorgt: Kampfstoffe würdeneigentlich nur beseitigt, wenn sie eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen. Liegeallerdings TNT frei, müsse die Sache geprüft werden, sagte der stellvertretendeAmtsleiter Jörg Fräßdorf zu SPIEGEL ONLINE. Die Auswirkungen auf die Natur zuuntersuchen, sei jedoch Aufgabe des Umweltministeriums - das wiederum keinenHandlungsbedarf sieht.
Dass deutsche Behörden nach dem Fund von Sprengstoff imMeer die Verantwortung abschieben, ist nicht neu. So weigert sich die Landesregierung vonMecklenburg-Vorpommern seit Jahren, die Gefahr von Brandbombenresten zu untersuchen, dieregelmäßig an die Nordküste Usedoms gespült werden. Dabei erleiden Strandbesucher bei demKontakt mit den Phosphorbrocken immer wieder schwere Verbrennungen. DieBundestagsfraktion der FDP, die dazu vor einem Jahr 19 Fragen an die Bundesregierungrichtete, erhielt eine einsilbige Antwort: Der Umgang mit Munitionsaltlasten sei Aufgabeder Länder. Diese scheinen sich dem Thema allerdings wenig verpflichtet zu fühlen. Sohabe Schleswig-Holstein noch keine eigene Untersuchung in Auftrag gegeben, sagt Nehring.
Hunderttausende Tonnen Munition wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost- undNordsee verklappt. Die Entsorgung verlief Nehring zufolge zuweilen chaotisch. GrößereMengen Munition seien nicht an den vorgesehenen Stellen versenkt worden, weil dieBootsführer per Ladung entlohnt worden seien und so schnell wie möglich die nächsteFracht hätten aufnehmen wollen. Entsprechend verstreut lägen die Kampfstoffe amMeeresboden.
Weitere unentdeckte Depots vermutet
Niels-Peter Rühl vomBundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) beruhigt: Die Positionen desexplosiven Materials seien bekannt, der Meeresboden ausreichend durchforstet. Doch derFund in der Kieler Außenförde offenbart, dass noch immer mit Überraschungen gerechnetwerden muss. Es werde unzureichend nach den Altlasten gesucht, moniert Heinrich Hühnerfußvon der Universität Hamburg. Weitere Depots könnten unentdeckt sein und gefährlichwerden, warnt der Meereschemiker.
Diesen Verdacht nährt auch die Untersuchungeiner Forschergruppe um Jürgen Schulz-Ohlberg vom BSH: Auf dem Meeresgrund vor derPommerschen Küste entdeckte das Team vier Eisenobjekte - vermutlich Munition. Im Sandvergraben fanden die Forscher weitere 130 Eisenteile, von denen unklar ist, um was essich handelt.
Abseits der Entsorgungsrouten lägen vermutlich ebenfallsMunitionsreste, sagt Nehring. Diesen Verdacht äußerten schon vor zwölf Jahren dieOstsee-Anrainerstaaten in einer gemeinsamen Erklärung der sogenannten Helsinki-Kommission- und empfahlen die Suche nach dem Gefahrgut.
"Ostsee stark kampfmittelbelastet"
Insbesondere Fischer werden immer wieder Opfer von explodierender Munition odergiftigem Senfgas. Wieviele Verletzte es gibt, ist unklar. Nehring: "Nur in Dänemarkmüssen Unfälle gemeldet werden. Dort gibt es mehr als 20 Opfer im Jahr." Der Forscherwirft den Behörden vor, aus Angst vor Kosten und negativen Folgen für den Tourismusdetaillierte Untersuchungen zu vermeiden.
2001 äußerte sich dieschleswig-holsteinische Landesregierung zu dem Problem. In einem Fischerei-Bericht gabsie zu, Explosionskörper seien in der Ostsee "allgegenwärtig". Die Küstengewässer derOstsee seien "auch außerhalb der bekannten Versenkungsgebiete stark kampfmittelbelastet",schrieb sie in einer Antwort auf eine FDP-Anfrage und gab sich gewissenhaft: Sobald einekonkrete Gefahr bekannt werde, "zum Beispiel durch vom Meeresgrund freigespülte Munition,sucht der Kampfmittelräumdienst des Landes nach den Kampfmitteln, birgt und vernichtetsie".
Gift ausgesprengter Kriegsmunition bedroht Kieler Förde
Von Axel Bojanowski
Forscher schlagen nach drei Unterwasser-Sprengungen in der Kieler Außenförde Alarm:Minen und Sprengköpfe liegen jetzt ungeschützt offen am Grund. Immer mehr Gift drohtungehindert in die Ostsee zu gelangen. Die Behörden sind schon länger gewarnt -bestreiten aber die Gefahr.
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Nur zweieinhalb Kilometer vorSchleswig-Holsteins Küste in der Nähe von Kiel schlummert die tödliche Gefahr: In zehnMeter Wassertiefe liegt ein gewaltiges Waffenarsenal. Etwa 70 Torpedo-Sprengköpfe undMinen sind verstreut auf einer Fläche so groß wie ein Fußballplatz. Reste von Bomben ausdem Zweiten Weltkrieg gibt es auch andernorts in Nord- und Ostsee, längst sind sie aufSeekarten verzeichnet. Dies Depot war unbekannt, bis Taucher vor zwei Jahren daraufstießen.
Ostsee: Böse Überraschung unter Wasser
* Stefan Nehring
* Kampfmittelräumdienst SH
* Kampfmittelräumdienst SH
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Die Metallhüllenwaren durchgerostet. Schutzlos lag die Munition am Grund des Meeres. Die Taucher meldetenden Unterwasser-Schrottplatz den Behörden. "TNT-Sprengstoff bröckelt ins Wasser", sagtder Umweltgutachter Stefan Nehring SPIEGEL ONLINE. Das dort offen liegende TNT(Trinitrotoluol) ist hochgiftig. Es schädigt Lebewesen schon in geringer Dosis. BeiMenschen kann es Krebs und Hepatitis auslösen.
Nehring und andereWissenschaftler warnen nun vor den Folgen der schleichenden Wasservergiftung und erhebenschwere Vorwürfe gegen die Behörden. Denn Schleswig-Holsteins Umweltministerium sahjahrelang keinen Handlungsbedarf - bis vor drei Wochen ein NDR-Fernsehteam einebehördliche Drehgenehmigung beantragte und Unterwasseraufnahmen durchführte.
Drei Sprengungen sollen die Lage verschlimmert haben
Noch am selben Tag, am16. Oktober, führten Kampfmittelräumer drei Sprengungen durch. Einen Tag später lief derNDR-Beitrag, in dem auch ein Vertreter des Ministeriums zu Wort kam. Er sagte, dass dieMunition nun mit Sediment bedeckt sei und deshalb erst in 100 bis 200 Jahren durchrostenwerde.
Stimmt nicht, sagen die Taucher. Sie haben den Fund in der KielerAußenförde begutachtet - vor und nach der Explosion. "Die Sprengungen haben die Lageverschlechtert", sagt Nehring. Drei Krater würden nun am Meeresgrund klaffen. Manche derSprengköpfe seien zerbrochen, es entweiche mehr TNT als zuvor. Außerdem bestehe weiterhinExplosionsgefahr, zum Beispiel wenn ein Anker einem Sprengkörper einen Schlag versetze,sagt Nehring.
Schleswig-Holsteins Umweltministerium teilte auf Anfrage vonSPIEGEL ONLINE mit, dass von der Munition in der Kieler Außenförde keine Bedrohungausgehe.
Versenkte Munition in Nord- und Ostsee: Explosionskörper sind"allgegenwärtig"
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Versenkte Munition in Nord- und Ostsee:Explosionskörper sind "allgegenwärtig"
"Die Behörden verstecken sich hinterihrem Nichtwissen", sagt Gerd Liebezeit vom Forschungszentrum Terramare in Wilhelmshaven.Es sei "nicht in Ordnung", dass die Verschmutzung einfach hingenommen werde. Die Folgenseien kaum einzuschätzen, sagt der Meereschemiker. Kleintiere, Fische und Pflanzen, diedie Substanz aufnähmen, würden weniger Nachkommen zeugen. Die Erbsubstanz der Lebewesenwerde geschädigt.
Dass Menschen das Gift in bedrohlicher Dosis zu sich nehmenkönnten, sei nicht auszuschließen, sagt Liebezeit. Zwar löse sich TNT nur äußerst langsamim Wasser, und es verteile sich schnell. Doch möglicherweise würden Strömungen das Giftin Klumpen an die nahe gelegene Küste transportieren. "Es bleibt Spekulation, solange dasRisiko nicht wissenschaftlich untersucht wurde", sagt Liebezeit.
Umweltministerium sieht keinen Handlungsbedarf
Auch das für die Minenräumungzuständige Wasser- und Schifffahrtsamt in Lübeck zeigt sich besorgt: Kampfstoffe würdeneigentlich nur beseitigt, wenn sie eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen. Liegeallerdings TNT frei, müsse die Sache geprüft werden, sagte der stellvertretendeAmtsleiter Jörg Fräßdorf zu SPIEGEL ONLINE. Die Auswirkungen auf die Natur zuuntersuchen, sei jedoch Aufgabe des Umweltministeriums - das wiederum keinenHandlungsbedarf sieht.
Dass deutsche Behörden nach dem Fund von Sprengstoff imMeer die Verantwortung abschieben, ist nicht neu. So weigert sich die Landesregierung vonMecklenburg-Vorpommern seit Jahren, die Gefahr von Brandbombenresten zu untersuchen, dieregelmäßig an die Nordküste Usedoms gespült werden. Dabei erleiden Strandbesucher bei demKontakt mit den Phosphorbrocken immer wieder schwere Verbrennungen. DieBundestagsfraktion der FDP, die dazu vor einem Jahr 19 Fragen an die Bundesregierungrichtete, erhielt eine einsilbige Antwort: Der Umgang mit Munitionsaltlasten sei Aufgabeder Länder. Diese scheinen sich dem Thema allerdings wenig verpflichtet zu fühlen. Sohabe Schleswig-Holstein noch keine eigene Untersuchung in Auftrag gegeben, sagt Nehring.
Hunderttausende Tonnen Munition wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost- undNordsee verklappt. Die Entsorgung verlief Nehring zufolge zuweilen chaotisch. GrößereMengen Munition seien nicht an den vorgesehenen Stellen versenkt worden, weil dieBootsführer per Ladung entlohnt worden seien und so schnell wie möglich die nächsteFracht hätten aufnehmen wollen. Entsprechend verstreut lägen die Kampfstoffe amMeeresboden.
Weitere unentdeckte Depots vermutet
Niels-Peter Rühl vomBundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) beruhigt: Die Positionen desexplosiven Materials seien bekannt, der Meeresboden ausreichend durchforstet. Doch derFund in der Kieler Außenförde offenbart, dass noch immer mit Überraschungen gerechnetwerden muss. Es werde unzureichend nach den Altlasten gesucht, moniert Heinrich Hühnerfußvon der Universität Hamburg. Weitere Depots könnten unentdeckt sein und gefährlichwerden, warnt der Meereschemiker.
Diesen Verdacht nährt auch die Untersuchungeiner Forschergruppe um Jürgen Schulz-Ohlberg vom BSH: Auf dem Meeresgrund vor derPommerschen Küste entdeckte das Team vier Eisenobjekte - vermutlich Munition. Im Sandvergraben fanden die Forscher weitere 130 Eisenteile, von denen unklar ist, um was essich handelt.
Abseits der Entsorgungsrouten lägen vermutlich ebenfallsMunitionsreste, sagt Nehring. Diesen Verdacht äußerten schon vor zwölf Jahren dieOstsee-Anrainerstaaten in einer gemeinsamen Erklärung der sogenannten Helsinki-Kommission- und empfahlen die Suche nach dem Gefahrgut.
"Ostsee stark kampfmittelbelastet"
Insbesondere Fischer werden immer wieder Opfer von explodierender Munition odergiftigem Senfgas. Wieviele Verletzte es gibt, ist unklar. Nehring: "Nur in Dänemarkmüssen Unfälle gemeldet werden. Dort gibt es mehr als 20 Opfer im Jahr." Der Forscherwirft den Behörden vor, aus Angst vor Kosten und negativen Folgen für den Tourismusdetaillierte Untersuchungen zu vermeiden.
2001 äußerte sich dieschleswig-holsteinische Landesregierung zu dem Problem. In einem Fischerei-Bericht gabsie zu, Explosionskörper seien in der Ostsee "allgegenwärtig". Die Küstengewässer derOstsee seien "auch außerhalb der bekannten Versenkungsgebiete stark kampfmittelbelastet",schrieb sie in einer Antwort auf eine FDP-Anfrage und gab sich gewissenhaft: Sobald einekonkrete Gefahr bekannt werde, "zum Beispiel durch vom Meeresgrund freigespülte Munition,sucht der Kampfmittelräumdienst des Landes nach den Kampfmitteln, birgt und vernichtetsie".