Gastbeitrag von Sarrazin in FAZ, 17.6.12, Griechenland
17.06.2012 um 09:58Gastbeitrag von Thilo Sarrazin
Griechen, Euro und die deutsche Schuld
17.06.2012 · Thilo Sarrazin wirft vor der Parlamentswahl der Mehrheit der Griechen eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit vor. Die Griechen sähen sich „als quasi wirtschaftlich Verfolgte“ an, schreibt der frühere Berliner Finanzsenator in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
An diesem Sonntag findet in Griechenland eine Parlamentswahl statt, die darüber entscheidet, ob erstmals ein Land aus dem Währungsverbund des Euro ausscheidet. 71 Prozent der Griechen wollen nach einer aktuellen Umfrage den Euro als Währung behalten, gegenüber 69 Prozent in Frankreich, 66 in Deutschland oder 60 in Spanien. Die Mehrheit der Griechen sieht zudem keinen Zusammenhang zwischen ihrem bankrotten Staatswesen und heillosen wirtschaftlichen Verhältnissen einerseits und der gemeinsamen Währung andererseits.
Schon gar nicht will diese Mehrheit erkennen, dass nur eine reale Kostenreduktion von 30 bis 50 Prozent dem Land die Chance gibt, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das Leistungsbilanzdefizit Griechenlands von 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zeigt nämlich, dass das Land trotz des Schuldenerlasses und der Umschuldung immer noch weit mehr verbraucht als es produziert. Die Summe der Hilfsleistungen an Griechenland und seine Gläubiger beläuft sich mittlerweile auf 150 Prozent des griechischen Sozialprodukts. Auf Deutschland übertragen würde das bedeuten: Ein wirtschaftlich außer Kontrolle geratenes Deutschland erführe eine vergleichbare Hilfe, wenn es vier Billionen Euro erhielte. Das ist etwa das Doppelte der deutschen Staatsverschuldung.
Verzerrte Wahrnehmung
Nun ist es aber nicht so, dass die Griechen für diese Hilfen dankbar wären. Die Mehrheit von ihnen glaubt, dass Deutschland sich an den Griechen bereichert habe. Zunächst habe es durch einen Exportboom zu Lasten der griechischen Verschuldung sein Wachstum gefördert, jetzt verdiene es durch niedrige Zinsen für seine Kredite am Leiden der Griechen. Das mit Griechenland vereinbarte Konsolidierungsprogramm sehen die Griechen mehrheitlich als willkürliches deutsches Spardiktat.
Aus dieser verzerrten Wahrnehmung ergibt sich, dass sich die Griechen als quasi wirtschaftlich Verfolgte ansehen und ernsthaft glauben, sie könnten den Euro behalten, auch wenn sie das Reformprogramm nicht umsetzen. Möglicherweise hat jene Mehrheit der Griechen sogar Recht. Es gibt starke Kräfte in der Europäischen Union, die einen Austritt der Griechen aus dem Euroraum um nahezu jeden Preis verhindern wollen. Eine erfolgreich bewältigte Rückkehr Griechenlands zur eigenen Währung würde nämlich zeigen, dass für ein Land die Welt auch nach dem Euro weitergeht, und könnte zu einem attraktiven Modell für Länder mit großen Wettbewerbsproblemen werden.
Probleme sind hausgemacht
Im Falle des Austritts würde Griechenland wahrscheinlich eine schwere Wirtschaftskrise durchmachen, aber das Wachstum würde nach spätestens zwei Jahren zurückkehren. Eine reale Abwertung um 30 bis 50 Prozent ist in Griechenland sowieso unumgänglich - entweder durch Rückkehr zur eigenen Währung oder durch eine viele Jahre währende Deflation. Nur eines könnte die schmerzliche Anpassung vermeiden: Der Euroraum schreibt alle Hilfen und Kredite an Griechenland vollständig ab und richtet sich auf dauerhafte Zuschüsse von 30 bis 50 Milliarden Euro jährlich ein. Woher aber sollen die kommen, wenn nicht direkt oder indirekt aus deutschen Kassen? Auch dann wäre Griechenland ein ewiger Zuschussempfänger in der Hand korrupter Eliten, eine Region ohne Perspektive.
Griechenland hat zwar nur drei Prozent Anteil an der Bevölkerung und zwei Prozent Anteil an der Wirtschaftskraft des Euroraums. Ein Stück Griechenland ist aber überall dort, wo Länder der Währungsunion aufgrund fehlender Strukturreformen und Fehlern in der Finanzpolitik Schwierigkeiten mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsbilanz haben. Das gilt für die Südstaaten in der Währungsunion, einschließlich Frankreichs. Ihre Probleme sind hausgemacht. Niemand hört dort aber gern, dass alle Probleme, die sie von den Nordstaaten unterscheiden, eigenen Fehlentscheidungen und eigenem Unvermögen entspringen.
Forderung nach deutschem Geld
Darum gab es die Behauptung, Deutschland und die anderen Nordländer hätten von der Währungsunion besonders profitiert und stünden in einer besonderen Pflicht, von diesem Profit etwas zurückzugeben. Das aber ist falsch: Die gemeinsame Währung hat den Nordstaaten wirtschaftlich nicht genützt, den Südstaaten nach einer Phase kreditfinanzierten Booms deutlich geschadet. Mit der Vertiefung der Eurokrise hat ein anderes Argument an Gewicht gewonnen: Deutschland habe die Krise durch seine egoistische Haltung wenn nicht verursacht, so doch verschärft, und wenn es nicht bereit sei, für die Schulden der Südländer mitzuhaften, dann trage es nicht nur die Verantwortung für ein Auseinanderbrechen des Euroraums, sondern für eine Weltwirtschaftskrise, die jene Anfang der dreißiger Jahre in den Schatten stellen könne. Ausgerechnet Deutschland, das durch Brüning’sche Sparpolitik die Machtergreifung der Nazis, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust verursacht habe, sei anscheinend bereit, die Welt abermals in den Untergang zu treiben. Das war der Tenor eines Aufsatzes des britischen Historikers Niall Ferguson und des amerikanischen Ökonomen Roubini. Der bekannte amerikanische Historiker Charles Mayer forderte, Deutschland müsse seine Verpflichtung für Europa in ähnlicher Weise wahrnehmen, wie vor 20 Jahren für Ostdeutschland. Historiker müssen nicht zahlenfest sein: Aber 17 Millionen Ostdeutsche kosteten Westdeutschland 1,5 bis 2 Billionen Euro. Das lässt erahnen, was 300 Millionen Menschen kosten mögen.
Es ist auffallend, wie unbefangen, ja unverschämt viele angelsächsische Diskussionspartner, aber nicht nur sie, bei der Forderung nach deutschem Geld mit der deutschen Schuld an den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts spielen. 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Deutschen das Recht (und die Pflicht), sich in der internationalen Zusammenarbeit bei finanziellen Fragen von ihrem vernünftigen Eigeninteresse leiten zu lassen, ohne ständig die Moralkeule fürchten zu müssen.
Wir selbst sind allerdings nicht unschuldig an der übersteigerten Erwartungshaltung der anderen. Angela Merkels Kernsatz „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ lässt sich auch übersetzen: Einem Scheitern Europas ist eine Pleite Deutschlands allemal vorzuziehen. Und wenn Deutschland dieses Scheitern verhindern will, wird seine Zahlungsbereitschaft unbegrenzt sein. Dazu passt ein Finanzminister Schäuble, der schon im Herbst 2009 räsonierte, notfalls müsse man Griechenland eben helfen. Die erste öffentliche Ankündigung des Bruchs des No-Bail-Out-Prinzips ging also von Deutschland aus!
Der italienische Ministerpräsident Monti bemerkte vor einigen Tagen zutreffend, dass Reformvorschriften von außen Abneigung gegen das europäische Einigungsprojekt schaffen könnten. Er sprach damit das Kerndilemma all jener Auflagen gegenüber Mitgliedstaaten an, in denen die europäischen Führer zunehmend ihr Heil suchen. Ich finde alle diese Absichten löblich. Ich glaube allerdings nicht, dass es in historisch überschaubaren Zeiträumen gelingen wird, den Nationalstaaten ihre Haushaltsrechte und ihr Recht zu Fehlentscheidungen wirksam zu beschneiden. Monti fordert aber nicht etwa mehr Selbstverantwortung und eine Rückkehr zum No-Bail-Out-Prinzip. Er fordert Eurobonds und einen gemeinsamen Schuldenfonds! Ein Stückchen radikaler fordert Ähnliches der französische Präsident Hollande. Er revidiert eine der wenigen vernünftigen Reformen seines Vorgängers Sarkozy und senkt das Rentenalter, gleichzeitig fordert er Eurobonds und eine Bankenunion. Die Deutschen sollen also dafür bürgen und zahlen, dass die französische Politik in die falsche Richtung geht.
Deutlich höherer Inflation
Wahrscheinlich ist daher folgende Entwicklung: Unter wechselnden Überschriften wird, wie seit über zwei Jahren, die Schulden- und Bankenunion ausgebaut. Diese behindert zwar die Reformanstrengungen in den Südländern, aber verkettet Deutschland mit deren Schicksal. Letztlich ist dies nicht anderes als die Vergemeinschaftung der deutschen Finanz- und Wirtschaftskraft für die Zwecke des südeuropäischen Konsums. Die EZB setzt eine lockere Geldpolitik fort, um mit extrem niedrigen Zinsen die Haushaltsdefizite der Südländer mit der Notenpresse zu finanzieren. Dies führt zu deutlich höherer Inflation.
Alle wissen, dass in den Südländern eine erhebliche Abwertung der Kosten und Preise stattfinden muss. Für Frankreich setze ich diesen Abwertungsbedarf bei 20 Prozent an, für Griechenland bei 40 bis 50 Prozent. Da Wechselkursanpassungen ausscheiden, kann diese Abwertung nur erfolgen, indem es bei unveränderter Inflation in Deutschland in den Südländern über viele Jahre Deflation gibt. Das ist mit steigender Arbeitslosigkeit, steigenden Insolvenzen und sinkenden Realeinkommen verbunden. Oder die Nordländer haben für eine Reihe von Jahren deutlich mehr Inflation als die Südländer.
Ich halte die letztere Lösung für irreal. Käme sie gleichwohl, so würde sie bedeuten: Für Deutschland für etwa 10 Jahre eine Inflation, die bei 4 bis 6 Prozent liegt, gleichzeitig weiter ein Zinsniveau von nur 1 bis 2 Prozent, damit die Südländer nicht an ihren Schulden ersticken. Auf deutsch: Der deutsche Sparer soll durch die Entwertung seiner Geldvermögen für die Konsolidierung der Südländer bezahlen. Das ist im Kern der Inhalt der Politik der Bundesregierung, auch wenn das so nicht beabsichtigt war. Und das ist aus dem politischen Versprechen geworden, der Euro werde stark wie die Mark.
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gastbeitrag-von-thilo-sarrazin-griechen-euro-und-die-deutsche-schuld-11788263.html
Was meint Ihr dazu? Stimmt es was Sarrazin zum Thema zu sagen hat?
Was meint Ihr, wie sich Griechenland, bzw. Europa heute nach der Wahl entwickelt?
Griechen, Euro und die deutsche Schuld
17.06.2012 · Thilo Sarrazin wirft vor der Parlamentswahl der Mehrheit der Griechen eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit vor. Die Griechen sähen sich „als quasi wirtschaftlich Verfolgte“ an, schreibt der frühere Berliner Finanzsenator in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
An diesem Sonntag findet in Griechenland eine Parlamentswahl statt, die darüber entscheidet, ob erstmals ein Land aus dem Währungsverbund des Euro ausscheidet. 71 Prozent der Griechen wollen nach einer aktuellen Umfrage den Euro als Währung behalten, gegenüber 69 Prozent in Frankreich, 66 in Deutschland oder 60 in Spanien. Die Mehrheit der Griechen sieht zudem keinen Zusammenhang zwischen ihrem bankrotten Staatswesen und heillosen wirtschaftlichen Verhältnissen einerseits und der gemeinsamen Währung andererseits.
Schon gar nicht will diese Mehrheit erkennen, dass nur eine reale Kostenreduktion von 30 bis 50 Prozent dem Land die Chance gibt, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das Leistungsbilanzdefizit Griechenlands von 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zeigt nämlich, dass das Land trotz des Schuldenerlasses und der Umschuldung immer noch weit mehr verbraucht als es produziert. Die Summe der Hilfsleistungen an Griechenland und seine Gläubiger beläuft sich mittlerweile auf 150 Prozent des griechischen Sozialprodukts. Auf Deutschland übertragen würde das bedeuten: Ein wirtschaftlich außer Kontrolle geratenes Deutschland erführe eine vergleichbare Hilfe, wenn es vier Billionen Euro erhielte. Das ist etwa das Doppelte der deutschen Staatsverschuldung.
Verzerrte Wahrnehmung
Nun ist es aber nicht so, dass die Griechen für diese Hilfen dankbar wären. Die Mehrheit von ihnen glaubt, dass Deutschland sich an den Griechen bereichert habe. Zunächst habe es durch einen Exportboom zu Lasten der griechischen Verschuldung sein Wachstum gefördert, jetzt verdiene es durch niedrige Zinsen für seine Kredite am Leiden der Griechen. Das mit Griechenland vereinbarte Konsolidierungsprogramm sehen die Griechen mehrheitlich als willkürliches deutsches Spardiktat.
Aus dieser verzerrten Wahrnehmung ergibt sich, dass sich die Griechen als quasi wirtschaftlich Verfolgte ansehen und ernsthaft glauben, sie könnten den Euro behalten, auch wenn sie das Reformprogramm nicht umsetzen. Möglicherweise hat jene Mehrheit der Griechen sogar Recht. Es gibt starke Kräfte in der Europäischen Union, die einen Austritt der Griechen aus dem Euroraum um nahezu jeden Preis verhindern wollen. Eine erfolgreich bewältigte Rückkehr Griechenlands zur eigenen Währung würde nämlich zeigen, dass für ein Land die Welt auch nach dem Euro weitergeht, und könnte zu einem attraktiven Modell für Länder mit großen Wettbewerbsproblemen werden.
Probleme sind hausgemacht
Im Falle des Austritts würde Griechenland wahrscheinlich eine schwere Wirtschaftskrise durchmachen, aber das Wachstum würde nach spätestens zwei Jahren zurückkehren. Eine reale Abwertung um 30 bis 50 Prozent ist in Griechenland sowieso unumgänglich - entweder durch Rückkehr zur eigenen Währung oder durch eine viele Jahre währende Deflation. Nur eines könnte die schmerzliche Anpassung vermeiden: Der Euroraum schreibt alle Hilfen und Kredite an Griechenland vollständig ab und richtet sich auf dauerhafte Zuschüsse von 30 bis 50 Milliarden Euro jährlich ein. Woher aber sollen die kommen, wenn nicht direkt oder indirekt aus deutschen Kassen? Auch dann wäre Griechenland ein ewiger Zuschussempfänger in der Hand korrupter Eliten, eine Region ohne Perspektive.
Griechenland hat zwar nur drei Prozent Anteil an der Bevölkerung und zwei Prozent Anteil an der Wirtschaftskraft des Euroraums. Ein Stück Griechenland ist aber überall dort, wo Länder der Währungsunion aufgrund fehlender Strukturreformen und Fehlern in der Finanzpolitik Schwierigkeiten mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsbilanz haben. Das gilt für die Südstaaten in der Währungsunion, einschließlich Frankreichs. Ihre Probleme sind hausgemacht. Niemand hört dort aber gern, dass alle Probleme, die sie von den Nordstaaten unterscheiden, eigenen Fehlentscheidungen und eigenem Unvermögen entspringen.
Forderung nach deutschem Geld
Darum gab es die Behauptung, Deutschland und die anderen Nordländer hätten von der Währungsunion besonders profitiert und stünden in einer besonderen Pflicht, von diesem Profit etwas zurückzugeben. Das aber ist falsch: Die gemeinsame Währung hat den Nordstaaten wirtschaftlich nicht genützt, den Südstaaten nach einer Phase kreditfinanzierten Booms deutlich geschadet. Mit der Vertiefung der Eurokrise hat ein anderes Argument an Gewicht gewonnen: Deutschland habe die Krise durch seine egoistische Haltung wenn nicht verursacht, so doch verschärft, und wenn es nicht bereit sei, für die Schulden der Südländer mitzuhaften, dann trage es nicht nur die Verantwortung für ein Auseinanderbrechen des Euroraums, sondern für eine Weltwirtschaftskrise, die jene Anfang der dreißiger Jahre in den Schatten stellen könne. Ausgerechnet Deutschland, das durch Brüning’sche Sparpolitik die Machtergreifung der Nazis, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust verursacht habe, sei anscheinend bereit, die Welt abermals in den Untergang zu treiben. Das war der Tenor eines Aufsatzes des britischen Historikers Niall Ferguson und des amerikanischen Ökonomen Roubini. Der bekannte amerikanische Historiker Charles Mayer forderte, Deutschland müsse seine Verpflichtung für Europa in ähnlicher Weise wahrnehmen, wie vor 20 Jahren für Ostdeutschland. Historiker müssen nicht zahlenfest sein: Aber 17 Millionen Ostdeutsche kosteten Westdeutschland 1,5 bis 2 Billionen Euro. Das lässt erahnen, was 300 Millionen Menschen kosten mögen.
Es ist auffallend, wie unbefangen, ja unverschämt viele angelsächsische Diskussionspartner, aber nicht nur sie, bei der Forderung nach deutschem Geld mit der deutschen Schuld an den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts spielen. 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Deutschen das Recht (und die Pflicht), sich in der internationalen Zusammenarbeit bei finanziellen Fragen von ihrem vernünftigen Eigeninteresse leiten zu lassen, ohne ständig die Moralkeule fürchten zu müssen.
Wir selbst sind allerdings nicht unschuldig an der übersteigerten Erwartungshaltung der anderen. Angela Merkels Kernsatz „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ lässt sich auch übersetzen: Einem Scheitern Europas ist eine Pleite Deutschlands allemal vorzuziehen. Und wenn Deutschland dieses Scheitern verhindern will, wird seine Zahlungsbereitschaft unbegrenzt sein. Dazu passt ein Finanzminister Schäuble, der schon im Herbst 2009 räsonierte, notfalls müsse man Griechenland eben helfen. Die erste öffentliche Ankündigung des Bruchs des No-Bail-Out-Prinzips ging also von Deutschland aus!
Der italienische Ministerpräsident Monti bemerkte vor einigen Tagen zutreffend, dass Reformvorschriften von außen Abneigung gegen das europäische Einigungsprojekt schaffen könnten. Er sprach damit das Kerndilemma all jener Auflagen gegenüber Mitgliedstaaten an, in denen die europäischen Führer zunehmend ihr Heil suchen. Ich finde alle diese Absichten löblich. Ich glaube allerdings nicht, dass es in historisch überschaubaren Zeiträumen gelingen wird, den Nationalstaaten ihre Haushaltsrechte und ihr Recht zu Fehlentscheidungen wirksam zu beschneiden. Monti fordert aber nicht etwa mehr Selbstverantwortung und eine Rückkehr zum No-Bail-Out-Prinzip. Er fordert Eurobonds und einen gemeinsamen Schuldenfonds! Ein Stückchen radikaler fordert Ähnliches der französische Präsident Hollande. Er revidiert eine der wenigen vernünftigen Reformen seines Vorgängers Sarkozy und senkt das Rentenalter, gleichzeitig fordert er Eurobonds und eine Bankenunion. Die Deutschen sollen also dafür bürgen und zahlen, dass die französische Politik in die falsche Richtung geht.
Deutlich höherer Inflation
Wahrscheinlich ist daher folgende Entwicklung: Unter wechselnden Überschriften wird, wie seit über zwei Jahren, die Schulden- und Bankenunion ausgebaut. Diese behindert zwar die Reformanstrengungen in den Südländern, aber verkettet Deutschland mit deren Schicksal. Letztlich ist dies nicht anderes als die Vergemeinschaftung der deutschen Finanz- und Wirtschaftskraft für die Zwecke des südeuropäischen Konsums. Die EZB setzt eine lockere Geldpolitik fort, um mit extrem niedrigen Zinsen die Haushaltsdefizite der Südländer mit der Notenpresse zu finanzieren. Dies führt zu deutlich höherer Inflation.
Alle wissen, dass in den Südländern eine erhebliche Abwertung der Kosten und Preise stattfinden muss. Für Frankreich setze ich diesen Abwertungsbedarf bei 20 Prozent an, für Griechenland bei 40 bis 50 Prozent. Da Wechselkursanpassungen ausscheiden, kann diese Abwertung nur erfolgen, indem es bei unveränderter Inflation in Deutschland in den Südländern über viele Jahre Deflation gibt. Das ist mit steigender Arbeitslosigkeit, steigenden Insolvenzen und sinkenden Realeinkommen verbunden. Oder die Nordländer haben für eine Reihe von Jahren deutlich mehr Inflation als die Südländer.
Ich halte die letztere Lösung für irreal. Käme sie gleichwohl, so würde sie bedeuten: Für Deutschland für etwa 10 Jahre eine Inflation, die bei 4 bis 6 Prozent liegt, gleichzeitig weiter ein Zinsniveau von nur 1 bis 2 Prozent, damit die Südländer nicht an ihren Schulden ersticken. Auf deutsch: Der deutsche Sparer soll durch die Entwertung seiner Geldvermögen für die Konsolidierung der Südländer bezahlen. Das ist im Kern der Inhalt der Politik der Bundesregierung, auch wenn das so nicht beabsichtigt war. Und das ist aus dem politischen Versprechen geworden, der Euro werde stark wie die Mark.
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gastbeitrag-von-thilo-sarrazin-griechen-euro-und-die-deutsche-schuld-11788263.html
Was meint Ihr dazu? Stimmt es was Sarrazin zum Thema zu sagen hat?
Was meint Ihr, wie sich Griechenland, bzw. Europa heute nach der Wahl entwickelt?