Emotionaler Schmerz - Alles nur Einbildung?
30.07.2014 um 16:41Es gibt psychische Krankheiten, man denke an Modekrankheiten wie burn out oder borderline, und damit an völlig schwammig definierte Symptombilder, die je nach Zeitgeist auftreten und genauso schnell auch wieder verschwinden können. Und es gibt echte Krankheiten wie Krebs, Schlaganfälle, Herzinfarkte oder um es bei einem etwas milderen Beispiel zu belassen, welches viele gerade jüngere Leser vermutlich kennen werden - Sport- oder Haushaltsunfälle und daraus resultierende Verletzungen wie Knochenfrakturen, Bänderverletzungen oder Muskelfaserrisse. Oft lese ich davon, dass der medizinische Laie eine strikte Unterscheidung zwischen richtigem Schmerz, wie man ihn von einer Entzündung beispielsweise kennt und eingebildetem Schmerz, wie man ihn im Rahmen diverser psychiatrischer Erkrankungen bzw. um es apathologisch zu halten, auch im Rahmen von Liebeskummer oder einer depressiven Verstimmung kennen mag, vornimmt. Während - gemäß der Auffassung Vieler - die "echten" physisch begründeten Schmerzen, die nun auf einer tatsächlichen Erkrankung des Organsystems bzw. Bewegungs- und Halteapparates (hierzu zähle ich Skelettmuskulatur sowie Binde- und Knochengewebe) beruhen, ernst zu nehmen sind, fällt es häufig äußerst schwer nachvollziehen zu können, weshalb die Medizin auch Erkrankungen, die eben demgegenüber nicht mit einer akuten körperlich sichtbaren oder wenigstens mithilfe bildgebender Verfahren sichtbar zu machenden Ursache verbunden sind, als handfeste Krankheiten bezeichnet, und dagegen mich höchster Priorität medikamentöse sowie psychotherapeutische Maßnahmen zu entwickeln versucht. Schnell kommt es dann dazu, dass gemutmaßt wird, dass die wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie bzw. der psychiatrischen Ärztegemeinschaft im Hinblick auf diese Behandlungsmethoden weit stärker im Vordergrund stehen als der tatsächliche Bedarf an potenten Medikamenten und begleitenden psychotherapeutischen Interventionen. Generell scheint die Frage nach der Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung von Störungen bzw. Erkrankungen, die zwar offensichtlich keinen akuten Schmerz im Sinne der antiquierten auf die physische Konstitution fokussierten Definition verursachen, trotzdem aber nach der modernen Auffassung der evidenzbasierten Medizin als handfeste Erkrankungen zu verstehen sind, daher nach dem Geschmack Vieler durch die Medizin falsch beantwortet zu werden. Oder kurz und prägnant auf den Punkt gebracht: Die Mediziner erfinden Krankheiten, die nach der Meinung zahlreicher mündiger Menschen keinen Krankheitswert haben.
Gerade die Unterscheidung zwischen "echtem" Schmerz, also einem Sinnesreiz den man beschreiben würde mit "Das tut mir weh", und psychischem Schmerz, dessen Beschreibung in aller Regel eine weit ausführlicheren Schilderung erforderlich macht, und der oftmals auch nur in Verbindung mit der Beschaffenheit der individuellen Widerstandsfähigkeit des Leidenden verstanden werden kann, scheint eine gängige Praxis in der Beurteilung von Leid durch den medizinischen Laien zu sein. Zusammengefasst gilt also die Überzeugung: "Echte Schmerzen sind Schmerzen, die eine sichtbare Ursache haben. Jeder Schmerz, der nicht auf einer körperlichen Ursache beruht, ist eingebildeter Schmerz."
In welchem Punkt unterscheiden sich denn nun eigentlich eingebildete Schmerzen von echten Schmerzen? Man könnte aus Sicht eines Laien argumentieren, dass der Unterschied darin liegt, dass echte Schmerzen an der Stelle der Verletzung entstehen, wohingegen eingebildete Schmerzen im Kopf entstehen. Um genauer zu sein entstehen sie im Gehirn, und werden an dieser Stelle auch bewusst. Und zwar jede Art des Schmerzes. Sowohl Entzündungsschmerzen, die man empfindet wenn man sich in den Finger geschnitten hat und die Stelle gerötet und geschwollen ist und bei der kleinsten Berührung schmerzt, als auch der Sonnenbrand, in dessen Genuss vermutlich jeder schon einmal kommen durfte, bis hin zur Migräne oder aber den Schmerzen, denen ein Krebskranker in seinen letzten Tagen ausgeliefert ist, oder eben auch der Phantomschmerz, der nach einer Amputation einer Extremität weiterhin dem Betroffenen das Gefühl vermittelt er litte unter einer höchstgrasig akuten Verletzung des nicht mehr vorhandenen Körperteils. Alle diese Schmerzen werden erst dadurch bewusst, dass unser Gehirn diese Empfindung erzeugt. Solange das Hirn - grob gesagt - also tut was es soll, werden diese Schmerzen nur dann auftreten wenn es tatsächlich eine körperliche Ursache dafür gibt. Tut es das jedoch nicht mehr, so entstehen Schmerzen, die eben keine handfeste Ursache mehr haben. Dieses Beispiel soll illustrieren, dass erstens alle Schmerzen im Hirn entstehen und zweitens die Behauptung, dass "echte" Schmerzen notwendigerweise auf eine existierende Schmerzquelle zurückzuführen sein müssen, nicht haltbar ist.
Schmerz entsteht selbstverständlich im Gehirn. Um das Netzwerk von Gehirnarealen, die an der Schmerzentstehung beteiligt sind, etwas in Augenschein zu nehmen, kann man sich die sogenannte Schmerzmatrix anschauen, und sieht, dass zahlreiche Hirnareale an der Schmerzentstehung beteiligt sind.
Hier sieht man nun, über welche Routen sich Schmerzen vom Ort der Schmerzentstehung ihren Weg zur Hirnrinde und damit dem Ort der bewussten Schmerzwahrnehmung bahnen. Diese "echten" Schmerzreize müssen über das Rückenmark, das die Empfindungsfasern aus dem ganzen Körper zum Gehirn führt, und damit der hier in der Grafik als PAG (engl. für periaqueductal grey; in der deutschen Anatomie als zentrales Höhlengrau bezeichnet) bezeichneten Struktur Anschluss zum Sitz unserer Gefühle finden. Man kann darüber hinaus dieser Grafik entnehmen, dass an der Schmerzbahnung noch viele andere Strukturen beteiligt sind, die natürlich ebenso wie jedes andere Organ anfällig für Störungen sein können. Zu verstehen, dass sich das Gehirn in einer gewissen Phase des Lebens gut entwickeln muss um eine möglichst geringe Anfälligkeit für Fehler gewährleisten zu können, ist eine zentrale Erkenntnis. Denn von diesem Wissen ausgehend ist es nur noch ein Katzensprung zu der unfassbar wichtigen Einsicht, dass natürlich die Entwicklung der Organe in den frühen Stadien des Lebens stattfindet. Oder auf den Punkt gebracht: Die Entwicklung des Gehirns fällt in den Zeitraum des Kindesalters. In diesem Zeitraum also determiniert das Umfeld des Subjektes die Anfälligkeit des Organs für Störungen. Und genau dies wäre das was ich zuvor als Widerstandsfähigkeit gegenüber leidvollen Ereignissen bezeichnete.
Kann man Schmerzen also erlernen? Ich finde das ist eine äußerst interessante Fragestellung, da ich diese Frage eindeutig mit "Ja" beantworten will. Es ist meiner Auffassung nach in der Tat richtig, dass Menschen auch lernen können, Schmerzen als positive Wahrnehmung zu empfinden. Und genau in diesem Moment überschreitet man die Grenze zwischen Neurologie und Psychologie. Denn hier reden wir plötzlich nicht mehr von akutem Schmerz einer Entzündung sondern von lustvoll wahrgenommenen Schmerzen, die nicht nur in Kauf genommen werden, sondern ganz im Gegenteil sogar gewollt herbeigesehnt werden. Die Existenz sadomasochistischer Sexualpraktiken - um es deutlich zu benennen - also ist für mich der Beweis dafür, dass man das Schmerzempfinden lernen muss.
Doch um nun letztlich zum Fazit zu kommen, will ich noch einmal die für mich zentrale Frage aufgreifen, ob es eine Möglichkeit gibt tatsächlich auf empirischer und wissenschaftlicher Basis rein psychische Empfindungen mit "richtigem" Schmerz (ich will anmerken, dass man das was ich hier fälschlicherweise als "richtigen" Schmerz bezeichne eigentlich korrekterweise "nozizeptiven Schmerz" nennen müsste) zu vergleichen. Und dazu will ich mit einer Studie abschließen, in der man feststellte dass sich medizinisch völlig gesunde Menschen, welche in diesem Experiment in einem Raum verweilten und dort über einen gewissen Zeitraum einfach nur in Ruhe sitzen sollten, als einzige Alternative zu dieser absoluten Ruhe jedoch die Möglichkeit hatten sich mit einem Elektroschocker Schmerzen zuzufügen, tatsächlich (67% der männl.; 25% der weibl. Teilnehmer) lieber körperliche Schmerzen zufügten, als sich auf das zu fokussieren, was ihnen so gerade im Kopf vorging. Die Entscheidung fiel also bei der Frage, ob sie sich lieber ihrer Gedankenwelt widmen, oder sich eher mit einem schmerzhaften Reiz von ebendieser ablenken wollten, auf das Letztere. Und wie gesagt: Es handelte sich dabei um psychisch gesunde Teilnehmer, was vielleicht nachdenklich stimmen sollte - gerade im Hinblick auf Menschen, deren mentale Konstitution möglicherweise anfälliger für "eingebildetes" Leid ist.
Quellen:
http://news.doccheck.com/en/blog/post/1562-wandering-thoughts-are-they-more-uncomfortable-than-physical-pain/ (Archiv-Version vom 04.11.2014)
http://www.scilogs.de/graue-substanz/die-schmerzmatrix/
Gerade die Unterscheidung zwischen "echtem" Schmerz, also einem Sinnesreiz den man beschreiben würde mit "Das tut mir weh", und psychischem Schmerz, dessen Beschreibung in aller Regel eine weit ausführlicheren Schilderung erforderlich macht, und der oftmals auch nur in Verbindung mit der Beschaffenheit der individuellen Widerstandsfähigkeit des Leidenden verstanden werden kann, scheint eine gängige Praxis in der Beurteilung von Leid durch den medizinischen Laien zu sein. Zusammengefasst gilt also die Überzeugung: "Echte Schmerzen sind Schmerzen, die eine sichtbare Ursache haben. Jeder Schmerz, der nicht auf einer körperlichen Ursache beruht, ist eingebildeter Schmerz."
In welchem Punkt unterscheiden sich denn nun eigentlich eingebildete Schmerzen von echten Schmerzen? Man könnte aus Sicht eines Laien argumentieren, dass der Unterschied darin liegt, dass echte Schmerzen an der Stelle der Verletzung entstehen, wohingegen eingebildete Schmerzen im Kopf entstehen. Um genauer zu sein entstehen sie im Gehirn, und werden an dieser Stelle auch bewusst. Und zwar jede Art des Schmerzes. Sowohl Entzündungsschmerzen, die man empfindet wenn man sich in den Finger geschnitten hat und die Stelle gerötet und geschwollen ist und bei der kleinsten Berührung schmerzt, als auch der Sonnenbrand, in dessen Genuss vermutlich jeder schon einmal kommen durfte, bis hin zur Migräne oder aber den Schmerzen, denen ein Krebskranker in seinen letzten Tagen ausgeliefert ist, oder eben auch der Phantomschmerz, der nach einer Amputation einer Extremität weiterhin dem Betroffenen das Gefühl vermittelt er litte unter einer höchstgrasig akuten Verletzung des nicht mehr vorhandenen Körperteils. Alle diese Schmerzen werden erst dadurch bewusst, dass unser Gehirn diese Empfindung erzeugt. Solange das Hirn - grob gesagt - also tut was es soll, werden diese Schmerzen nur dann auftreten wenn es tatsächlich eine körperliche Ursache dafür gibt. Tut es das jedoch nicht mehr, so entstehen Schmerzen, die eben keine handfeste Ursache mehr haben. Dieses Beispiel soll illustrieren, dass erstens alle Schmerzen im Hirn entstehen und zweitens die Behauptung, dass "echte" Schmerzen notwendigerweise auf eine existierende Schmerzquelle zurückzuführen sein müssen, nicht haltbar ist.
Schmerz entsteht selbstverständlich im Gehirn. Um das Netzwerk von Gehirnarealen, die an der Schmerzentstehung beteiligt sind, etwas in Augenschein zu nehmen, kann man sich die sogenannte Schmerzmatrix anschauen, und sieht, dass zahlreiche Hirnareale an der Schmerzentstehung beteiligt sind.
Hier sieht man nun, über welche Routen sich Schmerzen vom Ort der Schmerzentstehung ihren Weg zur Hirnrinde und damit dem Ort der bewussten Schmerzwahrnehmung bahnen. Diese "echten" Schmerzreize müssen über das Rückenmark, das die Empfindungsfasern aus dem ganzen Körper zum Gehirn führt, und damit der hier in der Grafik als PAG (engl. für periaqueductal grey; in der deutschen Anatomie als zentrales Höhlengrau bezeichnet) bezeichneten Struktur Anschluss zum Sitz unserer Gefühle finden. Man kann darüber hinaus dieser Grafik entnehmen, dass an der Schmerzbahnung noch viele andere Strukturen beteiligt sind, die natürlich ebenso wie jedes andere Organ anfällig für Störungen sein können. Zu verstehen, dass sich das Gehirn in einer gewissen Phase des Lebens gut entwickeln muss um eine möglichst geringe Anfälligkeit für Fehler gewährleisten zu können, ist eine zentrale Erkenntnis. Denn von diesem Wissen ausgehend ist es nur noch ein Katzensprung zu der unfassbar wichtigen Einsicht, dass natürlich die Entwicklung der Organe in den frühen Stadien des Lebens stattfindet. Oder auf den Punkt gebracht: Die Entwicklung des Gehirns fällt in den Zeitraum des Kindesalters. In diesem Zeitraum also determiniert das Umfeld des Subjektes die Anfälligkeit des Organs für Störungen. Und genau dies wäre das was ich zuvor als Widerstandsfähigkeit gegenüber leidvollen Ereignissen bezeichnete.
Kann man Schmerzen also erlernen? Ich finde das ist eine äußerst interessante Fragestellung, da ich diese Frage eindeutig mit "Ja" beantworten will. Es ist meiner Auffassung nach in der Tat richtig, dass Menschen auch lernen können, Schmerzen als positive Wahrnehmung zu empfinden. Und genau in diesem Moment überschreitet man die Grenze zwischen Neurologie und Psychologie. Denn hier reden wir plötzlich nicht mehr von akutem Schmerz einer Entzündung sondern von lustvoll wahrgenommenen Schmerzen, die nicht nur in Kauf genommen werden, sondern ganz im Gegenteil sogar gewollt herbeigesehnt werden. Die Existenz sadomasochistischer Sexualpraktiken - um es deutlich zu benennen - also ist für mich der Beweis dafür, dass man das Schmerzempfinden lernen muss.
Doch um nun letztlich zum Fazit zu kommen, will ich noch einmal die für mich zentrale Frage aufgreifen, ob es eine Möglichkeit gibt tatsächlich auf empirischer und wissenschaftlicher Basis rein psychische Empfindungen mit "richtigem" Schmerz (ich will anmerken, dass man das was ich hier fälschlicherweise als "richtigen" Schmerz bezeichne eigentlich korrekterweise "nozizeptiven Schmerz" nennen müsste) zu vergleichen. Und dazu will ich mit einer Studie abschließen, in der man feststellte dass sich medizinisch völlig gesunde Menschen, welche in diesem Experiment in einem Raum verweilten und dort über einen gewissen Zeitraum einfach nur in Ruhe sitzen sollten, als einzige Alternative zu dieser absoluten Ruhe jedoch die Möglichkeit hatten sich mit einem Elektroschocker Schmerzen zuzufügen, tatsächlich (67% der männl.; 25% der weibl. Teilnehmer) lieber körperliche Schmerzen zufügten, als sich auf das zu fokussieren, was ihnen so gerade im Kopf vorging. Die Entscheidung fiel also bei der Frage, ob sie sich lieber ihrer Gedankenwelt widmen, oder sich eher mit einem schmerzhaften Reiz von ebendieser ablenken wollten, auf das Letztere. Und wie gesagt: Es handelte sich dabei um psychisch gesunde Teilnehmer, was vielleicht nachdenklich stimmen sollte - gerade im Hinblick auf Menschen, deren mentale Konstitution möglicherweise anfälliger für "eingebildetes" Leid ist.
Quellen:
http://news.doccheck.com/en/blog/post/1562-wandering-thoughts-are-they-more-uncomfortable-than-physical-pain/ (Archiv-Version vom 04.11.2014)
http://www.scilogs.de/graue-substanz/die-schmerzmatrix/