Ölsee unter New York
06.02.2007 um 12:11
New Yorks unsichtbare Ölpest
Von Marc Pitzke , New York
Unter einem NewYorker Arbeiterviertel verbirgt sich die größte Umweltkatastrophe der USA: Mehr als 65Millionen Liter Öl verseuchen den Grund. Dahinter steckt der Energiemulti Exxon, dergerade den größten Gewinn der Geschichte einfuhr - und trotzdem wenig tut, um das Debakelzu beseitigen.
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New York - Ein scharfer Eiswind kräuselt dasSchlackwasser des Newtown Creek. Gelber Schaum dümpelt auf dem Seitenarm des East River,der Brooklyn von Queens trennt. Drüben rumpelt der Verkehr des Long Island Expressway aufBetonstelzen über die Dächer. Am Ufer, gesäumt von morschen Lagerhallen und Brachflächen,sind Schlamm und Müll zu einer harten Kruste gefroren. Es stinkt nach Öl.
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"Willkommen im geografischen Zentrum von New YorkCity", sagt Basil Seggos. Am Horizont flimmert die Skyline Manhattans: der Citi-Tower,das Empire State Building. Rechts, jenseits der Pulaski Bridge, erstreckt sich das tristeHäusermeer der Vorstädte. Kahle Bäume klammern sich an den Uferhang.
Seggos, 32,kommt oft an den Newtown Creek hier in Greenpoint, an Brooklyns entlegener Nordspitze.Für den Umweltaktivisten sind der dreckige Creek und das angrenzende Arbeiterviertel zumLebensinhalt geworden. Tag und Nacht beschäftigt er sich damit. In seinem Golf, mit demer über die Schlaglöcher zuckelt, stapeln sich Ordner, Akten und Karten.
Ölseuchengebiet Brooklyn: Gift im Grund unter Greenpoint
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DennGreenpoint ist Schauplatz der größten Umweltkatastrophe der USA: Der Boden unter denHäusern und Fabriken ist mit Rohöl verseucht, aus Raffinerien und lecken Tanks. Dieserunterirdische Ölteppich, der langsam in den Creek sickert, erstreckt sich über mehr als22 Hektar. Insgesamt sind hier, unweit der Uno-Zentrale am anderen Ufer des East Rivers,mindestens 65 Millionen Liter ausgelaufen, nach Schätzung von Experten sogar dasDoppelte. Selbst die geringere Menge wäre noch anderthalbmal so viel wie 1989 beimTankerunglück der "Exxon Valdez" in Alaska.
"Der Creek ist tot"
"VieleLeute wissen bis heute nicht, dass sie auf einer Zeitbombe sitzen", sagt Seggos, der derSache als Chefforscher der Umweltgruppe Riverkeeper seit 2001 nachgeht. "Sie atmentoxische Gase ein. Sie werden krank."
Brooklyns Ölpest: "So etwas sieht mansonst nur in der Dritten Welt"
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Riverkeeper
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Wie damals imPrinz-William-Sund steckt auch am Newtown Creek der Ölmulti ExxonMobil Chart zeigendahinter. Auf dessen altem Brooklyner Firmengelände ist jahrzehntelang Öl in den Grundgesickert und hat sich dort zu einer unsichtbaren Giftschicht ausgebreitet - direkt untereinem Wohnviertel mit rund 1000 Menschen. "Wir haben uns verpflichtet, unsererVerantwortung voll nachzukommen", bestätigt Exxon-Sprecherin Premlata Nair.
Dazuhat Exxon begonnen, das Öl abzusaugen. Viel zu spät jedoch, völlig unzureichend und ohneRücksicht auf die Gesundheit der Menschen, finden Basil Seggos und Hunderte Anwohner, dieExxon in mehreren Zivilklagen vor Gericht gezwungen haben. Der Kampf der Davids gegenGoliath währt schon länger, spitzt sich jetzt aber zu: Der US-Kongress will eingreifen.
"So was sieht man sonst nur in der Dritten Welt", murmelt Seggos, über dieBöschung des Creeks kraxelnd. "Es ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit." Aneinigen Stellen kapseln Gummiringe das Ufer ab, um zu verhindern, dass Öl in den Flussrinnt; davor staut sich ein dünner Ölfilm. "Es hilft nicht viel", seufzt Seggos. "Weiterhinten ist der Creek tot."
Rostende Öltanks am Ufer
Die Kontaminierungvon Greenpoint begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Damals saßen auf der Landzungeüber 50 Raffinerien, die meisten betrieben von Standard Oil, dem Exxon-Vorläufer. Schonin jener Zeit leckten die Tanks und Rohre; von Umweltschutz war da noch keine Rede. ImOktober 1950 dann drang Öl ins Abwassersystem von Greenpoint und explodierte. DieDetonation riss einen Krater auf, jagte Kanaldeckel in die Luft und zerschmetterte dieFenster an 500 Häusern.
1966 wurde die letzte Raffinerie stillgelegt. Amoco(heute BP Chart zeigen) übernahm einen Teil der Liegenschaften, den Rest nutzte Mobil bis1993 als Lager. Drei der alten Öltanks rosten heute noch am Ufer des Creek, hinterStacheldraht an der Kingsland Avenue. "Illegale Substanzen verboten", steht auf einemWarnschild.
Offiziell wurde der gigantische Ölspill aber erst 1978 entdeckt.Eine Hubschrauber-Patrouille der Küstenwache bemerkte Öl auf dem Creek. Bohrungen ergabendas ganze Ausmaß der Katastrophe. Die Versuche, das Problem zu beheben, blieben damalsaber nur zaghaft.
1989 - im Jahr der Havarie in Alaska - übernahm der da nochvon Exxon separate Mobil-Konzern die Verantwortung für die Verseuchung Greenpoints. EineGeldstrafe gab es freilich nicht. Anders als bei der "Exxon Valdez", für deren HavarieExxon letztendlich 2,5 Milliarden Dollar Bußgeld zahlen musste.
150.000historische Aktenseiten
1990 begann Mobil, Öl aus dem verseuchten Bodenabzusaugen. Nach Angaben von Sprecherin Nair wurden seither über 35 Millionen Literbeseitigt: "Unser Schwerpunkt liegt auf einem Sanierungsprogramm, das die öffentlicheGesundheit und die Umwelt schützt."
Die regierenden Demokraten im US-Kongresswidersprechen. "Die Sanierung geht zu langsam voran und verletzt Umweltgesetze", schimpftder Brooklyner Abgeordnete Anthony Weiner. Auf Druck Weiners hat die US-Umweltbehörde EPAErmittlungen eingeleitet.
Schon 2004 verklagte Riverkeeper ExxonMobil, ChevronChart zeigen und BP wegen Verstoßes gegen Umweltgesetze - die erste von mehreren Klagen.Vorige Woche schloss sich Brooklyns Stadtteilpräsident Marty Markowitz der Klage an.Trotzdem dümpelt der Fall weiter im Vorverfahren. Die Beklagten seien nicht geradekooperativ, sagt Seggos. Erst jetzt habe Exxon 150.000 historische Aktenseitenfreigegeben.
Die Reinigungsarbeiten seien bis heute nur "rudimentärst", soRiverkeeper. "Seit fünf Jahrzehnten sitzt das Öl unter Greenpoint, zerstört dasGrundwasser, macht das Land nutzlos, setzt sich unter über 100 Häusern auf dreiWohnblocks fest, verseucht den Newtown Creek und bedroht Wassertiere und -pflanzen."
Blei, Benzol, Kerosin
"Schwarze Mayonnaise", so nennt Seggos die Ölschlacketief im Boden. Er hält vor einem fensterlosen Bau: die Exxon-Klärstation. "Vorsicht,Gefahr", warnt ein Schild. Aus einem krummen Rohr tropft Schaum aufs Trottoir.
Gegenüber liegt der Reinigungsbetrieb Long Island Carpet Cleaners. Hier hat Exxonaußen ein Ventilationsrohr installiert, da die Öl-Abgase durch den Boden kriechen und dieArbeiter betäuben. "Die Dinge gehen sehr langsam", klagt Firmenchef Barry Swindler.
Dahinter beginnt die Siedlung aus einfachen, doch gepflegten Holzhäuschen. Vor fastjedem weht ein Sternenbanner. "Seit 9/11", sagt Seggos. "Die sind sehr patriotisch." Abund zu sind Eisendeckel im Gehweg eingelassen: die Bohrstellen, die zum Öl darunterführen.
"Einige von uns haben Asthma", berichtet Marion Tomczak, 77, die ihrganzes Leben in Greenpoint verbracht hat. "Von den Abgasen kannst du todkrank werden",sekundiert Francis Flynn, 56. Am schlimmsten sei es, wenn das Barometer falle: Da kriecheein übler Geruch aus den Kellern und Gullis. Andere berichten von einem seltenenKnochensarkom. Ein Zusammenhang mit dem Öl bleibt unbewiesen.
"Eine Generationder Verschleppung"
Zwei neue Sammelklagen wollen nun auch Gesundheitsstudienerzwingen. "Unsere Hauptsorge sind Benzol und Methangas", sagt Justin Bloom, einer derAnwälte, dessen Klageschrift auf 158 Seiten insgesamt 392 Nebenkläger auflistet. DasDokument benennt noch zahlreiche andere Schadstoffe: Petroleum, Petroleumzusätze, Benzin,Blei, Steinkohlenteeröl, Dimethylbenzol, Kerosin.
Bloom kooperiert dazu mit derGroßkanzlei Girardi & Keese. Die hatte 1996 mit der Anwaltsgehilfin Erin Brockovich diegrößte Abfindungssumme der Industriegeschichte erzwungen: Der Energiekonzern PG&R musstewegen Trinkwasserverschmutzung 333 Millionen Dollar zahlen. Der Fall wurde später mitJulia Roberts verfilmt; die echte Erin Brockovich kam Ende 2005 nach Greenpoint und tratauf einer Bürgerversammlung auf.
Während die Zivilklagen nur schleppendvorankommen, erwägen jetzt aber auch der Bundesstaat New York und der US-KongressSchritte gegen ExxonMobil. New York hat eine Umweltstudie eingeleitet, nachdem gütlicheVerhandlungen mit dem Konzern gescheitert waren. Das Justizministerium erwägt Klage.
Der Kongressabgeordnete Weiner will derweil Anhörungen zu Greenpoint abhalten und hatdie Abgeordneten zum Ortstermin eingeladen. Dies sei "das größte Umweltdesaster in derGeschichte New Yorks", sagt er. "Einer Generation der Vertuschung durch die Firmen folgtefast eine Generation der Verschleppung."