Denkansätze zum aktuellen Flüchtlingsstrom.
31.08.2015 um 23:41Da ja im Moment die "Flüchtlingsdebatte" alle Schlagzeilen bestimmt und man sich vor lauter Empörung und sowohl von links, wie von rechts kaum noch retten kann, hier mal ein paar vernünftige Stimmen:
https://www.youtube.com/watch?v=l6VSr3l_v-Q (Video: KALKOFE - KOMMENTAR ZU HASS UND DUMMHEIT)
Last but not least:
http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article145576852/Wer-nur-Mitleid-empfindet-der-hat-keinen-Verstand.html
Deutsche Medienhttp://www.nzz.ch/feuilleton/medien/minenfeld-migration-1.18562659
Minenfeld Migration
Die Journalisten in Deutschland informieren breit und vielfältig über die Migration. Ihre Berichterstattung hat allerdings blinde Flecken.
Die Einwanderung übers Mittelmeer, bei der viele Menschen in Seenot sterben, fordert nicht bloss die Politik, sondern auch die Medien heraus. Bilder und Berichte von Menschen, die ihr Leben riskieren, um nach Europa zu kommen, mobilisieren starke Gefühle. Mitleid mit den Betroffenen, aber auch Ressentiments gegen den Fremden bilden eine konfliktträchtige Mischung. Dies gilt vor allem für Länder, die wie Deutschland zu den bevorzugten Zielen dieser Massenmigration geworden sind. 2014 machten dort 200 000 Menschen Anspruch auf Asyl geltend, für dieses Jahr erwarten die Behörden mehr als 400 000. Als solche Zahlen 1992 schon einmal zu melden waren, beherrschten ausländerfeindliche Ausschreitungen und erbitterte Kontroversen ums Asylrecht die öffentliche Debatte.
Davon ist heute kaum etwas zu spüren. Trotz dem ungebrochenen Einwandererstrom dominiert in Presse und Fernsehen eine Berichterstattungsroutine ohne besondere Zuspitzung oder Skandalisierung. Das gilt nicht bloss für die TV-Talkshows, in denen das Thema mit den bekannten Selbstdarsteller-Profis in der Endlosschleife der Phrasen und Pseudo-Krawalle bewirtschaftet wird. Selbst Nachrichten über Seenotfälle halten sich kaum länger als einen Tag in den Schlagzeilen.
Der Streit um die Einrichtung von Heimen für Asylbewerber und die Aufregung über kriminelles Verhalten sind publizistisch in den Lokalteilen eingehegt. Auch die erheblichen Kosten, die selbst nahezu bankrotte Kommunen für Unterbringung und Versorgung der Neuankömmlinge aufbringen müssen, provozieren derzeit keine medienöffentlichen Diskussionen. Der Ausnahmezustand ist medial als Normalfall akzeptiert. Den Widerspruch dazu in den Leserkommentaren im Internet erträgt man als Teil eines Kommunikationsspiels ohne Folgen.
Orientierungslos
Dieser ruhigere Berichterstattungsstil scheint der Stimmung im Volk zu entsprechen. So stellte gerade das Institut für Demoskopie Allensbach bei einer Untersuchung der Einstellungen der Deutschen gegenüber den Asylbewerbern fest: «Aggressive Ablehnung, wie noch vor 20 Jahren, ist kaum zu spüren.» Bei genauer Analyse der Antworten fiel den Demoskopen allerdings auf, dass die Befragten im Urteil schwanken. Stimmen sie einerseits in grosser Zahl Forderungen nach verbesserter Seenotrettung und mehr Hilfe für die betroffenen Menschen zu, so artikulieren sie doch ebenso zahlreich Befürchtungen um eine Überforderung des aufnehmenden Landes, um einen Import fremder Konflikte und um eine Ausnutzung der heimischen Sozialsysteme. «Ein sicheres Zeichen für Orientierungslosigkeit» nennt Allensbach-Projektleiter Thomas Petersen in der «FAZ» solche Urteilsschwankungen. Diese Orientierungslosigkeit ist durch eine konfus-hilflose Politik gefördert worden. Sie wird aber auch verstärkt durch die Berichterstattung.
Zwar informieren die Medien insgesamt breit und vielfältig über Ereignisse und Hintergründe der grossen Wanderung, aber sie tun das mit erkennbarer Schlagseite bei der Themensetzung und der Wahl inhaltlicher Schwerpunkte. Im Vordergrund stehen humanitäre Probleme, Möglichkeiten ihrer pragmatischen Lösung und vor allem Empathie mit den Migranten. In den Lokalteilen der Zeitungen wird intensiv über die Anstrengungen der Gemeinden zur menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung der Neubürger informiert. Die Bemühungen der Asylbewerber, sich in einer fremden Umwelt zurechtzufinden, finden grosses Interesse. Hinweise auf erfolgreiche Integration sind prominent placiert. So suggerieren Berichte tonangebender Leitmedien, dass zahlreiche arbeitswillige Migranten von Unternehmen sofort eingestellt und über den Arbeitsmarkt problemlos in die aufnehmende Gesellschaft eingegliedert werden könnten. Leider behindere eine indolente und unverständige Bürokratie mit ihrem Beharren auf Prüfung der Aufenthaltsberechtigung und der behaupteten Qualifikationen diesen eigentlich harmonischen Prozess.
Man könnte glauben, dass Masseneinwanderung kein Problem ist, sondern nur von Anhängern einer «Festung Europa» zu einem gemacht wird. Wo Vertreter einer solchen Position überhaupt zugelassen werden, inszeniert man ihren Auftritt so, dass im Fernsehen ihre Thesen durchs Bilder-Arrangement schon dementiert werden. Es ist ein wohlmeinender Paternalismus, der diese Berichterstattung prägt.
Lieblingsschurken
Nachsicht und Verständnis sind fast grenzenlos. Lügen und Täuschung der Behörden im Asylverfahren gelten als hinzunehmender Standard. Provozierendes Verhalten und zum Teil aggressiv vorgetragene Ansprüche werden neutral registriert. Exemplarisch ist da der verständnisvolle Bericht über Afrikaner , die ihre Unterkunft randalierend zerlegen, weil ihnen bisher bloss eine und nicht wie gewünscht zwei warme Mahlzeiten täglich angeboten werden. Eine Schlagzeile wie «Nicht alle Flüchtlinge sind dankbar» , unter der eine Zeitung ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck bringt, dass gerade aus grosser Not Gerettete gleich ihre Wohltäter bestehlen und bedrohen, sind seltene Ausnahmen in einem ostwestfälischen Medienbiotop. Kritische Aufmerksamkeit finden in jüngster Zeit allenfalls die Schlepper, die als böse Ausbeuter der Not zu Lieblingsschurken einiger Medien avanciert sind. Dass sie integraler Bestandteil der Wanderungsbewegung sind, wird kaum zum Thema.
Im besonders beliebten Genre der Homestory über abgelehnte Asylbewerber, die abgeschoben werden sollen, kulminieren die Parteinahme und die kritiklose Übernahme der Perspektive der Betroffenen. Mitmenschlichkeit steht hier gegen vermeintliche Formaljuristerei der Behörden. Beispielhaft ist die Geschichte, in der der «Kölner Stadt-Anzeiger » den Unterstützer einer angeblichen Roma-Familie zu Wort kommen lässt, die wegen fehlender Asylgründe nach Serbien abgeschoben werden soll: «Hier geht es gar nicht um die Frage, ob sie verfolgt werden, sondern, wie das Leben dort ist.»
Klima der Ächtung
Hier artikuliert sich, oft mit stillschweigender Zustimmung der Medien, eine Haltung, die jede kontrollierte Asylpolitik ausser Kraft setzen will und nur noch das weite Öffnen aller Tore erlaubt. Die zahlreichen Fälle von Kirchenasyl und Abschiebungsblockaden zeigen, wie wirksam diese Haltung mittlerweile ist. Eine Analyse der Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft «Rückführung» vom April 2015 benennt die Mitverantwortung der Medien : «Die Experten halten an ihrer Einschätzung fest, dass Abschiebungen seit vielen Jahren in einem gesellschaftlichen Klima der Ächtung und Ablehnung stattfänden. Wenn in Medien und öffentlichen Diskussionen die Rückführung von Ausreisepflichtigen thematisiert werde, geschehe dies stets mit dem Tenor des Skandalisierens des behördlichen Handelns.»
Grund für diese Geringschätzung des rechtlichen Rahmens für Asylgewährung ist vermutlich die Faszination, die der Flüchtling auf Medien ausübt. Er erscheint als geradezu emblematische Figur der Zeit, Repräsentant einer Welt, die in manchen Teilen gekennzeichnet ist durch Krieg und Bürgerkrieg, durch Hunger und ein Elend, das keine Zukunftschancen öffnet. Der Flüchtling ist Weltbürger wider Willen, der in Deutschland auf diffuse Weise geschichtspolitisches Schuldbewusstsein aufruft, zugleich aber auch Retter aus der demografischen Krise sein soll.
Moralischer Appell und das Sachzwang-Argument sind hier eigentümlich verschränkt. Wer diesen Blick teilt, wird die Propaganda für die «Willkommenskultur», die die Einheimischen zum herzlichen Empfang für die Fremden erziehen will, für alternativlos halten. Die gängige journalistische Vernunft mit ihrer Vorliebe für das Niederreissen von Mauern und das Auflösen von Grenzen, aber auch mit ihrer Neigung zum Engagement für die Schwachen lässt in der «Flüchtlingskrise» der Gegenwart keine andere Wahl.
Wie die Allensbach-Umfrage zeigt, kann man mit der Etablierung einer solchen veröffentlichten Meinung xenophobe Haltungen zurückdrängen, was als zivilisierende Wirkung von erheblicher Bedeutung ist. Ohne Zweifel haben die Medien massiv daran mitgearbeitet, das Land offener für Zuwanderer zu machen.
Unterrepräsentiert ist aber die gesellschaftspolitische Reflexion der Entwicklung. Die Einseitigkeiten der Berichterstattung setzen das Publikum nicht nur moralisch unter Druck, einen gesellschaftlichen Wandel von erheblichem Ausmass zu akzeptieren, ohne die eigenen Sorgen, Vorbehalte und Bedürfnisse angemessen in die öffentliche Erörterung einbringen zu können. Es fehlt dieser Berichterstattung auch der Sinn fürs nüchterne Kalkül, das die divergierenden Interessen aller Beteiligten identifiziert, anerkennt und im kritischen Räsonnement ausbalanciert. Die Beschwörungen einer Bereicherung der Gesellschaft durch die neue Buntheit und Vielfalt überspringen Erfahrungen von Verlust an Gewohntem und die Belastung durch Konfrontation mit Fremden. So zahlreich die sensiblen Reportagen über Schwierigkeiten der Migranten bei Eingewöhnen in einen fremden Alltag sind, so selten finden sich Gegenstücke, die zu verstehen versuchen, wie Deutsche die Verwandlung ihres Viertels in ein neues «multikulturelles» Viertel erleben.
Das grosse Experiment
Der Oxforder Ökonom Paul Collier, der in seinem Buch «Exodus» ein empirisch gut unterlegtes und argumentativ sehr differenziert begründetes Plädoyer für eine neue Einwanderungspolitik vorgelegt hat, hält gerade diese soziale Dimension der Masseneinwanderung für die wichtigste. Hier entscheidet sich seiner Ansicht nach, ob dieses grosse soziale Experiment gelingt oder scheitert. Collier will die öffentliche Debatte deshalb gern von «Nonsensfragen» wie «Ist die Einwanderung gut oder schlecht» wegbringen und stattdessen klären, «wie viel Migration für alle am besten ist ».
Das erfordert Selektion, Kontrolle und gegebenenfalls Zurückweisung – das sind Begriffe, die in der medialen Bearbeitung des Themas in Deutschland einen schlechten Ruf haben. Auch Colliers empirisch begründete These , dass «eine zu starke ethnisch-kulturelle Diversität den sozialen Zusammenhalt und damit die Grundlagen des Wohlstands» bedrohe, dürfte dazu beigetragen haben, dass der Brite die deutsche Debatte nicht beeinflusst hat.
Dabei gibt es seit langem Anzeichen, dass in bestimmten Regionen und Milieus in Deutschland jener soziale Zusammenhalt unter dem Druck der Einwanderung prekär wird. Die Medienpraxis des Wegsehens und der camouflierenden Berichterstattung, welche die Akteure verschleiert, ist keine Lösung. Einwanderung verlangt einen Lernprozess, den auch Medien zu einem guten Teil noch vor sich haben.
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