sundra schrieb:mich würde aber mal interessieren, was für Euch die Vor und Nachteile waren in den Ländern, wo ihr länger oder vorübergehend gelebt habt, dann kann man sich noch ein bisschen mehr einen Eindruck verschaffen.
Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie sie sich stellen lässt. Man muss vor allem wissen und begreifen, dass das Leben im Ausland "anders" ist. Ob besser oder schlechter sei dahingestellt, aber "anders." Ich bin schon vielen Auswanderern begegnet, die damit nicht zurecht kamen, und irgendwann begannen zu lamentieren, dass es "nicht so wie in Deutschland" ist.
Frei machen muss man sich auch von bestimmten Vorurteilen. Wer zum Beispiel meint, die "Bürokratie" ist in Deutschland "unerträglich" wird erstaunt feststellen, dass "Bürokratie" in Italien auf einem ganz anderen level existiert, der einen wirklich ab und zu an die Grenze seiner Leidensfähigkeit bringt. Auch in den USA oder England gefällt sich die Bürokratie mit Verfahrensweisen usw. die mindestens so "nervig" sind wie in Deutschland.
Es ist am Ende immer eine individuelle Entscheidung. Das kann mit ganz einfachen Dingen beginnen, ich empfand zum Beispiel das Wetter in Italien oder in den Gegenden der USA, in welchen ich gelebt habe, unterm Strich weitaus angenehmer als in Deutschland (ich sitze gerade, als ich dies schreibe, im t-shirt auf der Terasse...
:) ). Ich mag es einfach wärmer, sonniger und trockener, als ich das in Deutschland erlebt habe.
Das kann mit der Landschaft und der Bevölkerungsdichte zu tun haben, ich empfinde die Gegenden im Westen der USA weiter, grosszügiger, und weniger stressig als im eng besiedelten Deutschland, wobei ich in New York City freilich genau das Gegenteil erlebte, was auch wieder faszinierend war.
Konkret kann ich sagen: mir gefiel in Italien eine gewisse Nonchalance der meisten Menschen, ich empfand sie offener, weniger gestresst als in Deutschland. Ich hatte das Gefühl, dass man sich weniger über Kleinigkeiten aufregte. Das muss man als Deutscher allerdings auch akzeptieren können. Beispiel: in der engen Gasse in Rom, in welcher ich wohnte, streifte eines Tages ein Auto ein dort geparktes Auto. Die Besitzerin des geparkten Autos schaute aus dem Fenster im 5. Stock, und anscheinend beurteilte sie die Lage als nicht sonderlich wichtig, sie rief dem Unfallverursacher zu "das geht schon" und verschwand vom Fenster, während dieser dann die Fahrt fortsetzte. Ein paar Kratzer am Auto schienen ihr den Aufwand nicht wert, auch nur die Treppe herunterzukommen. Ich erinnere mich an ganz andere Reaktionen in Deutschland. Im Prinzip dachte ich "ganz cool," aber irgendwie war ich auch froh, dass ich nicht dort unten parken musste.
Wir bewundern gern die Lockerheit der Menschen dort, aber dazu gehört dann eben auch, dass man z.B. lärmunempfindlicher sein muss als in Deutschland. Usw.
Krass sind manchmal die Unterschiede in den Systemen. In den USA z.B. gibt es sehr viel weniger Urlaub als in Deutschland. Damit muss man umgehen können. Für mich persönlich wurde das kompensiert durch Lebensumstände, die mir mehr "Urlaub" im Alltag gönnen, z.B. dass ich einen eigenen swimming pool besitze, den ich mir in Deutschland so nicht leisten könnte.
In den USA fallen mir immer wieder die erhebliche Lockerheit der Menschen auf, im Gegensatz zu Deutschland. In Deutschland scheinen mir unglaublich viele Menschen mit einem gewissen Druck herumzulaufen, die Welt zu retten und zu verändern, sie sind stark in politische Dinge einbezogen, Politik ist ihnen unglaublich wichtig, aber sie sind selten zufrieden.
Hier nehmen die Leute das viel gelassener und sind meines Erachtens daher auch fröhlicher und gelassener. Da sehe ich eine Ähnlichkeit zu Italien. Grosse Politik, gar Weltpolitik interessiert die wenigsten. Familie, Freunde und die geringere Freizeit sind wichtiger. Generell scheinen mir die Leute einen weitaus positiveren Blick auf ihr Leben und ihre Welt zu haben, weit mehr Zuversicht.
Es ist viel weniger geregelt, was einen Deutschen manchmal auch nerven kann, in dessen Leben der "Staat" eine extrem grosse Rolle spielt. Man erwartet hier weitaus mehr Eigeninitiative, lässt den Menschen daher aber auch weit mehr Freiraum, ihr Leben zu gestalten.
Für mich war das entscheidend: ich kann hier mehr selbst bestimmen. Ich muss mich aber auch um mehr selbst kümmern. Für jemanden, der lieber alles vom Staat geregelt sieht und keine eigenen Entscheidungen treffen mag, sind Länder wie Italien oder die USA nicht das richtige Ziel.
Usw