Gorbatschows Wut auf EU, Nato und die PresseDiese Mann ist weder altersmilde noch müde: Michail Gorbatschow, 78, hat die deutsche Presse als "die bösartigste überhaupt" bezeichnet. Sie kritisiere Russland ständig zu Unrecht. Harte Worte fand der Friedensnobelpreisträger auch für EU und Nato. Zugleich kündigte er an, sich wieder politisch betätigen zu wollen.
Der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat die deutschen Medien für ihren Umgang mit Russland massiv kritisiert. „Die deutsche Presse ist die bösartigste überhaupt“, sagte Gorbatschow im Deutschlandradio Kultur. Sein Land wolle niemanden bekämpfen, es habe alles, was es brauche. Mit Blick auf den Georgien-Konflikt sagte er: „Wenn ich das höre: Russland soll ein Aggressor sein, ein Imperialist. Das ist alles Quatsch.“
Es würden natürlich Fehler gemacht. In Russland befinden sich nach seinen Worten, „eine Menge Brandstifter, die die Atmosphäre vergiften“. Dennoch müsse 20 Jahre nach dem Mauerfall alles getan werden, um Russland zu verstehen.
Die Nato-Osterweiterung nannte Gorbatschow einen „großen Fehler“. Über die Nato und ihre „einseitigen Handlungen“ sollten viele Probleme gelöst werden, sagte Gorbatschow. „Das hat nicht funktioniert.“
Kritische Worte fand der 78-Jährige auch für die EU. Es sei „erstaunlich und auch enttäuschend“ gewesen, dass Europa während des wirtschaftlichen Niedergangs in Russland unter Boris Jelzin nur zusah und sich „offensichtlich freute“.
Bereits am Mittwoch hatte Gorbatschow die 20 Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer als zum Teil „vertane Zeit“ in den West-Ost-Beziehungen bezeichnet. Statt sich im Bemühen um die Einheit Europas näherzukommen, überwiege zwischen Russland und den westlichen Partnern immer noch Verständnislosigkeit und Verbitterung, sagte der Friedensnobelpreisträger in Moskau.
Das Ende des Kalten Krieges sei doch ein „Sieg für alle“ gewesen, sagte Gorbatschow. „Aber wo ist die neue europäische Sicherheitsarchitektur?“ In den beiden Jahrzehnten sei zwar viel erreicht worden, räumte er ein. „Aber wir hätten mehr tun können.“
Gorbatschow wies Spekulationen zurück, nach denen er während der politischen Wende 1989 in der DDR den Einsatz von Soldaten erwogen habe. Weder er, noch die damaligen Spitzenpolitiker in Ostdeutschland hätten eine „chinesische Lösung“ zur Niederschlagung der Proteste erwogen. DDR-Ministerpräsident Hans Modrow habe ihn lediglich gefragt, ob Russland mit der deutschen Wiedervereinigung einverstanden sei, sagte Gorbatschow.
„Wir sahen uns gezwungen, den Deutschen entgegenzukommen.“ Das Tempo der Vereinigung habe auch ihn überrascht, gestand das ehemalige Staatsoberhaupt. Er selbst habe die Lösung der „deutschen Frage“ nicht mehr im 20. Jahrhundert erwartet.Lobende Worte fand Gorbatschow für die derzeitigen Präsidenten der USA und von Russland. Mit Barack Obama, bei dem ihm viele Standpunkte gefielen, habe er einen unregelmäßigen Informationsaustausch vereinbart. Kremlchef Dmitri Medwedjew habe in seinem ersten Amtsjahr bei ihm einen guten Eindruck hinterlassen, sagte Gorbatschow.
Medwedjew bemühe sich sichtbar um eine weitere Demokratisierung Russlands. Gleichwohl fehle in der russischen Parteienlandschaft eine unabhängige sozialdemokratische Kraft, die er schon bald mit Unterstützern gründen wolle, kündigte der Ex-Präsident an. „Ich habe über 10.000 Briefe bekommen, in denen die Leute uns Erfolg wünschen.“
Quelle: welt.de