Hallo Azdak,
ich finde deinen Beitrag (und die Kommentare!) sehr interessant, denn er steht repräsentativ für viele andere Menschen mit ähnlichen Gedanken und ich gehe einfach mal davon aus, dass du ein Mann bist, denn diese Gedanken sind sehr typisch für das männliche Geschlecht. Korrigiere mich gerne, wenn ich hier falsch liege.
Die Kommentare finde ich wiederum sehr interessant, weil diese fast schon stereotypisch für die Gesellschaft sind. Was erwartbar ist und bitte auch nicht als Vorwurf verstanden werden sollte. Das für mich nun eigentliche interessante ist, dass in deiner Beschreibung deiner „Problemsituation“ folgender Absatz zu lesen war
Azdak schrieb:Ich habe (besitze) aber keine Freunde. Ich war mal sehr hilfsbereit, bis ich erkannt habe, dass ich nur ausgenutzt wurde. Und als ich damit aufhörte mich ausnutzen zu lassen, da wurden die Freundschaften ganz schnell aufgekündigt.
Das ist eine sehr typische Dynamik. Folgende These stelle ich nun auf und du kannst sie gerne beantworten: Du warst früher, zumindest aus deiner Sicht, ein sogenannter Nice Guy oder People Pleaser, der im Zuge seiner Lebensentwicklung durch zahlreiche Enttäuschungen in Beziehungsanbahnung oder Freundschaft ausgesetzt war. Du hast erkannt, dass deine Hilfsbereitschaft und das „da sein“ für andere nicht dazu geführt haben, dass du die gleiche Loyalität und „Liebe“ erfahren hast. Ganz im Gegenteil. Medien und Aussagen in Foren vermitteln gerne das Bild, das eine menschliche Beziehung auf Gegenseitigkeit und Augenhöhe basiert, aber du hast genau das Gegenteil erfahren. Die Art und Weise, wie du mit Menschen in Kontakt kommst und wie du diesen Kontakt hältst, nennt sich Bindung. Und genau hier, so meine freche These, hast du anscheinend Probleme, die wiederum alle anderen Probleme in deinem Leben erklären können.
Azdak schrieb:Jetzt chille ich mein Leben in meiner Messi-Bude und verlasse das Haus nur noch selten. Eigentlich nur noch zum Einkaufen und regelmäßig zum Arzt. Da ich mehrfach behindert bin, geht mir das Amt nicht auf die Nerven, dass ich Bewerbungen schreiben soll. Ich bekomme quasi Hartz-IV aber nach SGB-XII. Ich habe auch überhaupt keinen Bock zu arbeiten. Warum soll ich etwas tun, was ein anderer mir befiehlt? Und ich brauch ja auch keine Arbeit. Ich brauche nur Geld, um mir davon das Brot kaufen kann, das ein anderer für mich gebacken hat. Und außerdem bin ich grundlos. Das heißt nicht, dass es keine Ursache(n) für die jetzige Situation gegeben hätte. Nein, dass alles jetzt genau so ist, wie es ist, hat natürlich alles (nicht so schöne) Ursachen.
Ich möchte meine Spekulationen hier fortsetzen und bitte antworte mir, falls ich arg daneben liege. Wir haben es hier mit einem Mann zu tun, der quasi (aus Sicht der Gesellschaft) aufgegeben hat. Von außen sieht es aus, als sei dieser Mann faul und unmotiviert. Typischerweise reagiert die Gesellschaft hier nun mit verschiedenen Beschämungen und findet dieses Verhalten unmöglich. Ich möchte das gar nicht bewerten, aber zu einem anderen Blick einladen. Kann es nicht sein, dass dieser Mann gar nicht faul ist und auch nicht aufgegeben hat, sondern aus einer (scheinbar verdrehten) psychologischen Sicht, jeden Tag um sein Überleben kämpft und zwar mit denen Mitteln, wo er sich am Sicheresten fühlt. Und das ist hier offenbar Rückzug, Isolation und Vernachlässigung. Man nennt solche Strategie in der Traumatologie „Überlebensstrategie“. Sie basiert auf unsere ersten Bindungserfahrungen und vermitteln uns Sicherheit (auch wenn es im Außen ganz anders aussehen mag). Dein Leben, und das weißt du sicherlich kognitiv, ist beschissen, aber es fühlt sich trotzdem sicher und als einzig gangbarer Weg für deine Existenz an. Deine kleine 1-Zimmer Wohnung, ist wie ein Abbild deiner Seele. Im Inneren deiner Burg herrscht Chaos, aber dieses Chaos ist erträglicher als eine mögliche Ablehnung und Zurückweisung im Außen.
Für dich hat das nun zwei Konsequenzen: Du musst dich quasi betäuben, um irgendwie noch klar zu kommen (z.B. durch Videogames, Pornos, Substanzkonsum, Fresssucht – what ever) und dich (emotional) stabil halten. Durch diese Ablenkung und den wenigen sozialen Kontakten stumpfst du quasi ab. Du bist betäubt, sozial abgestumpft und musst obendrauf kognitive Konstrukte (Erklärungen) finden, warum dein Leben doch irgendwie okay ist (obwohl dich jeder arbeitende Mensch hart verurteilen würde). Im Inneren ist da aber sicherlich viel Trauer (weil du dein Leben verpasst) und/oder viel Hass (weil dir viele Menschen wehgetan haben, allen voran deine ersten Bindungspersonen aka Eltern usw.)
Azdak schrieb:Aber die lassen sich jetzt eh nicht mehr revidieren. Mit "grundlos" ist gemeint, dass ich nirgendwo auf dem Planeten ein Grundstück besitze, auf dem ich mir mein eigenes Getreide anbauen könnte oder meine eigenen Äpfel pflücken dürfte. Ich bin also in so ziemlich jeder Hinsicht abhängig. Und diese Abhängigkeiten machen mich nötigbar, erpressbar und in gewissem Maß unfrei. Ich muss mich halt doch an die Regeln der Obrigkeit halten und mich mit dem begnügen, was mir gesetzlich zusteht.
Abhängig und doch vernachlässigt, unterwürfig und devot (was häufig als „nett“ fehlinterpretiert wird) und doch geschlagen und ausgenutzt. Du bekommst vom Außen gerade mal so viel, wie es reicht, aber nicht mehr. Deine seelische Batterie ist gerademal so viel aufgefüllt, dass du solala dein Leben als Arbeitsloser verbringen kannst. Aber im Inneren deiner Existenz ist da eineWunde, die seit Jahren vor sich hin fault. Als vernachlässigtes Kind suchst du die Liebe im Außen mit unterwürfigen Gesten und hofft auf Resonanz – aber in der Realität gibt es nur Schläge und Ausnutzerei. Willkommen in der Hölle der Bindungsreinszenierung deines Kindheitstraumas, einem seelischen Gefängnis aus den ewiggleichen Affektschleifen, die dich in deiner Situation binden und dir eine Art falsche Sicherheit vermitteln an den Stellen in deinem Leben, wo es Mut und risikofreude bräuchte. Youtuber die dir ,und sicherlich andere Mitlesende, hilfreiches Wissen vermitteln können: Gopal Norbert Klein, Dami Charf, C. Hemschemeier, Tom Harrendorf.
Ich denke die Gründe für dein Leben sind, wenig überraschend, in deiner Kindheit zu suchen. Eltern haben die Aufgaben ihre Kinder soziale Intelligenz beizubringen. Leider scheitern viele Eltern damit und gerade bei Männer hat das fatale Folgen. Männer müssen im Wesentlichen zwei Fähigkeiten lernen: Dominanz und Abgrenzung. Dominanz ist die Fähigkeiten sich in sozialen Hierarchien (Vereine, Arbeit, Clique usw.) durchzusetzen (d.h. seinen Interessen/Bedürfnisse zu erfüllen) und Abgrenzung ist die Fähigkeit sich körperlich und mental von Fremdinteressen zu schützen. Ich gehe mal davon aus, dass diese Fähigkeiten bei dir unterentwickelt sind. Ohne diese Fähigkeiten kannst du aber kaum Erfolge in dieser Gesellschaft erzielen und ohne Erfolge erlebst du dich als ohnmächtig. Ohne Erfolge kannst du keine positive Identität aufbauen, denn es ist niemand da, der dich in deinen positiven Eigenschaften bestätigt. Du bist daher in der Außenwelt unsicher (andere Menschen sind dir unterschwellig bedrohlich), was dazu führt, dass du auf deine frühesten Überlebensstrategien zurückgreifst und das ist hier: Unterwürfigkeit, notfalls Rückzug in die Isolation. Und diese Unterwürfigkeit führt wiederum dazu, dass du Menschen in deinem Leben anziehst, die ihrerseits sehr grenzüberschreitend sind und sehr ausbeuterisch daher kommen. Das sind dann die Freunde, die gerne nehmen, aber niemals geben. Und mit dieser Erfahrung bestätigt sich ohnehin nur das, was dein Bindungssystem dir vorgibt. Du verbleibst in deiner kindlichen Struktur (=quasi dein Gefägnis), machst keine neuen Erfahrungen
mit Menschen und vegetierst als vernachlässigtes Kind vor dir hin – das insgeheim auf ein liebevolles und wohlwollendes Äußeres hofft, aber in Wahrheit nur Schläge von außen bekommt. Wie alle Menschen möchtest auch du frei sein und deine Potenziale leben, aber fühlst dich quasi geknebelt. Deine Sehnsüchte rotten vor dich hin und müssen mit diversen Ablenkungen unterdrückt und betäubt.
Eigentlich bräuchst du einfach gute und loyale Menschen in deinem Leben. Die dich lieben, mitnehmen und dir das Leben zeigen. Dich ermutigen und dich als Mensch mit all seinen Potenzialen sehen und dich darin bestätigen. Du brauchst schlichtweg Erfahung von sicherer Bindung. Diese wäre dein Fundament, auf dem du dein weiteres Leben aufbauen kannst. Da aber die Eltern, aus welchen Gründen auch immer, versagt haben, bist du, wie viele andere Menschen, in einer schwerigen und leidvollen Lage. Du bist quasi eine Art soziale Zombie. Und da wir leider in einer unfassbar unempathischen Gesellschaft leben, kannst du nicht ohneweitere auf Verständnis oder gar Liebe hoffen. Fast schon im Gegenteil, die Gesellschaft reiht sich in den Schlägern und Vandalen ein, wie du sie ja bereits als Kind erfahren hast.
Was hältst du von meiner Schnelldiagnose? Es gibt ein Weg daraus, aber bitte gibt mir mal Feedback ob ich ins Schwarze getroffen habe oder meilenweit entfernt liege. :-D